München: Bürgermeister nimmt seinen Hut

Rebell1917 15.02.2002 13:23
Ein Oberbürgermeister im Wahlkampf nach den münchner Demoverboten Jugendliche "wählen" OB ab und nehmen Politik selbst in die Hand

Am 14. Februar veranstaltete der Kreisjugendring eine Diskussions- veranstaltung mit drei OberbürgermeisterkandidatInnen. Der "Verein der Kriegsfreunde" konfrontierte Sie in einer zynischen Rede mit den Demonstrationsverboten und ihrer Rolle bei der NATO Kriegspolitik. Das war ihnen zuviel. Bereits nach wenigen Minuten verließen sie den Saal und überließen den Jugendlichen die demokratische Diskussion.
Um 19.15 versammelten sich ca. 100 Leute im Saal eines Jugendzentrums um mit den OberbürgermeisterkandidatInnen über die Lokalpolitik zu diskustieren. Bereits nach der Anmoderation nahm sich für einige Minuten der "Verein der Kriegsfreunde" das Wort und verlas eine Rede, in der sie die endgültige "Befreiung" Deutschlands von der erzwungenen militaristischen Enthaltsamkeit, dem Ende des Sparens im Militärsektor, die Aufrüstung und die Kriegsmobilmachung Deutschlands bejubelten. Sie "bedankten" sich ebenfalls für OB Christian Udes hartes durchgreifen gegen die Demonstrationen (ganz in der bayerischen Tradition) gegen die NATO Sicherheitskonferenz.

Wenn die Politiker gehen .... Bereits 2 Minuten nach dem Beginn dieser zynischen Rede verließen alle drei KandidatInnen, Hepp Monatzeder (Grüne), Christian Ude (SPD und regierender OB) sowie Gabriele Neff (FDP) den Raum. Eigentlich hatten sie sich zur Diskussion gestellt. Sie waren nicht einmal bereit die Fragen, die diese Rede aufwarf, zu Ende anzuhören. Diese äußerst schwache Leistung für 3 Menschen, die eine ganz Stadt regieren wollen, wurde von den Jugendlichen zur Kenntnis genommen und mit der Forderung nach einer Entschuldigung quitiert. Einer der Teilnehmer meinte: "Sonst müssen wir immer zuhören, dann können die auch mal 5 Minuten ihren Mund halten"

... dann nehmen wir die Politik halt selbst in die Hand Zunächst etwas verstört über das ungezieme Verhalten der PolitikerInnen, klärte sich die Situation schnell. "Wenn die nicht wollen, wir wollen diskutieren", darauf einigten sich die Jugendlichen und begannen eine interessante Diskussion. Nach kürzester Zeit viel die Abwesenheit der vermeintlichen Profis nur dadurch auf, das von den Politikerphrasen und inhaltsleeren Litaneien nichts mehr im Saal zu hören war. Endlich war die vermeintlich unpolitische Jugend mal zu hören, ganz und gar politisch. Dieser Eindruck bleibt, nicht die Jugendlichen sind "unpolitisch", wie ihnen meist vorgeworfen wird, sondern Politik und Gesellschaft sind unfähig ihnen zuzuhören. Ihren Lügen nahm ihnen auch keiner im Saal mehr ab: "3000 Chaoten, München in Schutt und Asche, das war eine ganz klare Lüge" meinte einer zu den Auseinandersetzungen im Vorfeld der NATO Konferenz.

Und wir haben Dinge bewegt Anstatt leerer Wahlkampfparolen diskutierten die Anwesenden über die Themen die sie bewegen. Wie zu erwarten, nahm die Diskussion um das Demonstrationsverbot und die Nato Kriegspolitik einen breiten Raum ein. Einige erzählten von ihren Verhaftungserfahrungen an dem Wochenende an dem sie gegen die NATO Konferenz portestieren wollten. Ein Mädchen: "Ich wurde noch nie in meinem Leben so dreckig behandelt wie bei der Polizei. Wie eine Schwerverbrecherin". Als die Frage nach der "Wehrhaften Demokratie" in Anlehnung an die Weimarer Republik in den Raum gestellt wurde, war die Antwort "wir da auf dem Marienplatz waren die wehrhafte Demokratie, kein Herr Ude und kein Gesetz". Leider kamen andere lokalpolitische Themen nur am Rande vor: zu hohe Preise im ÖPNv, die ständigen ungerechtfertigten Polizeikontrollen insbesondere "dunkelhäutiger" Jugendlicher etc. Nach diesem Abend ist aber anzunehmen, das die Jugendlichen nicht auf einen OB angewiesen sind um ihre Meinung zu Diskutieren, ihre Interessen selbst in die Hand nehmen.
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Ergänzungen

supi

eineR 15.02.2002 - 14:24
super sache. würd mich nur interessieren in welchem juze das war...

Juze

rebell1917 15.02.2002 - 14:33
... im Biedersteiner in der Gohrenstr.

Wo gibt´s denn die verlesene ´zynische´ Rede

muss ausgefüllt werden 15.02.2002 - 15:16
oT

Dankesrede (Juze)

xxx 15.02.2002 - 16:42
Dankesrede des Vereins Münchner Kriegsfreunde e.V.

Liebe Anwesenden, liebe Freundinnen und Freunde, lieber verehrter Herr Ude,

Es ist für uns eine besondere Genugtuung und ein Zeichen für die globale Bedeutung Münchens, dass unsere geliebte Heimatstadt wieder einmal der ort für das Treffen der höchsten und berühmtesten Militärstrategen war. Unser verehrter Oberbürgermeister hat daher auch vollkommen Recht, wenn er sagt: „München kann stolz sein auf eine solche Tagung! Jawoll!“

++Jubel++

Für uns gibt es -gerade nach dem 11. September- viele Gründe optimistisch in die Zukunft zu blicken . Erst im Oktober versprach unser Bundeskanzler Gerhard Schröder: „Die Nachkriegszeit ist unweigerlich vorbei!!!“

++Jubel++

die Entwicklungen der letzten Monate geben uns Anlass zu der Hoffnung, dass damit eine neue, militärische Ära für Deutschland und für uns alle, für jeden Einzelnen von uns, begonnen hat. Lord Robertson, der Generalsekretär der Nato, versprach in einer Rede in Brüssel: “This war is far from over“. Wir können also ganz beruhigt sein, dass dieser Krieg so schnell nicht vorbei sein wird.

++Jubel++

Ich rufe euch zu: Die Zeit der militärischen Enthaltsamkeit ist vorbei !!! Deutschland ist endlich wieder vorbei.

++Jubel++

Wir blicken in eine rosige Zukunft, sage ich euch: Bundesverteidigungsminister Rudolf Scharping will – teilweise am Haushalt vorbei – fast 9 Milliarden Euro für das größte europäische Rüstungsprojekt ausgeben, an dem Deutschland je beteiligt war !!! Endlich ist es so weit: Deutschland rüstet auf !!!

++Jubel++

Wir kommen nun zum Schluß und möchten uns ganz herzlich bedanken bei all jenen, ohne die das alles nicht möglich wäre:
Zuerst natürlich einen großen Dank an Oberbürgermeister Ude für seine großartige Unterstützung und die Behinderung der Kriegsgegner und Pazifisten, die sich immer und überall einmischen. Ganz herzlichen Dank für das totale Versammlungsverbot. Denn- das leuchtet doch jedem ein- in diesen Zeiten kann auf Grundrechte selbstverständlich keine Rücksicht mehr genommen werden!

++Jubel++

Horst Teltschik, zusammen mit der Herbert Quandt Stiftung der offizielle Veranstalter der Sicherheitskonferenz, klagte, dass es unerträglich sei, dass es in einer Demokratie nicht möglich ist, eine solche Tagung ungestört durchzuführen. Und das ist genau der Punkt: Wozu brauchen wir in einer Demokratie denn noch Demonstrationen, abweichende Meinungen und diese ganzen Kritiker. Das ist doch ein freies Land!!

++Jubel++

Wir danken Herrn Ude dafür, dass er den städtischen Initiativen endlich klar gemacht hat, woher der Wind weht und dass wer zahlt, auch anschafft. Mit anderen Worten: “Solange ihr eure Füße unter meinen Tisch- das heisst meine Stadt- streckt, macht ihr, was ich sage!“

++Jubel++

Wir danken auch der Münchner Polizei, die uns so vortrefflich beschützt vor allem Bösen dieser Welt, selbst die DemonstrantInnen wurden durch massenweise Gewahrsamnahme davor geschützt, zu demonstrieren.

++Jubel++

Und –last but not least- Danke an die Münchner Stadtsparkasse, die sich als unbeteiligte Einrichtung so neutral verhält, und ganz spontan die Konten des Bündnis gegen Rassismus sperrt.

++Jubel++

Wir danken Herrn Ude dafür, dass er sich zuletzt doch noch dazu durchgerungen hat, das Schlafplatzproblem der KriegsgegnerInnen konstruktiv zu lösen, indem er nahezu 1000 vergitterte Schlafplätze in der Ettstrasse und in Stadelheim zur Verfügung gestellt hat-

++Jubel++

Wir danken Herrn Ude dafür, dass er der münchner Jugend und den angereisten Jugendlichen ein anschauliches Beispiel bayerischer Lebensart gab: Die münchner Kesselspezialitäten, das härtere Hinlangen, sowie die Umstellung des Gewerkschaftshauses in guter alter Tradition à la 1933!

++Jubel++

Und schliesslich danken wir Herrn Ude dafür, dass er unserer Jugend endlich wieder Werte vermittelt, wie Vaterlandstreue, Kriegsbereitschaft und Schnauze halten!!
Wer nicht in den Krieg zieht, bleibt gefälligst zu Hause!!

++Jubel++

Lieber Herr Ude, weiter so!!
++Jubel++

hat die lokalpresse das aufgegriffen

wahlen ... 15.02.2002 - 16:44
dann würde vielleicht mal mehreren klar, was wenigstens die jugend von der ständigen verarschung durch die herrschenden so halten.

Gute Aktion

Daumen rauf! 15.02.2002 - 18:49
Starke Rede der "Kriegsfreunde" und ein traurig schwaches Bild von Herrn Ude, dem Amateurkabarettisten.

Sehr gut---

NATOMann 16.02.2002 - 03:01
Die Aktionen werden immer besser! Smash NATO!!!

Auch Ältere sehen das nicht anders...

Ein Älterer ;-) 16.02.2002 - 06:26
Glaubt nicht, daß das nur die Jüngeren so sehen. Wenn ich mir die Diskussionen in meinem Umfeld so anhöre, dann scheinen da bei vielen die Scheuklappen abgefallen zu sein. Man ist allerdings unsicher, wie man sich verhalten soll und so wird halt eher im Bekanntenkreis als öffentlich diskutiert.

Besonders fällt auf, daß man ein wenig Bedenken hat sich gemeinsam mit den Jüngeren auch nur zu Gesprächen zu treffen. Schließlich wurde ja nicht umsonst von Oben her der Keil zwischen die Generationen getrieben und versucht Vertrauen zu vernichten. Ein wichtiger Schritt ist es nun auch dieses wieder aufzubauen um gemeinsam an wichtigen Themen zu arbeiten. Was die eine Seite an stärkerer Begeisterung und Mut einbringt, daß hat die andere Seite an Lebenserfahrung (auch nicht zu verachten) zu bieten. Sachliche Argumentationen überzeugen allerdings mehr als reiner Aktionismus.

Vergeßt also bei all Eueren Bemühungen nicht, daß auch Altere nicht unpolitisch sind und keineswegs so verblödet wie man Euch einredet.

Presseecho

clandestino 16.02.2002 - 12:27
Zum Presseecho:

Die Aktion steht am Samstag, 16. 2. im münchner Teil aller münchner Zeitungen. Unser werter Herr Ude spricht von einem "schwer erträglichen Mass an Intoleranz" und jammert rum dass er "ein solches Mass an Agression aus München bisher nicht kennt". Ja, ja, der arme Herr Ude... Hepp Monatzeder, Grüne, der persönlich dem Eine Welt Haus mit Geldentzug gedroht hat, um Veranstaltungen gegen die Sicherheitskonferenz in städtisch geförderten Räumen zu verhindern, erklärt jetzt sogar, er wäre doch ein Verteidiger des Demonstrationsrechtes... Nun, genug mit dem Gesülze der OB-Kandidaten, immerhin kam es in der Presse rüber, dass Ude und Monatzeder nach wie vor Schwierigkeiten haben, das Vorgehen gegen den Anti-Kriegs-Protest zu legitimieren.

Und wer an einer Weiterführung der inhaltlichen Diskussion über die Erfahrungen bei den Demos gegen die Sicherheitskonferenz und über zukünftigen Widerstand gegen Krieg, Repression und kapitalistische Globalisierung interessiert ist: Kommt am Samstag, den 23. 2., Abends ins DGB-Haus in der Schwanthalerstrasse zur öffentlichen Diskussionsrunde des Bündnis gegen die NATO-Sicherheitskonferenz unter dem Motto "Krieg nach aussen-Repression nach innen". Bis denne, smash NATO!

P.S.: An die Leute von Indy Media: verknüpft den Text zu der Aktion gegen Ude im Jugendzentrum doch bitte mit dem Mittelseitenteil zur Sicheheitskonferenz!