Hintergrund zu Venezuela

Dario Azzellini 12.04.2002 19:19
Hier ein Artikel von Dario Azzellini der Ende Februar geschrieben wurde und damals durch einige Mailinglisten ging.
VENEZUELA-Artikel von Ende Februar
Von Dario Azzellini

Der venezolanische Konteradmiral Carlos Molina Tamayo fuhr vergangene Woche schweres Geschütz auf. Er forderte Präsident Hugo Chavez zum Rücktritt auf und kündigte an ein Verfahren gegen ihn anzustrengen sollte er der Forderung nicht nachkommen. Die Nationale und internationale Presse nahm die Nachricht erfreut auf und verbreitete sie als Beweis für den schwindenden Rückhalt Chavez` in der Armee und der Bevölkerung allgemein. Schliesslich war es bereits der vierte ranghohe Militär der, der sich innerhalb einiger Wochen gegen den Präsidenten aussprach. "Ich erkläre öffentlich meine Ablehnung gegenüber der ständigen verfassungsbrechenden Handlungen von Seiten des Präsidenten Chavez` und seines Regimes" erklärte Tamayo und forderte die venezolanische Bevölkerung auf sich "offen gegen die antipatriotische Haltung Chavez` zu manifestieren". Die "offenen Manifestationen" blieben allerdings weitgehend auf einige hundert hartnäckige Vertreter der Oberschicht beschränkt. Die Marine erklärte sogleich in einer Erklärung ihre Unterstützung für Chavez´ und betonte die Äußerungen Tamayos seien "persönlicher Natur". Rückhalt in der Armee fanden die rebellierenden Militärs ebenfalls keinen. Der Luftwaffenoberst Pedro Soto, der Anfang Februar Chavez` zum Rücktritt aufforderte und sich verflüchtigte, kehrte nach wenigen Tagen in seinen Stützpunkt zurück und versicherte mit seinen Beschwerden den institutionellen Weg zu beschreiten. Die Dramatik aus den Ereignissen zu nehmen ist sicher auch der ungewohnt moderaten Reaktion Chavez` und seiner Regierung zuzuschreiben.
So war es Chavez` bereits im Dezember vergangenen Jahres gelungen Demonstrationen gegen seine Politik den Wind aus den Segeln zu nehmen. Nach einem 49 Dekrete umfassenden Paket dass seine Regierung verabschiedete, mobiliserten Unternehmerverbände und einige an die ehemals regierende Oligarchie gebundene Gewerkschaften zu Streiks und Demonstrationen gegen die "kommunistische Diktatur" der sie glauben gegenüber zu stehen. Ihr Kalkül sich nach einer harten Reaktion der der Ordnungskräfte als "Opfer einer diktatorischen Repression" darzustellen ging nicht auf. Chavez` bezeichnete die Demonstrationen als "Zirkus", die erhoffte Massenbewegung blieb aus und die venezolanische Polizei war damit beschäftigt die Protestierer vor Übergriffen aufgebrachter Anhänger der "bolivarianischen Revolution" zu schützen.
In den meist verschwiegenen weiter gehenden Erklärungen der rebellierenden Militärs wird denn auch deutlich woher der Wind weht. Tamayo führte aus er lehne die Haltung Chavez` ab "das venezolanische Volk zu teilen und die Sektoren der Gesellschaft mit der Absicht anzugreifen zu anzugreifen, um eine linksextreme Tyrannei zu installieren" und er kritisierte "die ständige Verschlechterung der internationalen Beziehungen mit den traditionellen Verbündeten (gemeint sind die USA)". Tamayo forderte die Rücknahme der kürzlich verabschiedeten 49 Dekrete, ein positives Investitionsklima, die Wiederherstellung institutioneller Beziehungen zur katholischen Kirche, die Respektierung von Privateigentum und die Kündigung des Erdölabkommens mit Kuba. Luftwaffenoberst Soto warf dem Verteidigungsminister José Vicente Rangel vor sich in der Vergangenheit als Journalist negativ über die Streitkräfte geäussert zu haben und betonte Chavez sei nicht gewählt worden um eine "kommunistische Regierung einzuführen" und sein Anwalt setzte noch eins drauf und verkündete Chavez vor dem internationalen Gerichtshof in Den Haag anzuzeigen, da er "zum Klassenkampf aufgerufen" habe.
Das 49 Dekrete umfassende Paket das im Dezember verabschiedet wurde und den zentralen Stein des Anstosses darstellt entpuppt sich bei genauerer Betrachtung als durchaus progressiv und so ist der Widerstand der Unternehmer und der ihnen hörigen Medien verständlich: Der aufgeblähte Verwaltungsapparat soll reduziert werden, staatliche Subventionen für private Unternehmen sollen besteuert werden; die Banken " und nicht wie bisher der Staat " müssen für ihre Schulden selbst aufkommen; das Steuersystem soll derart umgestaltet werden, dass die unteren Einkommensschichte einen geringeren Prozentsatz bezahlen als die oberen; ein zu gründender Sozialfond soll die Ernährungssituation verbessern und die Bildung von Kooperativen unterstützen; die Kontrolle über die Rohstoffe wird stärker in die Hände des Staates gelegt; die Erdölförderung durch transnationale Konzerne wird stärker besteuert; die Regierung wird die Strompreise festlegen, Grossgrundbesitz wird stark eingeschränkt und die indianischen Gemeinden erhalten die Kontrolle über ihr Land, genutzte Gewässer und dort befindliche Bodenschätze. Wie die Umsetzung sich gestaltet bleibt zwar noch offen, doch erscheinen die vermeintlich demokratischen Proteste gegen den Sozialpopulisten Chavez so in einem anderen Licht.
Hugo Chavez scheiterte 1991 mit einem links orientierten Militärputsch gegen die korrupte Regierung und konnte sich nach seiner Haftentlassung Ende 1998 bei den Präsidentschaftswahlen gegen das gesamte traditionelle Parteienspektrum durchsetzen. Er erzielte haushohen Sieg obwohl sich von den Unternehmern über die katholische Kirchenhierarchie bis hin zu der staatstreuen und korrupten Gewerkschaftsbürokratie alle politischen Eliten des Landes gegen ihn gestellt hatten. Mit Zustimmung der Mehrheit der Bevölkerung demontierte Chavez? das alte und korrupte Parteiensystem, strukturierte das Parlament völlig um, liess eine neue progressive Verfassung ausarbeiten und verabschieden.
Den USA ist Chavez daher schon seit seiner Amtsübernahme ein Dorn im Auge. Der Präsident, der sein politisches Projekt der "bolivaranischen Revolution" nach Simón Bolivar benennt, der zu Beginn des 19. Jh. für die Unabhängigkeit und und Einigkeit Lateinamerikas kämpfte, bringt zudem die geostrategischen Vorhaben der US-Regierung durcheinander. Er pflegt hervorragende Beziehungen zu Kuba das von Venezuela Erdöl zum Vorzugspreis erhält und im Gegenzug auf kubanische Unterstützung beim Umbau des Erziehungs- und Gesundheitssystems zählt und Chavez hat sich gegen das gesamtamerikanische Freihandelsabkommen FTTA ausgesprochen. Er will das neoliberale Prestigeprojekt der US-Regierung mit der vorliegenden Ausrichtung nicht unterstützen und setzt offen auf den "lateinamerikanischen Weg", also eine Stärkung des regionalen Zusammenhangs. Mit dem Vorsitz der OPEC betraut bemühte sich Venezuela diese wieder zu einer einheitlichen und verbindlichen Preis- und Förderpolitik zu führen und die Preise nach oben zu drücken. Zusätzlich will Chavez den transnationalen Ölmultis nicht den gesamten Kuchen überlassen und ist bemüht, dass der staatliche venezolanische Erdölförderkonzern gemeinsam mit seinem brasilianischen Pendant ein kontinentales Tankstellennetz aufbaut. Sein Amtsantritt durchkreuzte das Vorhaben der USA Kolumbien militärisch einzukreisen und eine internationale Intervention gegen die Guerilla vorzubereiten, da er jeder Aktion gegen die kolumbianische Guerilla eine Absage erteilte. Zusätzlich erteilte er den USA ein Verbot venezolanisches Territorium zu überfliegen. Die venezolanische Regierung pflegt gute Beziehungen zur kolumbianischen Guerilla, die sie als "eine Konfliktpartei in einer kriegerischen Auseinandersetzung" begreift.
Eine direkte Unterstützung der Guerilla, wie sie der Regierung häufig vorgeworfen wird, konnte Venezuela aber seit Chavez Amtsantritt nicht nachgewiesen werden. Auch die vermeintliche Unsicherheit, die die kolumbianische Guerilla angeblich durch Präsenz auf venezolanischem Territorium verbreite, gehört ins Reich der Phantasie. In den vergangenen dreieinhalb Jahren wurde kein einziges Guerillacamp in Venezuela fest gestellt, noch eine Person durch sie auf venezolanischem Territorium entführt.
Dennoch stecken Chavez und seine Regierung in Schwierigkeiten. Die anfängliche Begeisterung der Bevölkerung ist der Ernüchterung gewichen. Die wirtschaftliche Entwicklung erfolgte nicht wie erwünscht und so wurde die Stabilität des Wechselkurses des venezolanischen Bolivar zum Dollar am Mitte Februar aufgegeben, um die Devisenreserven nicht in Stützungskäufen zu verpulvern. Es folgten verstärkte Kapitalflucht und eine Entwertung des Bolivar um nahezu 30%. Die Massnahme verschlechterte den Lebensstandard der Bevölkerung und sorgte ironischer Weise für ein Lob des von Chavez so gehassten Internationalen Währungsfond (IWF). Ob Chavez und seine Regierung es schaffen werden diese schwierige Situation zu meistern ohne weiter an Rückhalt in der Bevölkerung zu verlieren ist noch offen. Eine Alternative zu dem noch bis 2006 regierenden Chavez ist bisher jedoch nicht zu sehen. In einigen Punkten " vom Streik der Unternehmer und gelben Gewerkschaften, über die Äusserungen der US-Regierung, bis hin zu den Unmutsbekundungen in den Streitkräften " ähnelt die Situation Chavez jedoch der der Regierung von Salvador Allende kurz vor dem Militärputsch in Chile 1973. Das Aufbegehren des Militärs könnte also durchaus ein Testballon gewesen sein.
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Ergänzungen

Chavez nicht zurückgetreten!

Paul 12.04.2002 - 20:36
Laut Aussagen seiner Tochter ist Chavez nicht zurück getreten sondern wurde verhaftet und verschleppt.
Auch gibt es mittlerweile Hinweise darauf, dass es die Kommunalpolizei von Caracas gewesen ist, die auf die Demonstration geschossen hat und die steht wiederum unter dem Kommando des Bürgermeisters von Caracas, der zur Opposition bzw. zu den jetzigen Putschisten gehört.

Hurra,

antideutsches 12.04.2002 - 20:54
... endlich ist er weg, dieser antiamerikanische Hetzer und Unterstützer von sogenannnten nationalen Befreiungsbewegungen!

@antideutsches ,

xy 12.04.2002 - 21:42
du glaubts doch selber nicht das du ein linker bist ? verpiss dich ins cdu.de forum !

das beste

mekdenaif 14.04.2002 - 15:12
das beste jedenfalls ist, daß Chávez mit der Unterstützung der Volksmassen eine zweite - und wohl endgültig letzte - Chance bekommt, seine ehrgeizigen antiimperialistischen Pläne zumindest teilweise umzusetzen

Infoseite Venezuela der DKP HH

ToBsUcHt 16.04.2002 - 18:52
Dir DKP HH hat ne schöne Seite mit aktuellen Infos...

 http://www.placerouge.org/otto/dkphh/international/venezuela/start.shtml