Die Revolution ketzy sein!

espi 30.12.2001 12:51
Zu den Zielen von direkter Aktion

In vielen Aktionsberichten wird leider nur die Aktion selbst thematisiert, was eine extreme Verkürzung und Reduktion darstellt. In der Regel wird die Qualität der Aktion nur nach den Reaktionen und der erfolgreichen Durchführung bewertet - ein schwerer Fehler. Direkte Aktion ist ein Prozeß, der mehr umfaßt als die reine Aktion: Entstehungs - und Planungsphase, Diskussionen und gemeinsame, nachbereitende Reflexionen, das Sprechen über Ängste und Fehler gehören genau so dazu. Eine Aktion, die in der Gruppe autoritär durchgesetzt wird, kann kein Erfolg sein. Ebenso muss eine mißlungene Aktion nicht als Fehlschlag verstanden werden, wenn es eine intensive, gleichberechtigte Vorbereitung gab! Daher versucht dieser Bericht, ausführlich auf den GesamtProzeß einzugehen.
Die Revolution muss ketzy sein! -

Anti-Weihnachts-Aktionen gegen Christentum und Kirche



2000 Jahre Christentum: Kreuzzüge, Hexenverbrennung, Holocaust und Kriege - Blutspur bis zum heutigen Tag. Am 24.12.01 haben wir in fünf Gießener Kirchen eine direkte Aktion durchgeführt, die Moral, internationale Unterdrückung und die Blutspur von vielen Millionen Opfern von Kreuzzügen, Missionierung und Kolonialpolitik, Patriarchat und Kriegen angriff. Aktueller Bezug waren die Kriege, in denen sich christliche Länder als "zivilisiert" bezeichnen, obwohl das Christentum die gewalttätigste Religion ist.

Inhalt:

1. Vorbereitung
2. Die Aktion
3. Nachbereitung
4. Ausblicke...


1. Vorbereitung

Wunsch und Idee, Anti-Weihnachts-Aktionen durchzuführen, kursierten schon seit längerem: Grundidee war, am Heiligabend in Gießener Kirchen zu gehen und eine Prozeßion durchzuführen, in der Kirche und Religion als Herrschaftsform angegriffen werden. In Folge eines Treffens aus dem Hoppetosse Zusammenhang kurz vor Weihnachten fand sich eine Gruppe, die sich der konstruktiven Umsetzung annahm.

a) Die erste Phase war ein Brainstorming, bei dem wir erst einmal alle noch so absurden Ideen einbringen, zusammentragen und diskutieren konnten, so dass ein Pool kreativer Einfälle und Möglichkeiten entstand - die bei anderen Verahren in der Regel sofort unterdrückt und abqualifiziert würden ("kann mensch nicht machen").

Als Aktionsvorschlag kristallisierte sich relativ schnell heraus: Eine Gruppe mit etwa acht Leuten betritt die Kirche. Eine Person trägt ein Gewand und ein großes Holzkreuz. Sie wendet sich Bereich des Altars den Anwesenden zu und hält eine kurze Rede, eine umfassende "Anklage" gegen Christentum und Kirche, während sich die anderen locker verteilen, um das Geschehen zu beobachten. Nach Ende der Rede verläßt die Gruppe sofort die Kirche, wobei Flugblätter zwischen den Reihen verteilt werden, in denen die Angriffspunkte vertieft und mit Quellen belegt werden - und los geht's zur nächsten Kirche!

Unser wichtigster Orientierungspunkt bei der Aktion: Das Erzeugen, Ausgestalten und Füllen eines Erregungskorridors. Dieser stellt eine Schnittstelle zwischen direkter Aktion und politischer Aussage bzw. Vision dar. Genauer: Direkte Aktion erzeugt Verwirrung, Neugier oder Wut unter den Angesprochenen, ein Raum, in den wir dann emanzipatorische Ideen einbringen können. Kern einer Aktion ist nicht, wie viel Schaden sie anrichtet (was natürlich in Ordnung ist, leider oftmals aber das einzig erkennbare Ziel darstellt!), sondern inwiefern sie in der Lage ist, zur Vermittlung von herrschaftsfeindlichen Inhalten beizutragen.

Das Aktionsmaterial:

- selbst gebasteltes Holzkreuz
- zwei Laken als Umhang für die Jesus-Figur
- Schilder mit Aktionsparolen
- Flugblätter u. Text der Rede
- Kopierte Straßenkarte (mit Kirchen, Treffpunkten usw.)

b) Im Anschluß an eine Werkelphase in AGs gab es eine längere Runde, in der wir die technische Durchführung der Aktion klärten u. Probleme diskutierten - der Teil, der von uns als besonders reflexionsorientiert und intensiv empfunden wurde. Viel Raum dabei nahmen Fragen ein, wie wir mit verschiedensten Situation und Reaktionen innerhalb der Kirche umgehen, sowie Absprachen zu unserem Verhalten.

Grundsätzliche Vereinbarungen:

- Wir agieren, wir bestimmen das Geschehen, nicht umgekehrt
- Für voraussehbare Probleme usw. gibt es Absprachen
- Keine starren Rollenzuschreibungen u. Verregelungen, da unerwartete Situationen so nicht zu bewältigen sind. Statt dessen: alle fühlen sich verantwortlich
- Die in der Gruppe gesammelten Vorschläge als Möglichkeiten sehen - die Entscheidung zum konkreten Verhalten liegt bei jeder TeilnehmerIn selbst
- Individuelle, spontane Entscheidung bedeutet Möglichkeit zum "Fehler" - und das ist ok so. Darüber reden auch - nicht aber fertig machen
- Rotation der Rollen (alle dürfen mal Jesus sein ;-))

Ab jetzt stand die konkrete Durchführung der Aktion und mögliche Schwierigkeiten im Vordergrund. Ziel zu Beginn: reibungslos in den Bereich des Altars gelangen. Unsere Überlegungen dazu:

- Nicht im Eingangsbereich stehen bleiben, sondern zügig und selbstbewusst nach vorne gehen, ohne Hektik zu verbreiten
- nicht auf Gespräche einlassen, kurze Antworten geben, z.B. "Das ist eine Überraschung", "Ist mit dem Pastor abgesprochen" oder "Ruhe, Sie stören den Gottesdienst"
- das Kreuz dient als Tarnung, da es den Eindruck erweckt, bei der Theatergruppe handele es sich möglicherweise um einen Teil des Gottesdienstes

Jetzt wird es spannend: Mit dem Verlesen der Rede wird, so der Anspruch, ein Erregungskorridor geöffnet, d.h. die KirchenbesucherInnen werden direkt angesprochen, verwirrt, provoziert. Es entsteht Raum, den wir mit unseren Positionen füllen können - möglich sind aber auch Aggressionen, Wut, die sich gegen uns richten. Während Jesus die Rede hält, sollen alle anderen daher darauf achten, ob es zu OrganisierungsProzeßen unter den Anwesenden, insbesondere Pastor und Kirchenpersonal, kommt. Dabei kam die Frage auf, wie wir damit umgehen, wenn Personen auf Jesus (oder andere) zu kommen, die Rede unterbinden wollen usw.

Ziel: unsere RednerIn "schützen", das Gegenüber binden, ohne eine Eskalation zu provozieren. Wir einigten uns darauf, dass nur eineR (um einem aggressiven Eindruck vorzubeugen) von uns auf diese zu geht - genauer:

- Blickkontakt suchen, einen Schritt auf die Person zugehen
- Flugblatt anbieten, freundlich, beruhigend oder zielbewusst ansprechen, z.B. mit "Das gehört zum Programm", "Bleiben Sie ruhig" oder "Wir sind die ökomenische Theatergruppe"
- Welches Verhalten sinnvoll ist, entscheidet jedeR individuell u. situationsbezogen

Im günstigsten Fall wird dabei erreicht, das Gegenüber zu binden - die Rede geht ungestört weiter. Kommen mehrere Personen auf Jesus zu, gehen mehrere Personen hinter einander mit Abstand (wichtig!) auf diese zu. Falls die RednerIn doch "verhindert" wird, können andere weiter machen, da alle den Text bei sich & vorher geübt haben. Für die Rede hatten wir etwa eineinhalb Minuten einkalkuliert - ein längerer Aufenthalt ohne in der Kirche erschien uns unrealistisch, da nach einem kurzzeitigen "Überraschungseffekt" mit Gegenreaktionen zu rechnen war.

Für den Fall heftiger(er) Konfrontation vereinbarten wir, dass der bzw. die Vorlesende entscheidet, d.h. sie direkt zum abschließenden Satz überleitet und wir die Kirche verlassen - eine offene Prügelei in der Kirche erschien uns nicht vermittelbar. Für den Fall, dass der beherzte Eingriff einer OrganistIn die Rede unmöglich macht, sind Schilder mit dabei ("2000 Jahre Christentum" - "Frauenunterdrückung" - "Hexenverbrennung" - "Holocaust" - "Missionierung" - "Krieg" - "Leben?"). Später beschlossen wir, dass die Schilder immer als visuelle Unterstützung der Rede zum Einsatz kommen.

Eine weitere Frage: Was passiert, wenn wir in die Aufführung eines Krippenspiels durch Kinder herein platzen? Es bestand die Sorge, dass Kinder sich eingeschüchtert fühlen, anfangen zu weinen, wir ihnen etwas kaputt machen. Von andere Seite kam gar die Idee, Kindern doch Bonbons zu geben. An diesem Punkt entfachte sich eine inhaltlich tiefe, kontroverse und emotional aufgewühlte Diskussion.
Aus Sicht einiger wurden diese Aussagen als kinderfeindliche "Behütermentalität" kritisiert, die Kinder als unterlegen, unvernünftig und ständig weinend konstruiere. Hinter den Bonbons stecke eine abwertende Logik ("die raffen es ja eh nicht"). Festgehalten wurde: Kinder werden in dieser Gesellschaft unterdrückt, als unmündig und minderwertig konstruiert. Die Situation in der Kirche sei nicht von Kindern selbst gewählt, sondern basiere auf Zwängen und Leistungsdruck, die von Erwachsenen durchgesetzt werden. Die Aktion, mit dem einzigen Argument, dass es sich um Kinder handele, abzubrechen, stütze diese Konstruktion - an der kinderfeindlichen Wirklichkeit ändern wir so nichts.

Statt der Rekonstruktion von Kindern als hilfloser Mindermenschen wurde vorgeschlagen, Kiddies als Menschen zu behandeln, d.h. dass sofort jemensch von uns zu den Kiddies geht, sich niederkniet und einfach erklärt, was unsere Aktion soll und dass sie sich nicht gegen sie richtet. Insgesamt eine bemerkenswerte Diskussion - auch in weiten Teilen linksradikaler Zusammenhänge "existiert" die Unterdrückung von Kindern einfach nicht - Tripple Opression ist oft das Ende der Fahnenstange.


2. Die Aktion

Auf unserer Route durch Gießen hatten wir fünf Kirchen eingeplant, die wir während des Nachmittagsgottesdienstes "besuchen" wollten, d.h. uns blieb eine Stunde Zeit. Also los...

Vor der ersten Kirche fragt ein Typ, ob wir dazu gehören. würden. Wir sagen im Vorbeigehen "Ja" und ziehen in die Kirche. Während wir durch de Gang nach vorne schreiten, endet die Orgelmusik - ein netter Zufall. Unsere Jesusfigur kann die Rede problemlos halten. Alles läuft (zu) perfekt, die Anwesenden bleiben still, viele nehmen Flugis entgegen. Wir haben den Eindruck, dass wir als Teil des Gottesdienstes wahrgenommen werden - ein zu schwacher Erregungskorridor. Nach eineinhalb Minuten sind wir schon auf dem Weg zur nächsten Kirche, sichtlich erleichtert u. motiviert. (Zu unserem Amusement befand sich in der Kirche auch der hessische Innenminister Volker Bouffier - bekannt für seine rassistische Unterschriftenaktion gegen die doppelte Staatsbürgerschaft.)

In der Johannes-Kirche kommen wir nur durch die erste Tür: Im Eingangsbereich versperren uns mehrere Kirchen-Menschen den Weg ("das geht jetzt nicht"), verweisen auf die Kiddies neben uns, die auf ihren Auftritt warten. Wir sind zu unentschieden und verzetteln uns in überflüssigen Diskussionen. Wir brechen ab, machen uns auf zur nächsten Kirche, nehmen uns aber vor, zum Abendgottesdienst zurück zu kehren...

In der dritten Kirche kommentiert der Pastor unser Erscheinen mit: "Da kommen Leute rein, die ich nicht kenne." Nachdem unsere Aktion startet, kommt der Pastor auf die Jesusfigur zu - wobei er sein Rednerpult verläßt: Ein anderer Aktivist realisiert die Chance, stellt sich vor das Mikro und führt die Rede weiter - mit Lautsprecherunterstützung. Der Pastor will uns zeigen, dass er in der Kirche der Chef ist, rüttelt hier und da, ist jedoch zu unentschlossen. Ein paar patriarchale Macker (Kirchenfunktionäre?) im Bereich der Tür sehen sich gerufen, kommen durch die Reihen, ziehen an Leuten von uns, die sich dagegen stellen. Nach Ende der Rede gehen wir bzw. werden in Teilen gegangen: Beim "Eskortieren" durch die Reihen werden einige Macker handgreiflich, die KirchenbesucherInnen reagieren nicht, manche pöbeln gegen uns. Jemand von uns ruft: "Ja, so seid ihr Christen!" Als einer von uns die Tür nach draußen öffnen will, schlägt ein Typ ihm auf die Hand - eine kurze "Antwort" - wir gehen. Ein paar Nachrufe - nicht ärgern...auf zur nächsten Kirche.

Als unsere Jesusfigur in die katholischen Kirche mit der Rede beginnt, analysiert der Pfarrer gewitzt: "Hier sind Leute, die eine grosse Öffentlichkeit erreichen wollen". Keine Angriffe. Aber gegen Ende der Rede fängt die Gemeinde einfach an zu singen - das Kollektiv wehrt sich in trauter Einigkeit! Den letzen Satz rufen wir zusammen im Chor, nach Verteilen der Flugis gehen wir nach draußen. Als wir die Außentreppe hinter uns haben, pöbelt uns ein junger Typ an, wir sollten doch das Grundstück verlassen. Aus der Kirche kommen drei, vier ältere Macker, die uns als "Chaoten" beschimpfen. Während wir sie in Gespräche verwickeln, fotografiert jemand von uns die Szene. Die Situation eskaliert - sie wollen sich auf den Fotographen stürzen, der bereits geflüchtet ist. Es bleibt bei Drohungen seitens der Typen und einigen lustigen Redewechseln: Dem jungen Macker rät einer von uns, er solle doch drinnen weiter onanieren. Antwort: "Ich hab das nicht nötig, zu onanieren." Gegenantwort: "Das ist eine Lüge".

Nach einer Verschnaufpause kehren wir zur Johannes-Kirche zurück. Auf dem Weg treffen wir die Absprache, dass wir diesmal direkt "durchbrechen". Im Eingangsbereich wartet ein einzelner, älterer Kirchenmensch. Wir sind längst an ihm vorbei, bis er sich umgedreht hat. Nur Jesus wird festgehalten. Die AktivistInnen verteilen bereits Flugis in den Reihen, alles schweigt und wartet gespannt. Jesus, gegen den Rahmen gedrückt, meint frech in die Stille: "Na dann halt ohne Kreuz", flutscht dem Typen durch die Finger, lässt das Kreuz seitlich fallen und geht nach vorn, die Rede haltend. Ein Mensch kommt auf uns zu, will unbedingt auch ein Flugi haben; andere machen uns wegen der Erwähnung des Afghanistankriegs an. Nach der Aktion reden wir noch nett mit dem Kirchentypen, der sich rechtfertigt, er habe nicht gewußt, wie er hätte reagieren sollen. Wir sind uns einig: der beste Versuch des Tages.

In der Paulus-Kirche, der letzten Station, verläuft die Aktion ähnlich reibungslos wie in der ersten: Die Gemeinde, samt dem Pastor, der seine Rede unterbricht, wirkt komplett "paralysiert". Ende der Aktionen, gute Stimmung auf dem Rückweg - wir fragen uns, wie es da drinnen wohl weiter geht.

Exkurs: Erregungskorridor auf Indymedia

Nach der Aktion entstand "plötzlich" ein weiter Erregungskorridor - auf Indymedia (www.de.indymedia.org/2001/12/12818 und www.de.indymedia.org/2001/12/12828), wo ein kurzer Aktionsbericht und der Flugitext zu lesen waren. Neben eher plattem Lob fallen vor allem Angriffe gegen uns auf, in denen Gottesdienst, Christentum mit Tabus belegt werden:
"Es ist eine Unverschämtheit eine religiöse Veranstaltung zu stören. Ihr seit auch nicht besser als Antisemiten. Kauft nicht bei den Juden geht in eine ähnliche Richtung."

Die Verbrechen der Kirche und des Christentums werden verharmlost u. runter gespielt - die Kritik an ihnen wird als faschistoid bezeichnet (oder mit Antisemitismus) gleichgesetzt:

"eure faschitoide haltung kotzt mich an" [...] "die linke ist in fragen von religionsfreiheit genauso intolerant und beizeiten sogar faschistoid wie nazis in fragen des rassismus und antisemitismus."

Durchgehend ist der Versuch Christentum und Kirche zu trennen, einen Gegensatz von guter Basis und bösen FunktionärInnen zu konstruieren. Dazu herangezogen werden z.B. Befreiungstheologen oder das Kirchenasyl, nicht gesagt wird, dass es sich dabei um Ausnahmen handelt(e). Völlig unverständlich fanden wir die Gleichsetzung von Christentum und "Linken":

"Letztlich wollen christInnen (die idealistisch sind) dasselbe wie Linke."

Solche Aussagen zeigen aus unserer Sicht, wie unklar in linksradikalen Zusammenhängen die eigenen Ziele sind: Selbst bei oberflächlichem Blick zeigt sich, dass Ideen wie Emanzipation u. Herrschaftsfreiheit mit Christentum nichts gemein haben.
Auf Kritik stößt auch die Aktionsform selbst:

"Und ich kann mir sehr gut vorstellen, dass innerhalb einer solchen Stimmung, [...] in einer anerzogenen Trance und voller naiver Gewissheit, dass eine Kirche der perfekte Zufluchtsort ist, eine solche Aktion ein hochgradig traumatisches Erlebnis ist. Die Wirkung ist wahrscheinlich heftiger als ein direkter Ueberfall. Und selbst die, die das alles noch halbwegs psychisch verkraften, werden ab sofort jedes Jahr in der Mette an diese Aktion denken."

Diese Verurteilungen sind aus unserer Sicht unverständlich und überzogen, da zwei Minuten Theater in einer Kirche relativ "harmlos". Wenn selbst eine low-level (Theater-)Aktion wie diese von Linken angefeindet wird, belegt das die Schwäche einer Bewegung, die sich keinen Protest jenseits von Latschdemos vorstellen kann: kreativer und konfrontativer Widerstand ist so nicht realisierbar.
Nur noch peinlich finden wir den Versuch, uns mit dem deutschen Mob zu vergleichen:

"Ihr seid nur die andere Seite der Medaille des Mobs, der hierzulande sich schon einmal in Form der "Volksgemeinschaft" sich konstituiert und gewütet hat!" (Kein Kommentar dazu!)

Offene Fragen sind, ob es sich dabei tatsächlich um linksradikale Positionen handelt; denkbar ist auch, dass VS o.a. gezielt in die Debatte eingreifen. Fest steht aber: Leute, die womöglich ihre erste Aktion durchziehen, und sich solchen Reaktionen konfrontiert sehen, werden eingeschüchtert und nicht gerade zu weiteren DAs ermuntert!

An dieser Stelle soll gesagt sein, dass wir keineswegs (Selbst-)Kritik abweisen wollen (diese findet sich unten!), nur fanden wir es offensichtlich, dass die meißten Anschuldigungen einfach nur diffamierend waren und eine krasse inhaltliche Orientierungslosigkeit zeigen - konstruktive Auseinandersetzung: Fehlanzeige. Folgender Kommentar spiegelt auch in etwa unsere Einschätzung wieder:

"Die Reaktion sowohl einiger Kirchenvertreter (-väter, -herren) als auch einiger Menschen hier bei Indymedia auf die Aktion spricht ja wohl für sich: Da wurde anscheinend sehr kreativ ein sehr sehr brisantes Thema aufgegriffen/angesprochen. Die Reaktion mit Schlägen vor Ort als auch mit (den obligatorischen) Intoleranz- bzw. Faschismusvorwürfen im Netz zeigt deutlich den wunden Punkt."


3. Nachbereitung

Im Rückblick wurde die Aktion von uns insgesamt als positiv bewertet. Hervorgehoben wurde, dass sie die Atmosphäre eines "Trainings" hatte, was insbesondere für AnfängerInnen interessant sein könnte. Wichtige Aspekte:

- Extreme Nähe von Aktion u. Reflexion: Auf dem Weg zwischen den einzelnen Kirchen fand quasi bereits die Auswertung statt
- Da es mehrere, aufeinander folgende Versuche gab und die Situation in jeder Kirche anders war, konnten wir gut vergleichen und Verbesserungen direkt ausprobieren (Lerneffekt)
- Geringe Repressionsgefahr, selbst wenn die Polizei alarmiert wurde
- Wir bestimmen die Form der Aktion u. die Größe der Aktion: Die Kirchen stellten eine überschaubare Örtlichkeit dar, wo dies gut möglich ist

Der Abbruch in der Johannes-Kirche wurde im Nachhinein begrüßt, da es dazu keine Absprache gab und eine Prügelei im Eingangsbereich kontraproduktiv gewesen wäre. Der zweite Anlauf wurde als positiv bewertet, weil wir uns nicht einfach geschlagen gegeben haben.

Kritik an der Aktion:

- Insgesamt war die Aktion zu aufklärerisch, d.h. uns fehlte eine Aktionsform, um das Prügeln zu "vermitteln". In dieser Situation wäre es cool gewesen, das direkt gegenüber der Gemeinde zu thematisieren, z.B. mit der Parole "Auch heute wird in Kirchen geprügelt!". Denkbar gewesen wäre auch eine satirische Überspitzung, indem alle AktivistInnen lautstark Prügel "einfordern", auf den Knien robben usw. Wichtig ist, die Eskalation als Aktionsmoment mitzudenken und in die Aktion einzubeziehen.
- Wir hätten etwas in der Kirche hinterlassen sollen, dass nicht so leicht verdrängt werden kann wie ein Flugi, z.B. ein Haufen Asche oder eine Kunstblutlache vor dem Altar (als materialisierte Anklage, als Symbol für die Opfer des Christentums). Wenn das dann weggefegt wird, ist die Symbolik um so eindeutiger
- Wir hätten genauer durchdenken können, wie Kircheninventar - und Räumlichkeit mit einbezogen werden kann

Weitere Eindrücke zum Gesamtprozeß:

Der Prozeß wurde von uns als sehr kooperativ und konstruktiv empfunden: Die intensive Vorbereitung und die produktiven Diskussionen haben uns erstaunt und Kraft gegeben, insbesondere da die Aktion sehr kurzfristig geplant wurde u. die Gruppe sich erst kurz zuvor zusammenfand. Gut war, die Kontroverse um den Umgang mit Kiddies nicht abgebrochen zu haben u. es dadurch nicht zur Spaltung kam.
4. Ausblicke...

Wir erhoffen uns, dass wir mit unsere Aktion vielen Leuten Mut machen können, dass es viel schöner ist, selbst zu denken, gemeinsam Aktionen selbst zu gestalten, als jedes Wochenende mit langweiligen Latschdemos zu verbringen. Wir wollen rüber bringen, dass nicht Größe entscheidend sein muss: Direkte Aktion kann auch mit kleinen Mitteln wirksam sein. Wichtig ist: wir als Gruppe bestimmen, wo, wann und mit welcher Aktionsform wir eingreifen. Wir überlegen uns vorher, was wir erreichen wollen, um unsere Aktion an den angepeilten Zielen auszurichten! Sicher geht es kreativer, vielfältiger und druckvoller - doch da hilft Meckern wenig - statt dessen seid ihr gefragt!

Unsere Aktion ist hoffentlich kein Einzelfall: Ein Jahr, in dem die Herrschenden nie sicher sein können, wann, wo und wie die nächste Aktion läuft, nicht nur bei den großen Events, würde schon einige unserer widerständigen Phantasien erfüllen. Ein Jahr, in dem kreative Basishoppel, Gruppen - und Zusammenhänge (statt Zentralisten, "Poserautonomen" u. ModernisierInnen des Apparats) das Geschehen bestimmen und sich die Idee einer Organisierung von unten verbreitet, wäre selbstverständlich noch netter!

Nächstbeste Gelegenheit sein könnte z.B. die NATO-Tagung in München im Februar. Angedacht sind neben einer Großdemo auch "Carnival against NATO" und direkte Aktionen in der ganzen Stadt. Kurz vor der Tagung soll es noch ein Direct-Action-Training in München geben, um sich angemessen vorzubereiten.

Aufrufe zu und Informationen über die Gegenaktivitäten unter www.buko24.de/nato.htm. Debatten, Texte, Mailingliste und Infos zu Organisierung von unten und Direct Action unter www.hoppetosse.net.
Indymedia ist eine Veröffentlichungsplattform, auf der jede und jeder selbstverfasste Berichte publizieren kann. Eine Überprüfung der Inhalte und eine redaktionelle Bearbeitung der Beiträge finden nicht statt. Bei Anregungen und Fragen zu diesem Artikel wenden sie sich bitte direkt an die Verfasserin oder den Verfasser.
(Moderationskriterien von Indymedia Deutschland)

Ergänzungen

merci für die ausführliche

messerjocke 30.12.2001 - 14:10
darstellung eures projektes,ich halte die aktion weiterhin für ne gelungene provokation, zu der sich kritikerinnen wie auch sympatisantinnen in epischer breite bereits bei indymedia oder auf hoppetosse ausgelassen haben.das christentum ist aktuell sicherlich nicht der nabel der welt,aber der ethische raum in der brd ist schon stark christlich geprägt und somit öffentlichkeitswirksam inszenierbar.ich werde die idee in meinem nächsten film mitverwursteln.

Na Klar Jede Revolution ist Ketzi!

Nina 30.12.2001 - 14:31
Anarchie und Revolution richten sich gegen Eingefahrene Verkrustete Strukturen, und werden von den Vertretern dieser Strukturen immer als Ketzi defamiert, Ketzi sollte aber Nicht Agressiv sein.

Also!

Martin 30.12.2001 - 16:28
Erstmal: Schön, dass ihr das reingestellt habt - sehr nachvollziehbar und, denke mal, ehrlich. Besonders die Stelle mit den Kindern finde ich, wie soll ich sagen... lieb. (Echt!) Es ist alles soweit sehr nachvollziehbar und ich find´s auch wenn´s provokativ ist irgendwo ok, aber an einer Stelle setzt meine Unterstützung aus: Kunstblut vor dem Altar. Ich halte es nicht für vertretbar, einen von Gläubigen als heilige Stätte angesehenen Ort zu beschädigen und ich könnnte mir auch vorstellen, dass ihr damit verhindert, dass einige doch mal über eure Aktion nachdenken - und das ist doch der Sinn, oder? Also vertraut doch etwas mehr auf Eure Argumente!

Frage

Christ 30.12.2001 - 17:01
Was ist eigentlich Christentum, hm ? Was versteht ihr unter dem Begriff ?

Nicht die Kritik verwechseln

mannheim-68erz 30.12.2001 - 18:00
Coole Aktion und tausendmal danke für die genaue Beschreibung. Ihr schreibt allerdings über Kritik, die auf Indymedia gegenüber eurer Aktion aufgekommen sei. Ihr dürft allerdings die Kritik an einer Aktion, die in einem Kommentar unter eurem ersten Artikel beschrieben wurde, nicht mit Kritik an eurer Aktion verwechseln. Bei der anderen Aktion wurde eine Kirche massiv angegriffen, die Menschen vertrieben und das Inventar mit Farbe geschändet! Das war REIN DESTRUKTIV. Ihr habt allerdings eine intelligente Aktion durchgeführt, wobei unnötige Eskalation vermieden wurde und die Verhältnismäßigkeit der Mittel gewahrt blieb. Also: reeeespect

Religion ist Opium fürs Volk

oliver m. 31.12.2001 - 00:53
Und wer Drogen nehmen will und dabei fried lich bleibt, mit dem hab ich kein Problem.
Ich hoffe ihr habt bei eurer Aktion keine Kirche ausgesucht, die Kirchenasyl gewährt oder in anderer Weise "positive" arbeit leistet. Und einen solche Aktion in (deutlich fundamentalistischeren) moslemischen oder jüdischen Gemeinden durchzuführen traut ihr euch bestimmt auch nicht ...

Religion ist Opium für das Volk

Oliver M. 31.12.2001 - 01:07
Und wer Drogen nehmen will und dabei fried lich bleibt, mit dem hab ich kein Problem.
Ich hoffe ihr habt bei eurer Aktion keine Kirche ausgesucht, die Kirchenasyl gewährt oder in anderer Weise "positive" arbeit leistet. Und einen solche Aktion in (deutlich fundamentalistischeren) moslemischen oder jüdischen Gemeinden durchzuführen traut ihr euch bestimmt auch nicht ...
Und mich als Linken kotzt es auch an, wenn irgendwelche konservativen Spiesser mir die Opfer des Stalinismus vorwerfen. Man kann nicht die Christen von heute für die Fehler von früher verantwortlich machen, auch wenn man darauf hinweisen sollte. Vielleicht hab ich euch auch nicht ganz veratanden, aber man kann halt nicht alles vergleichen...

Reflexion

Reflektor 31.12.2001 - 02:14
Zu den Raktionen: Ein Grund für die Raktionen ist die Tatsache, daß Texte im Netz oft nur oberflächlich
gelesen werden. Zusätzlich war die Einleitung sehr martialisch geschrieben - vom Titel ganz zu schweigen.
Meine erste Assoziation war, daß Gewalt gegen Christen gerechtfertigt werden solle. Daß es sich um eine
Theateraktion handelte, bemerkte ich erst später.
Ihr solltet mal versuchen rauszubekommen, wie die Kirchgänger im Nachhinein darüber denken.
Vorschläge: Wie wäre es mal solche Aktionen bei Weihnachtskonsumwahn durchzuführen? Da sind die
Spiesser besonders gereizt - und das zum Fest der Liebe.

Provo bringt nichts

31.12.2001 - 11:48
Ja, das sieht man schon mal wieder das Innere dieser Planung:
"Wir agieren, wir bestimmen das Geschehen, nicht umgekehrt"

Tolle Idee, einen Raum zu besetzen, das Geschehen bestimmen zu wollen, die freie Religionsausübung zu stören und sich dann über den Rauswurf beschweren. Aktionen dieser Art sind kontraproduktiv. Denkt mal über eure faschistoiden Org-muster nach.

Sicher, so etwas stärkt den Gruppenzusammenhalt, da kann man sich richitg gut fühlen, man schafft sich viele Feinde. Super! Aber so eine Aktion ÜBERZEUGT die Menschen nur davon, dass sie Euch nicht mögen. freilich, dann kann man sich nett über die Repression beklagen, wenn man rausgeworfen wird... Mal schauen, was ihr sagen würdet, wenn bei euch demnächst die Gemeinde aufkreuzt und ihren Kram zelebriert.

-

- 31.12.2001 - 13:57




Hallo Bulle! Der Fascho bist Du! Andere Meinungen -also auch das kritisieren der Religionen- ist verboten,
ja? Alles Faschos, die andere Meinungen haben? Bloß nicht inhaltlich werden, wa?

Weitere Infos

Hopp & toss 31.12.2001 - 22:56
Download der Aktionsauswertung: www.projektwerkstatt.de/topaktuell/dan/weihnix.rtf.

Erster Kurzbericht von Aktion mit Diskussionen hier auf Indy (auch Fotos, leider nicht so dolle mit Billig-Digi): www.de.indymedia.org/2001/12/12818.html.

Text hinrotzen + kein Name?

sektenbeauftragter 03.01.2002 - 10:58
anonymus wrote:............................................ Tolle Idee, einen Raum zu besetzen, das Geschehen bestimmen zu wollen, die freie Religionsausübung zu stören und sich dann über den Rauswurf beschweren. Aktionen dieser Art sind kontraproduktiv. Denkt mal über eure faschistoiden Org-muster nach. ............................................... #####Grundsätzlich ist dieser Kommentarstil nicht auf Diskussion ausgerichtet und somit an sich wertlos für einen weiterführenden Prozess.Trotzdem will ich einige Punkte anmerken:Der anonymus will eine Linie ziehen von der Aktion zu faschistoiden Orgastrukturen und meint eigentlich seine geforderte Respektierung von freier Religionsausübung. Diese direkte Aktion mit faschistischen Praxismustern zu vergleichen ist aber eine Verniedlichung des Faschismus.Sicherlich haben die Hoppetossistas jeden heimgesuchten Gottesdienst für 90 Secunden provokant gestört.Der Text von anonymus lasst allerdings keine anderes Kriterium als das Anerkenntnis der bestehenden Gepflogenheiten erblicken.Um das aber nicht so platt zu benennen,wird die Faschismuskeule geschwungen.Ein armseliges Unterfangen.Ich akzeptiere nicht die Abschwächung von faschistisch auf faschistoid,da die Intention klar ist:Die Akteure sollen in eine politische Ecke gestellt werden,in die sie definitiv nicht gehören.Es soll rechtschaffen und geordnet zugehen in der BRD,mehr sagt anonymus nicht.Ich teile diese Forderung natürlich nicht. ######

...anonymus wrote:.......................................... Sicher, so etwas stärkt den Gruppenzusammenhalt, da kann man sich richitg gut fühlen, man schafft sich viele Feinde. Super! Aber so eine Aktion ÜBERZEUGT die Menschen nur davon, dass sie Euch nicht mögen. freilich, dann kann man sich nett über die Repression beklagen, wenn man rausgeworfen wird... Mal schauen, was ihr sagen würdet, wenn bei euch demnächst die Gemeinde aufkreuzt und ihren Kram zelebriert.
............................................................
###### Anonymus betrachtet nur die eine Seite:Die Christen in der Kirche. Die Akteure werden als defizitäre Neurotiker dargestellt,die kein anderes Ziel hätten,als sich Feinde zu schaffen.Einmal ebgesehen von der Ausblendung zentraler Ideen der Hoppetossistas durch anonymus, greift der angenommene Horizont von ChristInnen zu kurz.Als wenn Christinnen nur in der Lage wären,Feindschaft gegenüber solchen Aktionen zu entwickeln.Diese Aktion hat den Prozess der Weihnachtsbetrachtung gestört,was in den Köpfen der Christinnen weiter vorgeht bleibt im Unbekannten,wir können spekulieren.Chrsitinnen sind in Kirchen in den seltensten Fällen Akteure,das gebietet die Tempelsituation,Vhristin sitzt in der Bank konsumiert ein Ritual.Die teilweise rabiaten Reaktionen der Kirchenangestellten sind ja geradezu gewünscht von den Hoppetossistas, um eine weiterführende Ausenandersetzung mit der Aktion zu gewährleisten.Die regelrechte Reaktion der Kirche ist aber das Herunterbrechen der dort bekannten, provokanten Thesen zu bereits verarbeiteten Flecken in der Kirchengeschichte (Inqisition + 3. Reich)oder illegetimer Kritik von Aussen.Diesen Status anzugreifen funktioniert nur mit Provokation,ob nur in der vorgelegten Form,ist strittig diskutierbar.Aber ich erwarte von einem weiterbringenden Kommentar mehr Substanz und Sachkritik als hier gebracht wurde!!!War hier wohl nicht der Fall. ########