indymedia.nl versus Deutsche Bahn

rp + co. + kg 25.04.2002 05:39 Themen: Netactivism
[update 28.4.02]

Indymedia.nl ist derzeit in den begehrlichen Fokus der AnwältInnen der DeutschenBahn AG geraten. Der Grund: Webseiten, die die DB mit Castortransporten inVerbindung bringen und Methoden zur Sabotage der DB diskutieren, die letztlichdurch das StGB sanktioniert sind.
Doch zur Debatte steht viel mehr: Das Bestreben von Konzernen, bzw. staatlichenEinrichtungen, ihnen missliebige Seiten aus dem weltweiten Netz zu verbannen.Dieser Versuch wird gerade an der bislang 'unkontrollierten Zeitschrift''Radikal' geprobt. Im Folgenden steht dies jedoch grundsätzlich fürein Kontrollbedürfnis, das die Tendenz hat, alles Missliebige mit denMitteln der Sanktionierung und Strafverfolgung aus der "Wirklichkeit" zubefördern.
Die BetreiberInnen von XS4ALL, dem Server, auf dem die 'Radikal'-Seiten bisher lagen, haben sich entschieden, die Zeitschrift an sich weiter zugänglich zu machen, mit Ausnahme der Nummern 154 und 155, die die besagten "Bastelanleitungen" enthalten.
Das Verhalten von Indymedia.nl, also die Weigerung, die von den Anwälten der DB kritisierten Veröffentlichungen über bestehende Mirror-Sites der Radikal-Seiten zu löschen, ist ein wichtiger Schritt zur Verteidigung der Pressefreiheit.

Markenrecht im Netz
Texte beiIndymedia
...und anderen Medien
Hintergrund zu 'radikal'
Sicht der Behörden
Internet censorship in Germany [ English]
Zur Debatte stand vorige Woche die digitalisierte Ausgabe der 'Radikal',die beim niederländischen Provider XS4ALL gehomed wurde. Nach einer richterlichen Entscheidung vom 25.4.02 sah sich der Providerveranlasst, die Seiten unzugänglich zu machen.

Doch damit nicht genug. Die klageführende Deutsche Bahn AG mahnte kurzerhandauch die Suchmaschinen Google und Altavista ab, da diese die betreffenden Seiten'vorrätig' hielten. Siehe hierzu einen Bericht bei indy.de
Ja, leider nur hielten, denn mittlerweile scheinen sie ebenso von dort verschwundenzu sein.

Im betrunkenen Siegestaumel der Jurisprudenz will diese ihre Erfolgssträhneweiter ausbauen und versucht nun ebenfalls indymedia.nl, die ausführlichüber diese Angelegenheit berichteten und auch entsprechendeLinks auf schnell entstandene Mirrors der beanstandeten Seiten einrichteten,dazu zu bewegen, diese zu entfernen.
Doch indymedia.nl weigert sich, dem Verlangen der AnwältInnen der DB nachzukommen.
Siehe hierzu die Presseerklärung von indymedia.nl und den beanstandeten Artikel.

Markenrecht im Netz
In diesen Zusammenhang ist ebenfalls die Thematik des 'Markenrecht' im Webzu sehen.
Auch hier fällt die Deutsche Bahn als Teilhaberin an der Atomkraft imStreit um das Anrecht auf www.castor.de auf. Goliathgegen David - Atommafia will sich Web-Site greifen.

Aktuelle Ereignisse in diesem Zusammenhang:
www.polizeibrandenburg.de - Potsdamer Gericht verurteilt Volksinitiative.
Demo am 6. April zur Netz-Zensur in NRW - "Wegfiltern ist Wegschauen".

weitere Texte bei indy.de:
Radikal - Blockade, die dritte.
Radikal vom Netz
Die Bahn kommt. Zum Sinn und Zweck vonMirrors, Sicherheit und Möglichkeiten des Internet.

...und anderen Medien:
bei telepolis am 22.4.02: Deutsche Bahn setzt sich bei Suchmaschinen-Betreiber durch.
Spiegel-OnlineNetzwelt: Abmahnung. Bahn AG gegen Google.
SüddeutscheZeitung am 23.4.02: Strecke gesperrt. Bahn blockiert Verbindung zu "Radikal".
taz am 25.4.02: Auch das Suchen ist verboten.


Ältere Links zu Zensur bei Kombo(P).
Freedomforlinks GrundsätzlicheSeite zu Netzzensur.
Last but not least: die Site von Kai Raven, u.a. auch zu Verschlüsselung, Überwachung etc.



Demo in Hamburg 1995


Um wen geht es eigentlich? Die Zeitschrift radikalhat eine inzwischen 26-jährige Geschichte, die zugleich eine Geschichtevon Repression gegen unabhängige Medien ist. Dazu hier ein bisschenHintergrundmaterial:

20 Jahre radikal. Geschichte und Perspektiven autonomer Medien.

Aus dem Editorial:
"Die Idee zu diesem Buch entstand bald nach dem 13.6.1995, als in einemRundumschlag der Staatsschutzorgane über 50 Durchsuchungen stattfanden.Getroffen werden sollten militante Gruppen wie K.O.M.I.T.E.E. oder die AIZ,aber vor allem die Zeitschrift radikal, und - wie es der Innenminister umstandsloszugab - präventiv die ganze radikale Linke." (...)
"Für dieses Buch erschien es sinnvoll, autonome Medien und ihre Geschichtegenerell - aber am Beispiel der radikal - darzustellen. Die staatliche Repressionhat sich in den vergangenen Jahren nicht nur gegen die radikal gerichtet,und es gibt andere Medien, die von Zensur und Kriminalisierung bedroht sind."

Eine Chronologie der radikal von 1976 bis 1998.

Ein Interview mit radikal-MacherInnen von 1989.

Aus der Vorbemerkung:
"Wer oder was ist die Zeitschrift 'radikal'? Diese Frage wird in derSolidaritätsarbeit immer wieder gestellt. Da keiner von uns diese Fragebesser beantworten könnte als diejenigen die die 'radikal' machen, habenwir uns entschieden das Interview, welches vom ID-Archiv im IISG / Amsterdam,1989 mit Menschen der 'radikal' gemacht wurde zu dokumentieren. Aus diesemInterview geht so ziemlich alles hervor für was die 'radikal' stehtund was sie aus ihrem Selbstverständnis heraus ist."

Es gab bereits 1996 und 1997 Versuche, die radikal im Netz bzw. den Serverxs4all zensieren zu lassen - dazu gibt es eine gute Dokumentation.

1995/96 gab es ein Verfahren gegen Leute die radikal gemacht habensollen. Dazu und auch zur Sperrung von xs4all hat die Gruppe Kombo(p) eineWebsite gemacht.

Am 9.8.1997 beim Kongreß Hacking inProgress'97 (HIP97) gab es eine Podiumsdiskussion, die von Radio Vrije Keyser dokumentiert wurde- der 30-minütige Ausschnitt kann mit dem realaudio-player gehörtwerden.

Letzte Äußerungen (?)
Im 'Kassiber' erschienene "Gedanken zur radikal und warum es sie weitergeben muß. Ja, tanzen!". Die MacherInnen der radikal erklärtenin diesem Text vom Sommer 2001, dass sie eine neue Gruppe von Leutensind, die die Zeitschrift von nun an machen wollen. Vorher gab es andere,die sich in derselben Kassiber-Ausgabe mit diesem Text verabschiedeten: "Die radikal meldet sich zurück. Auch wenn's nichts zu lesen gibt: bleibtradikal!".
Zu lesen gibt's tatsächlich seitdem nichts.


Die "andere Seite" sieht das natürlichalles ganz anders, und zwar folgendermaßen:

Das Bundesamt für Verfassungsschutz hat im Januar 1999 eine Broschüre "Extremistische Bestrebungen im Internet" herausgegeben, die Informationendazu enthält, weswegen die Kombination Internet - radikal - DeutscheBahn für Strafverfolgungsbehörden besonders interessant zu seinscheint:

1.3 Publikationen aus dem linksextremistischen Bereich im Internet
1.3.1 "radikal"
Ursprünglich wurde diese linksextremistische Untergrundzeitschriftüber jeweils einen Provider in den Niederlanden und den USA angeboten.Anfang September 1996 forderte der Generalbundesanwalt deutsche Internet-Providerauf, alle Zugänge zu "World Wide Web"-Servern, die die "radikal" anbieten,zu sperren.
Inzwischen sind nahezu 60 weitere sog. Mirror Sites ("gespiegelte" Internet-Fundstellen)bekanntgeworden, auf denen die Zeitschrift zum Abruf bereit liegt. Auszugsweiseangeboten werden hier die "radikal"-Ausgaben Nr. 153 und Nr. 154, u. a. mitgenauen Anleitungen zur Sabotage des Schienenverkehrs. Darüber hinausist seit Dezember 1998 die - komplette - "radikal"-Ausgabe Nr. 155 abrufbar.

Zu "Linksextremismus im Internet" schreibt die Behörde folgendes:

Seit etwa 1995 wird auch das Internet von Linksextremisten mit steigenderTendenz zur politischen Agitation genutzt. Darunter sind größereOrganisationen mit einer bundesweit vielfältigen Struktur, aber auchkleine und kleinste Gruppierungen, die offensichtlich die Chance des Mediumsfür sich nutzen wollen.

Die Vorzüge des weltweiten Internet sehen Linksextremisten u.a. in

- der optimalen nationalen/internationalen Verbreitung von Informationen(u.a. zur Propagierung politischer Ziele, Werbung neuer Mitglieder, Mobilisierungbei Aktionen),
- den günstigen Möglichkeiten der Kommunikation (insbesondereSchnelligkeit und jederzeitige Verfügbarkeit),
- der Archivierungsmöglichkeit,
- der Chance, deutsche Strafvorschriften zu umgehen!

Dabei wird vor allem der internationale Informationsaustausch interessant.Über das Internet sind Homepages aus dem linksextremistischen Bereichabrufbar, die gezielt nicht im Bundesgebiet, sondern über im Auslandangesiedelte Provider angeboten werden. So stellt u.a. die Untergrundzeitschrift?radikal" ihre Texte und Informationen über Provider in den Niederlandenund den USA frei online lesbar im Internet ein. Linksextremisten agierenzumindest in Teilbereichen konspirativ. Dabei kommt ihnen die Möglichkeitder neuen Medien, Informationen verschlüsselt und/oder durch Paßwörtergeschützt vor ungewollter Kenntnisnahme durch Dritte zu sichern, entgegen.Von den zur Verfügung stehenden Verschlüsselungsprogrammen istdas Programm ?Pretty Good Privacy" (PGP) das zur Zeit in der linksextremistischenSzene gebräuchlichste Verfahren.


Sachdienliche Hinweise - also Links und Texte zum Thema - nehmen wir dankend entgegen. Bitte als Ergänzung posten oder per Mail schicken!
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Ergänzungen

radikal ist langweilig

realist 25.04.2002 - 15:06
radikal ist tot. sie hat seit Jahren nix zur linke Debatte oder Aktion beigetragen. Alle, die heute noch krampfhaft an der radikal festhalten sind peinliche konservative Spiesser.
Bei aller Kritik, die ich sonst noch so an dem RZ-Fetischismus habe, ist mir aber klar, dass es zu 100% gerechtfertigt ist, wenn man sich für die Gefangenen der RZ und anderen links-militanten Gruppen einsetzt. Aber es kann kein Kriterium sein, auch mit den (nicht vorhandenen) Zielen der RZ zu symphatisieren.

So far, so good

Es geht gar nicht um eine Zeitschrift

25.04.2002 - 15:41
Ein bisschen mehr Informationen sollten hier schon stehen. Schließlich geht es ganz allgemein um Zensur im Netz und nicht um eine Zeitschrift die seit Jahren nicht mehr erscheint. Das steht im Zusammenhang mit der Demo die neulich in Düsseldorf war (siehe  http://www.chaosdorf.de) und vielen anderen Zensurfällen ( http://www.ccc.de/censorship).

geänderte Domain

Volksinimitglied 28.04.2002 - 04:29
Hallo Leute,

nur für alle, die sich wundern, warum unter der Domain www.polizeibrandenburg.de keine Inhalte mehr liegen:

Wir mussten nach der Klage umziehen! Fortan sind wir, in alter Gewohnheit aber unter der neuen Domain:

www.polizeikontrollstelle.de

zu erreichen.

Der Radikal Link bei xs4all geht wieder"

k.A. 28.04.2002 - 20:01
Ahoi!

Die Radikal ist doch wieder unter der alten URL erreichbar:  http://www.xs4all.nl/~tank/radikal

Was gab es denn in Holland für eine Entscheidung dazu?

Bahnärger

internet_für_doofe 04.05.2002 - 00:43
Nichts als Ärger mit der Bahn. Jedes mal diese Verspätungen.
Und jetzt greifen sie auch noch in die Meinungsfreiheit im Internet ein. Wen verklagen sie als nächstes?
Das hat mich nun wirklich geärgert. Wer verklagt mal die Bahn AG weil ihre Fahrpläne bei www.bahn.de nie eingehalten werden?
Nicht das mich besonders interessiert hat, was den für tolle Bastelanteilungen in der radikal stehen. Ärgerlich war ich dann schon auf die Bahn. Aus Ärger habe ich also die Google-Suchmaschine angeworfen und ... mit ein bisschen Glück habe ich eine schöne Adresse gefunden:
 http://catalog.com/jamesd/radikal

Spiegelseiten

radikalmirror 04.05.2002 - 01:16
die zur verfügung stehenden mirrorseiten wechseln ab und zu. oder sie werden der reihe nach vom netz genommen.
eine sammlung von mirrorseiten gibt es unter:
 http://www.flashback.se/radikalmirror.html

zeichnung

ron k 04.05.2002 - 16:24