Zur Anheizung der Gewaltdiskussion

1 reisechaot, u.a. als service für j. aus hb 08.08.2001 17:22
Irgndwann in einer dieser ausufernden Debatten zur Gewaltfrage, bin ich nach einer Erläuterung meines Gewaltbegriffs gefragt worden, let's go...
Folgender Artikel gibt, so glaube ich, einige Anregungen für die derzeitige Gewaltdiskussion. Anlass war nicht Genua oder Göteborg sondern die Diskussion um Fischer und RAF. Die Teile zu dieser Debatte habe ich drin gelassen, weil ich denke, dass sie auch dazu dienen können, den spezifisch deutschen Umgang mit den Ereignissen in Genua zu beleuchten. Bei der Diskussion, die hier so intensiv geführt wird, ist ein Begriff von Gewalt fast völlig abwesend, sowohl bei den "GewaltbefürworterInnen" als auch besonders von denen, die "Gewalt ablehnen". Als Anregung zu einer Diskussion um diese Voraussetzung soll dieser durchaus nicht anspruchslose Text dienen.

GEWALT? ABER BITTE NICHT BEIM ESSEN
von Holger Schatz
aus Gigi. #13, Mai/Juni 2001

Rechtzeitig zu den Feierlichkeiten anlässlich des 300. Jahrestages der Krönung Friedrichs 1. von Preussen vergewissert sich die deutsche Gesellschaft jener edelmütigen Tugend, die ausländische Beobachter seit ehedem zu spöttischen Kommentaren verleitete: "Wenn Deutsche einen Bahnsteig besetzen wollen, lösen sie zunächst eine Fahrkarte."
Was sich in diesen Wochen in der Debatte um Fischers oder Trittins "miltante Vergangenheit" an Absurditäten , historischen Verdrehungen , Kniefällen vor dem staatlichen Gwaltmonopol usw. vernehmen lässt, kennt man eigentlich zur Genüge. Man kennt die Reduktion des Gewaltbegriffs auf die Erscheinungsform, mit Hilfe derer stets rechte und linke Gewalt gleichgestzt und im Nachkriegsdeutschland der Judenmord auf die RAF projiziert wurde. Man kennt auch die Zuschreibungen, die beispielsweise von den erbärmlichen Selbstzeugnissen eines Joschka Fischer mit Leben erfüllt werden: narzistisch, machistrisch, autoritär - ein deutscher Zwangscharakter gar.
Irritierend bei der aktuellen Hysterie scheint allein die Tatsache, dass im vergleich zu früheren Wellen des Distanzierungswahns so gut wie garkeine linke Militanz mehr existiert, dafür aber die politisch motivierte Gewalt seit den 90ern zunehmend von rechts ausgeht.
Immerhin gibt es auch solche Stimmen, die auf den Unteschied zwischen Gewalt gegen "Oben" und Gewalt gegen "Unten" pochen und gleichzeitig die Relationen zwischen dem vergleichsweise lächerlichen Faustschlag Fischers und den zahlreichen Knüppelorgien hochgerüsteter Uniformträger zurechtrücken. Allein, auch das nach Wahrheit und Objektivität trachtende Aufrechnen und Vergleichen rechter und linker, polizeilicher und autonomer Gewalt bedient sich eines Gewaltbegriffs, der von einer gewaltfreien Normalität ausgeht.
Manchmal scheinen jedoch in den Lobreden auf die zivilisatorischen Errungenschaften der freien, gleichen und schließlich gewaltfreien Verkehrsformen der bürgerlichen Gesellschaft Irritationen durchzuschimmern. Denn die Lobrede auf die Gegenwart kommt ja nicht ohne die Erzählung des dunklen Vergangenen aus und könnte uns vielleicht daran erinnern, dass der Begriff "Gewalt" einst von denjenigen definiert wurde, die sie ausübten, und dass Gewaltverzicht immer jenen abverlangt wurde, die sie erdulden mussten. Damals als es noch Herrscher und Beherrschte gab.
Beim Erzählen dieser Hollywood gewordenen Geschichte darf geweint werden - heute da es keine Herrscher mehr zu geben scheint und die Menschen sich selbst beherrschen.

"Heydrichs teutonische Erben" als Projektionsfläche deustcher Vergangenheitsbewältigung.

Das angebliche Ende der Geschichte und damit auch das Ende der legitimen politischen Gewalt, das die bürgerliche Gesellschaft so euphorisch ausruft, zeitigt freilich in Deutschland eine besondere Note. Gemeint ist hier zunächst jener spezifisch deutsche Kadaver gehorsam, jene Untertanenmentalität, die nur allzu oft ein Mehr an revolutionärer Gewalt verhindert hat, wo es nötig gewesen wäre. Gerade das liberale Feuilleton, das sich aufgrund seiner Schelte gegen die allzu plumpe Popanz- Inszenierung seitens der parlamentarischen Opposition über den Dingen stehend wähnt, übertrifft das konservative Lager in Sachen Affirmation des Bestehenden um Längen. So schreibt Ursula März in einer Rezension des Romans "Rosenfest" von Leander Scholz in der Frankfurter Rundschau vom 10. März 2001: "Der Drang, den Außenminisater als Revolutionsbrecher festzunageln, entspringt der gleichen Phantompolitik, auf der die Selbstkultivierung der RAF zu Revolutionshelden beruht. Die Idee, ein Mensch müsse sich daran erinern können, mit wem er vor über 20 Jahren gefrühstückt hat, und er sei, falls das Frühstück im Beisein einer Terroristin stattfand, als Politiker nicht mehr targbar, zieht zwar keine Mordattentate nach sich. Aber sie ist so irre wie die Überzeugung jener Terroristin, in einer Art zweitem Nazi-Staat auf die Welt gekommen zu sein."

Phantompolitik

Wer also immer noch glaubt, für den Ausbruch militanter und bewaffneter Praxis in Deutschland nach 1945 gesellschaftliche Gründe vorfinden zu können, der muss offensichtlich unter Halluzinationen leiden. Der Versuch, die RAF irgendwie in Verbindung mit der SS zu bringen ist zwar nicht neu. Solange jedoch der Nationalsozialismus tendenziell eher verdrängt werden musste, konnte diese Projektionsleistung kaum annähernd eine solche diskursive Attraktivität ausstrahlen wie heute, da allerorten "offen" mit dem Nationalsozialismus umgegangen wird. Grundlage dieser Offenheit ist jedoch unter anderem das stille Einverständnis, dass die Nach-45-Gesellschaft - von personellen Kontinuitäten abgesehen - nichts, aber auch garnichts mit ihrer Vorgängergesellschaft gemein habe. Die Ironie der Geschichte ist nun die, dass gerade die RAF, die ja am vehementesten von einer faschisierten Gesellschaft sprach - wofür sie bis heute so gehasst wird - , eben dieser Verdrängungsleistung zuarbeite. Denn in Wirklichkeit ist das strukturelle, aber auch das ganz praktische Fortwirken des Nazismus viel tiefschichtiger als es die RAF, für die der Faschismus "nur" die zugespitzte Herrschaft des Großkapitals gegen das "Volk" darstellte, je benennen konnte.
Mit der gelungenen Einfügung des Geredes um die RAF in das von der "Aufarbeitung der NS-Vergangenheit" hat die Entpolitisierung und Dethematisierung des bewaffneten Kampfes nun also eine weiter Facette hunzu gewonnen. Die popkulturellen Artefakte der letzten Jahre über schöne, Sex treibende Menschen, die alle ihre Psychosen und zufällig auch noch Knarren im Gepäck hatten, werden wohl bald um einen neuen Plot ergänzt werden müssen. Dann nämlich, wenn Götz Aly "RAF-RZ: Heydrichs teutonische Erben" inszeniert.
So fühlt man sich also provoziert, arbeitet sich am bewaffeneten Kampf ab und gerät schließlich in Versuchung, diesen zu legitimieren, als ob es darum ginge. Denn die eigentliche Re-Politisierung und -Thematisierung der Militanz in Zeiten wie diesen bestünde doch darin, ihren ureigensten kritischen Gehalt aufzugreifen: das Reden über das Wesen und die Verfasstheit einer Gesellschaft, die selbst und gerade in ihrer banalen, unspektakulären Normalität vor Gewalt nur so strotzt.

Strukturelle Gewalt und bürgerliche Schizophrenie

Das Gesicht der Gewalt und mit ihr auch ihre Wahrnehmung hat sich stetig verändert, seitdem direkte, persönliche Herrschaftsbeziehungen, willkürliche despotische Gewalt dem kapitalistischen Modernisierungsprozess im Wege zu stehen begannen. Es ist kein Zufall, dass gerade das Bürgertum als die treibende Kraft der Gewalttransformation am schnellsten den schizophrenen Ekel vor den sichtbaren, riechbaren und hörbaren Ausdrücken der Gewalt entwickelte und zugleich das philanthropische Geschäft der Unsichtbarmachung von Gewalt ersann.
Heute ist die Gewalt in der Tat verbannt und verdrängt. Und doch ist sie als stumme Gewalt umfassender und unnachgiebiger präsent als je zuvor: als verobjektiviertes, quasi naturgesetzliches Ensemble von Zwängen, welche die bürgerliche Produktionsweise bis in die letzte Zelle menschlichen Lebens einpflanzt, ohne dass es hierzu einer befohlenen, offenen Gewaltanwendung bedürfte. Wäre das kapitalistische Prinzip tatsächlich eines unter vielen, eines das man wählen könnte, wie es der ideologische Schleier nahelegt, dann könnte wahrlich nicht von Gewalt gesprochen werden. Doch man spiele einmal den naiven Gedanken durch, sich der "Wahl" entziehen zu wollen und mit ein paar Dutzend frei assoziierter Gleichgesinnter auf einem Stückchen Land die Produktion nach Maßgabe der eigenen Bedürfnisse, in die Hände nehmen zu wollen ... Freiheit, Gleichheit, Gewaltfreiheit: wo immer man sie auch zu finden galubt, das Kapitalverhältnis ist immer schon da.
Der Geltungsanspruch des bestehenden Kapitalverhältnisses, das die Beziehung der Menschen untereinander als sozialdarwinistisches Verhältnis von Siegern und Verlierern ordnet und damit Aggressivität und Gewalt permanent erzeugt, ist totalitär und damit unsichtbar zugleich.
Es ist eine Ironie der Geschichte, dass dieses Verhältnis die Umgangsformen zu zivilisiern imstande ist und ihre eigene Leistung beständig untergräbt. Nicht zufällig arbeitet sich der Kulturpessimismus des Konservatismus mit seiner Klage uber den heutigen Werteverfall seit ehedem an diesem Widerspruch ab.
Wer die versteckte Gewalt dennoch sichtbar werden lässt, setzt sich der aggressiven Gewalt der Gewaltverdränger aus und dient zugleich als Projektionsfläche für die verdrängten und damit nicht bewältigten eigenen Aggressionsbedürfnisse. "Menschen verhunger - ihr schweigt. Scheiben zersplittern - ihr schreit." - so moralisch diese alte Parole anmuten mag, so deutlich trifft sie den Kern des bürgerlichen Gewaltbegriffes: absolute Verinnerlichung der bestehenden Ordnung als gewaltlos und frei, als Telos der Geschichte bei gleichzeitiger Verdrängung und Außenprojektion ihrer immanenten Gewalt.
Die aktuellen Debatten um die Bewetung von '68 und die absehbaren Folgen hinsichtlich der Akzeptanz gesellschaftsverändernder Ansätze zeigen eines einmal mehr: Die Diskussion über den ethischen und politischen Sinn und Unsinn linker Gewalt, die als Gewalt grundsätzlich immer auch ein problematisches, reaktionäres Moment in sich tragen kann, wird selbst reaktionär, wenn von der strukturellen Gewalt geschwiegen wird.





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Ergänzungen

Richtig Arbeit gemacht

E T 08.08.2001 - 21:09
Darum geht es bei den Diskussionen aber Gar Nicht, Gewalt ist fast überall, aber bei den Demos geht es um Aktzeptierte, oder Nicht Aktzeptierte Gewalt, bei der Ersteren, kommste Vielleicht noch mit nem Knöllchen davon, bei der Zweiten, wird Meist Sofort (Schon beim Anschein!), und Wahllos in die Menge geprügelt, das ist der Unterschied der Weh tut.

Vor Allem

E T 08.08.2001 - 21:12
Trifft es Immer die Ahnungslosen Falschen, die Richtigen wissen was kommt, und sind Gerüste, oder verpieseln sich Schnell.

09.08.2001 - 00:50
Doch darum geht es. Das um was es dir gerde geht sind taktisch-militärische Fragen auf einer Demo. Das heisst es geht dir darum, wie in einem zeitlich und räumlich begrenzeten Bereich Gewalt eingesetzt wird wird, und ob das politisch sinnvoll ist. In den Gewaltdebatten aber geht es um die grundsätzliche Frage nach der Gewalt als politischem Mittel. Diese Debatte kann aber ohne einen Begriff von Gewalt garnicht sinnvoll geführt werden. Gerade diejenigen, die hier auf diesen Seiten das Geschäft der corporate media betreiben und sich Gewalt als etwas grundsätzlich verwerfliches oder überhaupt verhinderbares herbeihalluzinieren, aber auch die wenigen MilitanzfetischistInnen haben keinen Begriff von Gewalt. Dazu sollte dieser Text dienen. Schade, dass da offensichtlcih kein Interesse besteht.

reisechaot 09.08.2001 - 00:54
Doch darum geht es. Das um was es dir gerde geht sind taktisch-militärische Fragen auf einer Demo. Das heisst es geht dir darum, wie in einem zeitlich und räumlich begrenzeten Bereich Gewalt eingesetzt wird wird, und ob das politisch sinnvoll ist. In den Gewaltdebatten aber geht es um die grundsätzliche Frage nach der Gewalt als politischem Mittel. Diese Debatte kann aber ohne einen Begriff von Gewalt garnicht sinnvoll geführt werden. Gerade diejenigen, die hier auf diesen Seiten das Geschäft der corporate media betreiben und sich Gewalt als etwas grundsätzlich verwerfliches oder überhaupt verhinderbares herbeihalluzinieren, aber auch die wenigen MilitanzfetischistInnen haben keinen Begriff von Gewalt. Dazu sollte dieser Text dienen. Schade, dass da offensichtlich kein Interesse besteht.

toller text

riotgrrl 09.08.2001 - 02:27
ich find den text toll. das führt natürlich auch nicht zu ner weitergehenden diskussion. nun, da sind wohl andere leutchens gefordert.

warum nicht?

mj efo 09.08.2001 - 13:37

Könige

Königin 09.08.2001 - 14:19
Der text ist wundervoll! Es lebe der, der es reingestellt hat. Endlich eine kluger Beitrag zur Gewaltdebatte.

Fickt das Bürgertum!
Kampf auch dem KLeinbürgertum (siehe Attac).

10.08.2001 - 01:07
hallo? kein interesse an der diskussio ???

guter beitrag !

80er jahre autonomer 10.08.2001 - 01:38
es war doch schon immer so, daß ein großteil der leute bei den grünen,jusos, etc landet...weil sie ihre ideen dem "volk" verkaufen wollen. damit kann ich leben, das ist nicht meine welt. es nervt nur das diese "gewaltfreien", menschen mit anderen ansichten zu militanz als "nazis" und "provokatuere" diffamieren. ich will keine "revolution" mit diesem beschissen, rassistischen "deutschen volk" oder mit irgend einem anderen. ich will die leute, die MACHT besitzen und ausüben, ärgern, angreifen, ihren besitz zerstören, egal in welcher partei oder organisation sie sind. und wenn der eine oder andere kommentator hier später aussenminister wird, mir egal...ich mache weiter.....KEIN GOTT, KEIN STAAT, KEIN VATERLAND

und nun ??

ann 23.10.2001 - 18:06
Wie wir alle wissen, die wir in unterschiedlichen Bewegungen aktiv waren und sind und auch unterschiedlichste Aktionsformen bis hin zum Konzept „Gegengewalt von unten“ als legitimes Mittel diskutieren/ten, entstehen diese Diskussionen über mögliche Ansatzpunkte und „die Wahl der Mittel“ nie im luftleeren Raum, sie sind Teil eines Bewegungsprozesses. Und für all die, die in diesem gemeinsamen Prozess stehen, hat es immer auch gegenseitige Akzeptanz gegeben, auch wenn jede und jeder für sich persönlich die Frage nach der Aktionsform unterschiedlich beantwortet. Spiegelte und spiegelt dies immer wieder real erlebtes in den jeweiligen Bewegungen wieder. So z.B. auch die Gegenwehr gegenüber der Staatsgewalt, sowie die Möglichkeiten und Grenzen etwas zu verändern. Ich möchte also bezweifeln, das einige der „GewaltdiskustiereInnen“ dazu überhaupt einen Bezug haben und stattdessen viel mehr vom trockenen Schreibtisch aus lamentieren.

Wer völlig abgehoben und abstrakt von einer „Gewaltdiskussion“ redet, geht völlig an der Sache vorbei. Die Voraussetzung dafür, einen Teil der Bewegung, zu benutzt um einen anderen Teil mit Repression zu kriminalisieren (Friedliche gegen GewalttäterInnen) ist schon im Ansatz gegeben. So werden von Teilen derer die Gewalt ach so fürchterlich finden, politische Prozesse schon im Ansatz auf eine bestimmte Grenze bezüglich des Aktionsrahmen festgelegt: „bis dahin und nicht weiter“. Schlicht nach dem Prinzip „Teile und Herrsche“, werden zudem politische Inhalte neben den möglichen Aktionsformen ausgeblendet.

Es wäre wirklich ein Gewinn, wenn die Gewaltdiskussion - so wie sie ziemlich speziell auch noch mal hier in diesem Land geführt werden - einmal anders ansetzten würde. Mit dem Ziel einer Diskussion in eine Bewegung und nicht über eine Bewegung. Als Diskussion einer Bewegung die selbstbestimmt Grundlage festlegt, was im Bezug auf die politischen Ziele, die Praxis betrifft und das sowohl im Bezug auf die „Wahl der Mittel“ als auch einem Konzept, was eine (möglichst) vielfältigen Aktionsrahmen ermöglicht und in nicht im Ansatz reglementiert - quasi präventiv.
Solidarische Grüße