Eine Neuauflage der Spannungsstrategie

Gerhard Feldbauer 21.09.2001 00:26 Themen: Repression
Nach den blutigen Ausschreitungen der Polizei in Genua erschüttern Terroranschläge, die Ankündigung weiterer und Morddrohungen die italienische Öffentlichkeit.
Eine Neuauflage der Spannungsstrategie
Terror soll Berlusconi-Fini-Regierung festigen
Nach den blutigen Ausschreitungen der Polizei in Genua erschüttern Terroranschläge, die Ankündigung weiterer und Morddrohungen die italienische. Öffentlichkeit.
Vor dem Justizpalast in Venedig explodierte ein Sprengsatz und richtete schweren Sachschaden an. Zu dem Attentat bekannte sich die faschistische Falange armata, die weitere androhte, falls die Ermittlungen gegen die Polizei nicht eingestellt würden. "Niemand greift ungestraft die Hüter der Ordnung an", hieß es in einem Flugblatt der Falange, die von der Berlusconi-Regierung hartes Durchgreifen forderte. Die Drohungen gelten direkt dem die Untersuchungen leitenden Staatsanwalt Felice Casson, der 1990 die Aufdeckung der Verbrechen der Gladio-Truppen leitete.

Kurze Zeit später detonierte vor dem Sitz der rassistischen Lega Nord in Padua ein Sprengsatz und richtete schweren Schaden an. Auf der Eisenbahnstrecke vor La Spezia explodierte eine Bombe ohne größere Zerstörungen zu verursachen. Die Anschläge nach Venedig trugen jedoch ein aus der Vergangenheit gut bekanntes "linkes" Etikett. Eine sofort einsetzende Propagandawelle der Berlusconi-Medien soll den Eindruck vermitteln, als seien die Roten Brigaden und andere linksextreme Gruppen wieder auferstanden, führten Terrorakte durch und drohten weitere an. Die Bekennerschreiben tragen neben dem der Roten Brigaden pseudorevolutionäre Namen wie Nuclei (Nuclei = Zellen) territoriali antiimperialiste oder Comitato rivoluzionario und verkünden, man werde demnächst auch "die Polizei treffen" oder "einen Minister erschießen". Auch Berlusconi will eine Morddrohung erhalten haben. Damit die Kommunisten als Drahtzieher des Terrors ins Visier genommen werden können, teilen aus den Siebzigerjahren bekannte Nuclei armati rivoluzionari (NAR) mit, dass sie die "kämpfende kommunistische Partei" verkörpern.

Was bildet den Hintergrund dieser so urplötzlich einsetzenden "linken" Terrorwelle? Sie soll die faschistischen Ausschreitungen der Polizei in Genua rechtfertigen sowie Berlusconi und Fini den Vorwand für das weitere repressive Vorgehen gegen die Opposition und die Unterdrückung jeder Kritik an ihrer Regierung liefern sowie ihr ramponiertes demokratisches Outfit wieder aufpolieren. Dazu wird ein altes Konzept neu aufgelegt: Die aus den 70er und 80er Jahren bekannte Spannungsstrategie.

Bei dieser Strategie handelt es sich um jenes Ende der 60er Jahre von der CIA und ihren italienischen Partnerdiensten entwickelte Konzept der Unterwanderung und Manipulierung linksradikaler Gruppen durch Polizei- und Geheimdienstagenten, die deren teilweise gewaltsames Vorgehen gegen die faschistische Gefahr systematisch zum bewaffneten Kampf anheizten, der in die sogenannten "bleiernen Jahre" mündete. Die Pariser "Le Monde" schätzte damals ein, dass wenigstens zehn Prozent der Mitglieder linksradikaler Organisationen Polizeiagenten waren. Die blutigen Terroranschläge, die Hunderte Tote und Tausende Verletzte forderten, verübte durchweg die geheime NATO-Truppe Gladio in Zusammenarbeit mit faschistischen Terroristen. Den Höhepunkt bildete im Frühjahr 1978 die von US- und italienischen Geheimdienstagenten inszenierte Entführung und Ermordung des linken christdemokratischen Parteiführers Aldo Moro durch die Roten Brigaden, welche die Aufnahme der IKP in die Regierung vereitelte und die Regierungsachse nach rechts verschob. Als Führungszentrale der Spannungsstrategie entstand, wie u. a das langjährige Mitglied der Parlamentskommission zum "Fall Moro", Sergio Flamigni, beweiskräftig enthüllte, unter der Regie der CIA die Putschloge P2, die per kaltem Staatsstreich ein Regime faschistischen Typs errichten wollte. Zu ihrer Führungsriege, dem sogenannten Dreigestirn, gehörte der heutige Premier Silvio Berlusconi.

Wie regierungskritische Zeitungen enthüllten, zeigten insbesondere der blutige Polizeiterror in Genua sowie die Reaktionen der Regierung danach ein Szenarium, das den Plänen der P2 zum Verwechseln ähnelt. Das betrifft insbesondere das in Genua erfolgte Agieren von Polizeiagenten im "schwarzen Block" und von Hunderten Faschisten der mit der AN eng liierten Forza Nuova, die ebenfalls als schwarz gekleidete Anarchisten auftraten. Das von der P2 verfolgte Ziel, eine linke oder Mitte-Links-Regierung zu verhindern, ist mit dem Machtantritt der profaschistischen Berlusconi-Regierung erreicht worden. Nun geht es dem Regierungschef darum, sein nach Genua in die Krise geratenes Regime zu festigen, die angekündigte Ausschaltung der Kommunisten und Sozialdemokraten sowie jeglicher Opposition in Angriff zu nehmen, die Säuberung der öffentlichen Dienste und die Errichtung eines autoritären Regimes in Gestalt einer Präsidialherrschaft durchzusetzen. Als nächstes sollen, wie Lega-Chef Bossi, Minister für "Reformen", ankündigte, die Polizei und die Geheimdienste von "linken Elementen", die er der Komplizenschaft mit Terroristen wie der NAR bezichtigte, gesäubert werden.

Der Versuch einer Neuauflage der Spannungsstrategie offenbart, dass der Terror, ein Wesensmerkmal der faschistischen Bewegung in der ganzen italienischen Nachkriegsgeschichte, zu einem maßgeblichen Instrument der Machtausübung der Berlusconi-Fini-Regierung wird. Die "Liberazione" warnte, eine Neuauflage der "Strategie der P2", der "Intrigen der bleiernen Jahre" und der "faschistischen Massaker" nicht zu unterschätzen und dieser Gefahr entschlossen entgegenzutreten.

Gerhard Feldbauer
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Ergänzungen

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xxx 21.09.2001 - 04:17
und was das schlimme an der ganzen sache ist: jetzt, wo der reaktionäre rollback so weit fortgeschritten ist, werden
diese dinge in anderen europäischen staaten übernommen (siehe spanien in den letzten monaten). oder wer weiss,
wozu die wahrscheinlich illegal aufgebaute ksk alles eingesetzt werden wird. zu genua: wie es scheint, wurden die
italienischen gefangenen deshalb schnell wieder freigelassen, da klar war, daß einige wochen später (wenn der
medienfokus woanders ist) die große verhaftungswelle folgt....

Gerd Rubenbauer

Fiat Panda 21.09.2001 - 04:25
Deutschland wurde doch in Italien Weltmeister, oder nicht? Aber Spaß beseite: Gibt es zu Aldo Moro, den Roten Brigaden und dieser Zeit vielleicht irgendeinen Literaturtip, der das alles zitierfähig beschreibt? Wäre geil.

Bücher zum Thema Rote Brigaden usw....

calvin 21.09.2001 - 10:51
- "Die goldene Horde"-Arbeiterautonomie,Jugendrevolte und bewaffneter Kampf in Italien;von P.Moroni und N.Balestrini
Verlag Schwarze Risse,Rote Strasse

- "Mit offenem Blick"-Ein Gespraech zur Geschichte der Roten Brigaden in Italien;von R.Curcio,M.Scialoja
ID Verlag

und es gibt bestimmt noch mehr zu dem Thema

21.09.2001 - 17:29
Wie kommst du darauf, dass die Entführung von Aldo Moro eine Inszeniernung von us-amerikanischen und italienischen Geheimdiensten sei?

Buchtip

buchbolschewik 21.09.2001 - 20:33
Der Autor des Artikels, Gerhard Feldbauer, ist Fachmann in Sachen Gladio, Spannungstrategie etc.. Zu empfehlen ist sein Buch "Agenten, Terror, Staatskomplott - Der Mord an Aldo Moro, Rote Brigaden und CIA" im Papyrossa-Verlag im Jahre 2000. ISBN-Nr.3-89438-207-4

Feldbauer ist Fachmann in Verschwoerung

Billy the kid 08.11.2002 - 19:19
Feldbauers Buecher sind ueberhaupt nicht empfehlenswert. Er vertritt die klassische KP-Position nach der alle links von der KP Faschisten, Provokateure oder Geheimagenten sind.
In der Tat vertritt Feldbauer auch immer wieder Aldo Moro sei von den ROten Brigaden gekidnappt worden, weil diese von westlichen Geheimdiensten unterwandert gewesen seien, die die Machtuebernahme der KP verhindern wollten....

Literatur

jamie 12.11.2002 - 12:40
also noch als Ergänzung zwei Literaturtips zur Strategie der Spannung:

Dario Fo: "Zufälliger Tod eines Anarchisten"
(eine Art Groteske/Theaterstück) Rotbuch Verlag

Luciano Lanza:
"BOMBEN UND GEHEIMNISSE. Geschichte des Massakers von der Piazza Fontana" Edition Nautilus Hamburg, 1999.