Selbstmord aus Angst vor Abschiebung

Infoladen Giessen 17.03.2002 11:30 Themen: Antirassismus
Selbstmord eines in der Türkei gefolterten Kurden aus Angst vor der Abschiebung!

Am Samstag, den 9. Februar tötete sich Hüseyin Vurucu, sechsfacher Familienvater, indem er sich auf die Schienen vor einen einfahrenden Zug des Bahnhofs in Stadtallendorf (bei Marburg/Giessen) warf. Jahre der Angst hatten ihn zu diesem verzweifelten Schritt getrieben. Irgendwann war die ständige Angst vor der drohenden Abschiebung in die Türkei nicht mehr auszuhalten.
Dabei war seine Abschiebung nicht einmal nach der Logik unseres Systems der Ausgrenzung und des Rassismus rechtens: Hüseyin Vurucu war offensichtlich in der Türkei gefoltert worden, hiervon hatte er schwerste posttraumatische Depressionen zurückbehalten. Aber gerade diese Belastungen führten dazu, dass er vor Gericht nie von seiner Behandlung sprechen konnte. So ist es auch schwer zu sagen, was in der Türkei vorgefallen war, ob er aufgrund einer eventuellen Tätigkeit in der PKK Repressionen ausgesetzt war, ob er lediglich als Bruder eines PKK - Mitglieds in die Verfolgung geraten war, ob das diktatorische Klima in der Türkei allgemein ein Opfer gesucht hat. Letztendlich ist dies aber nicht von Bedeutung - Fest steht, dass er grauenhaftes erleiden musste. Das Verwaltungsgericht Giessen liess sich davon allerdings nicht überzeugen. Seine Probleme wurden zu einem Teufelskreis - Weil er gefoltert worden war, war er krank. Weil er krank war und daher nicht darüber sprechen konnte!
, glaubte man ihm die Folter nicht.
Dabei hatten ihm zwei unabhängige Psychiater eine Persönlichkeitsstörung, ausgelöst durch posttraumatische Belastung, bescheinigt. Keiner dieser Mediziner zweifelte daran, dass Hüseyin Vuruncu Folter erleiden musste. "Diagnostisch liegt eine reaktive Depression bei (...) posttraumatischer Belastungsstörung vor. (...) Bei weiterer Verschlechterung ist auch eine stationär-psychiatrische Behandlung zu überdenken. Eine Rückkehr in die Türkei würde höchstwahrscheinlich eine weitere drastische Verschlechterung der psychischen Verfassung nach sich ziehen." Und noch erheblich eindringlicher: "Aus psychiatrischer Sicht halte ich es nicht für verantwortbar, Herrn Vurucu abzuschieben."
Wenn dies für das Gericht auch unerheblich war, so hätte es sich doch zumindest dafür interessieren müssen, dass Hüseyin Vuruncu bereits kurz nach seiner Einreise in Deutschland in der Türkei verurteilt worden war, das heisst, er wäre im Falle einer Abschiebung sofort in einem Gefängnis verschwunden.
Dennoch war das einzige, dass ihn noch vor der Abschiebung bewahrte, die Ausstellung seiner Reisefähigkeit - trotz Stellung eines zweiten Antrags, der aber bis zu seinem Tod nie verhandelt wurde -. Diese war immerhin durch die Gutachten zweifelhaft. So aber hing sein Bleiberecht beständig in der Schwebe. Auch seine Familie wurde nur aufgrund seines Status noch geduldet. So konnte Hüseyin Vuruncu nicht einmal auf seine Heilung hoffen - Denn diese wäre das Signal zur sofortigen Abschiebung gewesen.
Bereits letzten Sommer unternahm er daher einen Selbstmordversuch - er schluckte 50 Tabletten und wurde gerade rechtzeitig von seinem Bruder gefunden. Wenige Tage vor seinem zweiten - nun geglückten - Selbstmordversuch unternahm er seinen zweiten Hilferuf: Er tauchte in Stadtallendorfer Polizeiwache auf, erklärte es ginge ihm schlecht, er wolle ins Krankenhaus gebracht werden. Unverständnis und Unglauben war die Antwort unseres Rechtsstaates. Er wurde nach Hause geschickt.....
Der Tod des Hüseyin Vuruncu ist kein Einzelfall!!! Immer wieder nehmen sich Flüchtlinge die drohende Abschiebung vor Augen, das Leben. Kann einer von uns ermessen, welche Angst in einem Menschen stecken muss, um lieber auf sein Leben zu verzichten als in sein Heimatland zurückzukehren? Ganz davon abgesehen, was einen Menschen überhaupt bewegen kann, sein gewohntes Umfeld zu verlassen, seine Freunde und alles was er kannte, um in ein Land zu gehen, dessen Sprache fremd ist, in dem alle Menschen unbekannt sind und - das ihn offensichtlich hasst? Wohl nur deshalb, weil die Folter, die unmenschliche Behandlung die sie erwartet ein noch weit schlimmeres Schicksal als der Tod wäre. Nur deshalb weil hoffnungslose, auswegslose Verzweiflung und Panik sie zu diesem Ausweg zwingt - einem Ausweg, in den deutsche Justiz, deutsche Richter und deutsche Gesetze sie getrieben haben.
Dabei ist dieses Deutschland erst der Mitverursacher für einen guten Teil der zahllosen Fluchtgründe. Rüstungsexporte, milliardenschwere ausbeuterische Wirtschaftsverflechtungen mit beffreundeten Diktaturen, Schulung von deren Aufstands- und Vernichtungsspezialtruppen. Deutsches Militär steht heute in 10 Ländern der Erde. Eine Situation die noch vor 10 Jahren undenkbar gewesen wäre.
Wie kurz ist das historische Gedächtnis in Deutschland?
Es wäre eine diplomatische Unmöglichkeit der BRD, allen politisch verfolgten, mit Mord bedrohten Menschen Asyl zu gewähren, die vor einem Regime flohen, an/mit dem die deutschen Banken und Konzerne intensive finanzielle/politische/strategische Interessen hat/teilt:
Gibt es keine anerkannten Opfer des türkischen Regimes steht einem Beitritt der Türkei in die EU nichts mehr im Wege.
So schlimm dieses Schicksal bereits aber auch ist, droht nun eine zusätzliche Gefahr: die deutsche Justiz, die noch immer nichts gelernt hat und - wie wir schon lange wissen - sich auch von Toten nicht erweichen lässt droht nun der Familie Vucuru, die nun nicht mehr von der mangelnden Reisefähigkeit des Vaters geschützt ist, mit der Abschiebung. So Landrat Robert Fischbach: "An der Ausreisepflicht ändert sich auch nach dem Tod des Vaters, den ich mit Bedauern zur Kenntnis genommen habe, nichts." Ein Hohn für die trauernde Familie....
Im Moment wird versucht ein möglichst breites Bündnis gegen diese Zustände zu stellen.

Bleiberecht für Familie Vucuru und ALLE Anderen!
Weg mit den rassistischen Ausländer- und Asylgesetzen!
Weg mit der staatlichen Hetze und Heuchelei!
Weg mit der Festung Europa!
Es gibt keine un-/nützlichen Ausländer - nur Menschen!!
Abschiebung ist Folter, Abschiebung ist Mord,
Bleiberecht für alle, jetzt sofort!

Wir trauern und haben Riesenwut!!

Antifaschistisches Cafe/ Internationales Cafe
(Infoladen Giessen)
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Ergänzungen

stoppt die folter!

hesap sorulacak! 17.03.2002 - 14:42
es ist für mich nachvollziehbar... in die türkei zurückkehren (noch dazu als "ex-asylbewerber", als "terrorist", "vaterlands-untreue") bedeutet wieder tagesordnung, folter von allen türkischen behörden die dich in die hände bekommen. zuerst am türk. flughafen (falls dich nicht schon die europäischen behörden im flugzeug foltern/morden >siehe omofuma), wo du gleich mal eine "willkommenzurück" knüppel zu spühren bekommst. und jeder fascho oder beamte der mal lust hat, auf einen verräter einzuschlagen "darf einmal, nur nicht drängeln". und wenn man dann noch verurteilt wird (behaupte in 90% der fällen), bedeutet das isolationshaft! jahrelang, mit deiner eigenen stimme sprechen, so das der tod euch scheidet....

stoppt diesen alptraum mitten in europa! abschieben ist folter abschieben ist mord! stoppen WIR es, jetzt SOFORT! (seni unutmayacagiz! mücadelemiz yarinlarin bunu yasamamasi icin! rahat uyu hüseyin...)

Da fääält einem nichts mehr ein außer......

Hotzenplotz 17.03.2002 - 18:17
FEUER UND FLAMME DEN ABSCHIEBEBEHÖRDEN!!!!!!!!!!!!!!!!

99 Menschen töteten sich seit Januar 1993

17.03.2002 - 20:31
in der BRD selbst angesichts ihrer drohenden Abschiebung oder starben beim Versuch, vor der abschiebung zu fliehen.

aus der neuen Dokumentation Bundesdeutsche Flüchtlingspolitik und ihre tödlichen Fogen der Antirassistischen Initiative Berlin

Der Infoladen Giessen...

hessenschau 20.05.2003 - 21:04
...hat mittlerweile auch eine Homepage!

Der Infoladen Giessen

hessenschau 20.05.2003 - 21:05
hat mittlerweile auch eine Homepage!