Brief einesFIES-Gefangenen

@ 05.04.2006 22:14 Themen: Repression
GILBERT CHISLAIN wurde Ende letzten Monats in den
Regelvollzugstrakt eines spanischen Gefängnisses verlegt -
nach 15 Jahren Isolationshaft unter dem FIES-Regime.
In einem Brief beschreibt er seine Eindrücke
FIES - das spanische Foltersystem
 http://de.indymedia.org/2004/09/92520.shtml
 http://de.indymedia.org/2004/09/92518.shtml

GILBERT CHISLAIN nach 15 Jahren FIES verlegt
Aupa! ( Auf! ) Compañeros

Ich befinde mich in einem Trakt “ des Regelvollzugs, ̶, nachdem ich mehr als 15 Jahre ( es waren mehr, aber ich beziehe mich nur auf die aufeinanderfolgenden ) in Isolation verbracht habe.
Ich bin aus der Isolation herausgekommen, aber nur in den ersten Grad. Die Direktion des Strafvollzugsanstalt von Huelva hatte zwar meinen Fortschritt in den zweiten Grad vorgeschlagen, aber die Direktion des Strafvollzugswesens betrachtete dies wie folgt:
- “ dem allgemeinen Betragen des Inhaftierten zufolge, kann nicht auf seine Fähigkeit zu einem normalen Zusammenleben geschlossen werden. Dessen ungeachtet gibt es Bedingungen, welche die Anwendung von spezifische Aspekten des zweiten Grades gestatten. Durch das Vollzugskomitee wird, unter Berufung auf die Generaldirektion ̶, ein Programm angewandt werden, durch welches der Inhaftierte an das Regelvollzugssystem angepasst wird. -

Diese Einschränkungen scheinen eine bestimmte Beunruhigung darüber oder Neugierdarauf zu verbergen, inwieweit ein Mann, der 15 Jahre seines Lebens dem zerstörerischsten Regime der Gefängnis-Isolation Europas unterworfen war, fähig ist, mit anderen Wesen zusammen zu leben...
Obwohl sie die Existenz der FIES-Trakte leugnen, wissen die Institutionen was sie bedeuten und was das mit sich bringt, was von ihnen konstruiert wurde.

Ich war 22 Jahre lang den repressivsten Regimen Frankreichs uns Spaniens unterworfen, und von daher hat meine Anpassungsfähigkeit sicher den Bezug zum Widerstand, dem Ertragenkönnen etc.; ich glaube, dass mein Leben in sich ein Beispiel von Anpassung ist. Wenn aber Anpassung das Synonym für Resignation und Assimilierung ist, dann ist meine Anpassungsfähigkeit trotzdem hleich Null.... schlicht und einfach, ist sie nicht Teil meines Naturells. Noch nicht einmal in der tiefsten Finsternis der Verliese ( ich verwende keine literarische Formulierung, denn zu einem bestimmten zeitraum meines Lebens gab es Verliese ), hatte ich das Empfinden Gefangener zu SEIN, sondern mich in Gefangenschaft ZU BEFINDEN. Das sind zwei sehr unterschiedliche Dinge die, wenn von Anpassung die Rede, zur Kenntnis genommen werden müssen.
Ich erzähle Euch ein wenig von meinen ersten Eindrücken. Ich bin am Dienstag herausgekommen. Die Schliesser, die mich in den 6.Trakt, meine neue Unterkunft, brachten, hatten das Gefühl, als ob sie mich in die Freiheit begleiten würden. Das war ihr Eindruck, den sie mir beschrieben. In Wirklichkeit verlegten sie mich bloss in den Trakt nebenan. Es sind verständliche Empfindungen. Ich habe 6 Jahre im FIES-Trakt von Huelva verbracht und auf eine gewisse Weise, haben wir zusammen gelebt und das Menschliche hinter der Uniform und der Funktion, kann die Folter, die hinter solchen Regime liegt, nicht ignorieren.
Ich kam im Trakt an, stellte meine Sachen ab und ging in den Hof.
Mein Alltagvollzug ist folgender: Am Morgn gehe ich mit den Anderen in den Hof hinunter, dann esse ich im Speisesaal und für den Nachmittag ist mir das Recht auf Hofgang verweigert und ich esse in der Zelle zu abend.
Auf dem Papier befinde ich mich im ersten Grad, gemäss Art. 100.2. Im Vollzug, indem ich mich zuvor befand, hätte ich vier Stunden Hof und zwei Stunden Aktivitäten haben müssen. Da Aktivitäten in den FIES-Trakten ein Mythos zu sein pflegen, wurden diese zwei nichtexistenten Aktions-Stunden durch zwei Stunden Hof ersetzt, die ich durch die Ankunft in einem Trakt des Regelvollzugs verloren habe. Das heisst, dass ich Gesellschaft gewonnen, aber zwei Stunden Hof verloren habe, wobei mir noch immer keinerlei Beschäftigungsmöglichkeit gegeben wurde. Das sind die Missverhältnisse des Vollzugssystems.

Ich nehme an, dass die Vollzugskomission ein vom Vollzugsgesetz abgeschotteteres Programm erarbeiten wird, als es die Möglichkeiten der Anstalt wären. Ich sage das, weil ich nicht an einem gewissen Fortschritt in der Handhabe der/des Sra Gallizo zweifle; ich bin nicht sicher, ob man sich der existierenden Unterschiedlichkeit bewusst ist, zwischen der bürokratischen Realität, die angewandt wird und der physischen Realität, welche wir Gefangenen erleiden.

Die Mehrheit der Gefangenen verbringt die Zeit schlecht im Hof, weil es praktisch keine Möglichkeiten für Aktivitäten gibt. Alle Welt weiss, das das Gefängnis niemanden rehabilitiert; aber obendrein ist es auch noch so, dass ausserhalb der Gesetzesbücher, weder Strukturen noch Mittel existieren, um besagte Rehabilitierung zu begünstigen und deshalb kann die Ausarbeitung eines spezifischen Programmes nur noch mehr Einschränkungen nach sich ziehen; und das ist, was passiert ist.
Viele Kleinigkeiten bei dem Wechsel, haben mich betroffen gemacht. Es ist wie es immer ist, viel Elend und Männer, sie sich darüber bewusst sind, dass das Leben sie ausgesondert hat. Das Treppenhinaufsteigen hat mich getroffen ( nachdem ich so lange Zeit keine gegangen bin ). Mich im Spiegel zu sehen, hat mich getroffen ( in den FIES-Trakten sind die Spiegel aus Plastik ); ich bin gealtert, ohne es bemerkt zu haben. Der Himmel hat mich betroffen gemacht ( ihn ohne Gitter zu sehen, ist viel schöner; es hat mehr Klarheit und mehr Licht ). Was mich am meisten überrascht hat ist dass manche fixe und neurotische Gedanken sofort verschwinden. Ich hatte gedacht, dass es mich mehr kosten würde, sie loszuwerden. Die Verzerrung der Gedanken, mindert nicht die analytische Fähigkeit; aber sie verwandeln sich in eine psychologische Tortur und können die Widerstandkraft zerfressen. Ich habe mehr als zwei Jahre hinter mir, in denen ich jede Nacht zwischen 5 und 10 Mal mit Alpträumen aufgewacht bin, die durch Faktoren ausserhalb der Isolation ausgelöst wurden. Trotzdem verschwanden sie, als ich im Normalvollzug ankam. Das bedeutet, dass die Isolation die kleinen, persönlichen Trägödien der Existenz überdimensioniert, bis sie zur Folter werden. Dann bleiben einem nur noch zwei Dinge zu erleben: Den Schmerz und, in seltenen Momenten, den Nicht-Schmerz. Ich habe Schwierigkeiten damit, meinen eigenen Schmerz wahrzunehmen, weil ich ihn seit solanger Zeit erleide und nicht das Gegenteil erfahre, da ich nicht den Raum habe, um mir wirklich darüber bewusst sein zu können; aber hier sehe ich meine Umgebung und muss mit ihm leben. Für mich ist das Schwerste: mit dem Schmerz anderer zu leben. Und Schmerz, das versichere ich Euch, ist was es hier gibt.
Ich habe sogar einige geistig Behinderte entdeckt; ich meine nicht jene Jungs, die das Gefängnis und die Drogen psychologisch zerstört haben, sondern solche mit angeborenen Problemen. Als ich 18 war, spielte ich um der Justiz zu entkommen den Verrückten und wurde ein "Irrenhaus" eingewiesen. Heute, 25 Jahre später, im Speisesaal sitzend, beobachte ich dieselben Gesichter wie damals.
Ich habe für einen Moment unterbrochen, weil vier Beamte zu einer Routinekontrolle in meiner Zelle erschienen sind. Alles sehr korrekt und dialogbreit. Ich höre nicht auf, mich darüber zu wundern, dass sie meine Situation, gegenüber zuvor, als Privileg wahrnehmen und nicht so einfach die Willkür der letzten 15 Jahre realisieren. Klar muss man, um im Gefängnis arbeiten und mit Gefangenen zusammen leben zu können, das Gefühl der Empathie bei Seite lassen.
Das sind meine Eindrücke, ein wenig lang, um zum Schluss das auszusprechen, was alle Welt wissen muss: Das Gefängnis, wie auch immer das Regime/der Vollzug sein mag, ist immer Scheisse. Das heisst, dass ich unter Beobachtung stehe und keine Lust habe, zurück in die Isolation zu kommen, anstatt mich mit einem “ zu verabschieden; nieder mit den Mauern der Gefängnisse
Ich verabschiede mich mit einem Lächeln...
Kraft und Entschlossenheit

Gilbert

Hintergründe zu FIES, Geschichte der Knastkämpfe in Spanien, Auszüge aus dem "Tagebuch eines ( der ersten ) FIES-Gefangenen"... unter Texte und Archiv auf:
www.escapeintorebellion.info
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Ergänzungen