WTO-Treffen in Doha

GegenStandpunkt-Verlag 26.02.2002 16:41 Themen: Globalisierung
Wie die Welthandelsorganisation (WTO) die grenzenlose Freiheit des Kapitals und damit mit massenhaftem Elend ihren „Wohlstand für alle!“ organisiert

Die Analyse des GegenStandpunkt-Verlag in Radio Lora vom 25. 2. 20021
In einem Ölscheichtum am Persischen Golf trafen sich vor kurzem Minister aus den Mitgliedsländern der Welt-Handels-Organisation (WTO). Sie lieferten sich in Doha einen erbitterten kleinlichen Streit, namentlich zwischen den Gruppen der "Industrie-" und der "Entwicklungsländer". Schon um die Tagesordnung für die auf ca. 3 Jahre angelegte Verhandlungsrunde gab es ein tage- und nächtelanges Gezerre. Zwischendrin wurde sogar die Gefahr an die Wand gemalt, dass im Falle des Scheiterns "früher oder später ein Handelskrieg drohe". Bis zur totalen Erschöpfung wurde verhandelt - und sich schließlich "in letzter Sekunde" darüber geeinigt, nach welchem Zeitplan und in welcher Reihenfolge sich ein mittelgroßes Heer von Diplomaten, jeweils im Auftrag ihrer Nationen, in den kommenden 36 Monaten an die Gestaltung des Welthandels zu machen haben.
Wenn sich Staaten darüber einigen wollen, welche Regeln für den Welthandel gelten sollen bzw. wenn sie neue Regeln für notwendig erachten, dann ist viel die Rede vom "wechselseitigen Nutzen des freien Handels". Wenn man aber sieht, wie viel erpresserischen Aufwand die beteiligten Staaten betreiben, dann ist es mit der "Wechselseitigkeit" offensichtlich nicht weit her. Was macht den Welthandel denn so brisant, was sind das für Gegenstände, über die da so erbittert gestritten wird?
Den Alternativen, um die es da geht, entnimmt das sachverständige Publikum selbstverständlich nie und nimmer, was es mit der Veranstaltung namens Welthandel auf sich hat, wenn deren einvernehmliche Regelung so viel erpresserischen Aufwand erfordert. Werfen wir also einen Blick auf die Streitgegenstände:

1. Da gibt es "nicht-landwirtschaftliche Produkte", über deren "Marktzugang" sich geeinigt werden muss. Diese Produkte gibt es offenbar weltweit im Überfluss - und ausgerechnet das ist ein Riesenproblem! Es wird also in der Welt mehr nützliches Zeug hergestellt als nachgefragt. Aber das schafft seltsamer Weise kein leichteres Leben für alle, keine allseitige Bequemlichkeit, sondern diese Tatsache stiftet angeblich als unvermeidlicher "Sachzwang" massenhaft wachsendes Elend! Und warum das? - Der "Handel zum wechselseitigen Nutzen" verfolgt eben nicht den Zweck, die Versorgung der Menschheit zu gewährleisten. Die erklärtermaßen überreichlichen Produkte kommen nur an den Mann, wenn sich damit bestimmte, jedermann bekannte Nationen auf Kosten sehr vieler anderer, die bekanntlich vorwiegend auf der südlichen Erdhalbkugel angesiedelt sind, bereichern können, wenn sie also den Nutzen des Welthandels einseitig auf sich lenken. Auf dieser Grundlage tobt der diplomatische Kampf zwischen den auf dem Weltmarkt dominierenden Staaten um die nationale Verteilung dieses Nutzens, nämlich des kapitalistischen Ertrags, den man aus diesem Handel zieht. Folgerichtig bewirken diese Streitereien auch nichts anderes als die eine oder andere Korrektur bei der Verteilung der Not, die nach der Logik der Marktwirtschaft aus dem Überfluss an Gütern erwächst. Der endlose Streit der Nationen spielt sich also auf der Grundlage ab, dass es nicht um materielle Versorgung, sondern um nationale Bereicherung geht. Und wenn sich Nationen da um Korrekturen bemühen, dann ist das nicht anderes als die Art und Weise, wie die Grundlage des ganzen Elends, die lückenlose universelle Herrschaft des Geldes über die Versorgung, unverbrüchlich in Kraft gesetzt und gehalten wird.

2. Agrargüter scheint es erst recht überreichlich zu geben: Die "3. Welt" könnte sich selbst und den "industrialisierten" Norden zu guten Teilen noch dazu durchfüttern, umgekehrt der "Norden" sich selbst und den "südlichen" Rest der Welt. Und warum geschieht nichts dergleichen? Warum gerät im Gegenteil die "Versorgung" fremder Länder mit billigem Essen automatisch zum Nachteil oder sogar zum Desaster ausgerechnet für die so billig belieferten Länder? Warum stiftet ausgerechnet die mit freigebigen Subventionen bewerkstelligte Vermarktung von "nördlichen" Agrarüberschüssen im "Süden" des Globus dort Armut bis zur Hungersnot? Warum können die im "Süden" sich nur dann eine Überlebenschance ausrechnen, wenn sie die Nordlichter mit viel Arbeitsaufwand billig verköstigen? - Eben: Weil die Marktwirtschaft auch die mickrigste Versorgung mit dem (Über-)Lebensnotwendigen zur Nebenwirkung gelungener kapitalistischer Geldvermehrung degradiert und das entsprechende Geschäft gerade auf Basis weltweiten Überflusses nur den Kapitalkräftigsten gelingt. Und weil alle politischen Gewalten ihre Macht dafür einsetzen, dass auch noch die letzte Mahlzeit eines Erdenbürgers ein Beitrag zur Mehrung und nationalen Zurechnung des kapitalistischen Reichtums ist. Sonst findet sie nämlich gar nicht erst statt.

3. In manchen Nationen sind die Zerstörung von Lohnarbeitern durch ihre Arbeit, Löhne, die nicht einmal das Überleben sichern, Vergiftung und Verwüstung aller elementaren Lebensbedingungen geradezu die Mittel der zuständigen Staatsgewalt, ihre Wirtschaft weltmarkttauglich zu machen. Solche Staaten setzten sich auf der Konferenz in Doha dem Vorwurf aus, bei den von ihnen geschaffenen Verhältnissen handele es sich um ungerechte Konkurrenzvorteile, die man ihnen - gerade um der "armen Opfer" willen - wegnehmen müsse. Dagegen setzten sich die so Angegriffenen mit der Behauptung zur Wehr, die schrankenlose Ausbeutung von Land und Leuten sei ein gerechtes Geschäftsmittel, das man gerade den "armen Staaten" nicht wegnehmen dürfe, weil eben nur so in diesen Ländern überhaupt eine Wirtschaft in Gang komme. Für die Leute, die das Pech haben, in solchen Landstrichen dieser Welt zu leben, stellt sich also die heiße Alternative, ob durch ihre "landestypische" Anwendung fürs Geschäft ins Elend kommen oder durch die von den Konkurrenznationen verfügte Ruinierung dieses Geschäfts erst recht verhungern. Handelt es sich bei den brutalsten derartigen Verhältnissen um ein gerechtes Geschäftsmittel, das man den "armen Staaten" nicht wegnehmen darf, oder um einen ungerechten Konkurrenzvorteil, den man ihnen um der armen Opfer willen wegnehmen müsste. Massenelend fürs Geschäft oder Massenelend durch Geschäftsruin: Das ist so eine Frage, mit der sich das Diplomatenheer während der nächsten 36 Monate zu beschäftigen hat.

4. Menschen hungern nicht bloß, obwohl es genug zu essen gibt - und verhungern sogar nach allen Regeln der Marktwirtschaft, weil es mehr als genug zu essen gibt -, in vielen Weltgegenden sterben sie darüber hinaus massenhaft an Infektions- und anderen Krankheiten - und das, obwohl es längst wirksame Vorbeugungsmethoden und Heilmittel gibt. Der Grund? - Schon wieder: Die Kranken haben das Geld nicht, das die Weisheit der weltmarktwirtschaftlichen Ordnung als unerlässliche Voraussetzung vor ihre Überlebenschance gesetzt hat. Die für sie zuständigen Staaten haben für ihre Versorgung kein Geld übrig; und die reichen Staaten, die das Geld hätten, haben es für die Versorgung auswärtiger Epidemieopfer natürlich auch nicht übrig. Denn menschenrechtlich gesinnte Regierungen sind erst einmal mit den Voraussetzungen für die bei ihnen beheimatete Geldvermehrung beschäftigt. Und in diesem Zusammenhang kommt die medizinische Kunst ganz anders vor: nicht als Versorgungsgut, das dahin geschafft wird, wo es am nötigsten gebraucht wird, sondern als geistiges Eigentum, ausgestattet mit einem Preis, der die Bestimmung hat, Pharmaunternehmer reich und damit deren nationalen Standort erfolgreich zu machen. Nur für den Fall eines nationalen Notstands wollen die nationalen Machthaber sich gegenseitig das Recht auf eine Ausnahme von dieser eisernen Regel vorbehalten. Allen Ernstes wird so mitten in der schönsten Seuchenepidemie ein gesunder Ausgleich gesucht zwischen dem Recht der Gesundheitsindustrie auf ihre Rendite und dem Recht einer Regierung, das Massensterben irgendwann als nationales Problem zu definieren. Nur wenn sie diesen Notstandsfall von den Nationen anerkannt bekommt, in denen die Heilmittel vor allem Geschäftsmitteln sind, dann darf sie wenigstens einen Teil der verbliebenen Bevölkerung mit selbst produzierten Generika versorgen und retten.

Von dieser Art sind die Interessengegensätze, um die nach dem in Doha glücklich beschlossenen Fahrplan demnächst ausgiebig gestritten werden soll. Die Handelsnationen dieser Welt streiten miteinander um je für sie vorteilhafte Regelungen, die allesamt ein und dieselbe Sache regeln: eine Weltwirtschaft, in der es um die Konkurrenz um Eigentum und dessen Vermehrung und um sonst gar nichts geht. Alle ihre Interessengegensätze, die zu so ausgiebigen handelsdiplomatischen Kontroversen Anlass geben, beruhen auf einem von allen geteilten Konsens: Auf dieser Welt wird kapitalistisch gewirtschaftet - oder gar nicht. Alternativ-"Lösungen" kommen nicht in Betracht, da sind sich die Konferenzteilnehmer ausnahmsweise einmal einig. Dafür stehen alle 140 + x Staaten mit ihren Diplomaten ein ganz gleich,

- ob sie daheim ein "Entwicklungsland" regieren, das sich im Weltvergleich immer rückwärts "entwickelt",

- oder ein "Schwellenland", das die Überwindung der Schwelle immer nicht schafft,

- oder eine "Industrienation" wie Deutschland samt Börsenkursen und Arbeitslosen.

Gerade weil sich die Staaten darüber einige sind, dass sie ihren je nationalen Vorteil in der Konkurrenz gegeneinander suchen wollen, ist diese Sache für die übelsten Streitereien zwischen den Staaten gut; für Wirtschafts- und auch andere Sorten Krieg.
Dass es dazu keine Alternative geben darf: Das hat die Ministerkonferenz von Doha wieder einmal machtvoll festgeklopft.
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Ergänzungen