Zehntausende gegen Massenprozesse

Ralf Streck 20.02.2006 10:26
In der baskischen Metropole Bilbao haben Zehntausende für die sofortige Einstellung der Massenprozesse in der spanischen Hauptstadt gegen baskische Organisationen demonstriert. Seit Monaten konnte dort nicht mehr ordentlich verhandelt werden, weil es immer wieder zu Anomalien kommt und schon mal 100.000 Blatt geheime Akten gefunden werden.
Eine breite Plattform, unterstützt von allen baskischen Parteien und Gewerkschaften, richtete sich gegen die "politischen Prozesse" unter dem Aktenzeichen 18/98 vor dem Nationalen Gerichtshof in Madrid, die keine "juristische Basis" hätten. Gefordert wurde auch die Auflösung des Sondergerichts, das Parteien, Organisationen und Kommunikationsmedien verbietet und eine friedliche Lösung des Konflikts erschwere.

Für die Angeklagten bedankte sich Nekane Txapartegi für die Solidarität der "großen Welle, die wir heute in Bilbao gebildet haben". Sie zeige, dass die Angeklagten nicht allein dem "Unrecht der Justiz" ausgesetzt seien. Sie erinnerte: "Wir sind nicht die ersten und leider auch nicht die letzten", die vor dieses Gericht gezerrt würden, das sich "auf Aussagen stützt, die unter Folter erpresst wurden".  http://de.indymedia.org//2005/12/135805.shtml

Der Massenprozess gegen die baskischen Organisationen ist am Dienstag am spanischen Nationalen Gerichtshof erneut vertagt worden. Bis heute sollte sich Mikel Egibar und einige kranke Anwälte erholt haben. Doch heute wird der Prozess nicht fortgesetzt, sondern er wurde erneut um eine Woche vertagt, damit sich Mikel Egibar von seiner Lungenentzündung erholen kann. Letzten Montag musste der noch mit 40 Grad Fieber im Gerichtssaal sitzen. Ausgesetzt hätte das Verfahren aber eigentlich für unbestimmte Zeit werden müssen, bis der Notoperierte Iñigo Elkoro wieder teilnehmen kann. Schließlich war es das Sondergericht, dass verfügt hat, dass immer alle Angeklagte anwesend sein müssen, obwohl sich das Verfahren in vier deutlich getrennte Bereiche auftrennt und damit stets alle 56 Angeklagte monatelang an drei Tagen im fernen Madrid sein sollen. Damit hat der Nationale Gerichtshof sogar das Folterverfahren gegen Guardia Civil Beamte behindert, das Nekane Txapartegi angestrengt hat.  http://de.indymedia.org//2005/12/135805.shtml

Nun fällt der Richterin Murillo ihre eigene Entscheidung auf die Füße und sie muss erneut eine Sonderentscheidung fällen. Das Verfahren gegen Iñigo Elkoro, wegen angeblicher Mitgliedschaft in der ETA wurde nun abgetrennt. Gegen ihn soll getrennt allein noch einmal verhandelt werden. Klar, dann dürfen die übrigen wieder ständig als Zeugen nach Madrid reisen.  http://de.indymedia.org//2004/04/80099.shtml

Die Anwälte haben gegen die Entscheidung vor dem Obersten Gerichtshof Widerspruch eingelegt, denn die Rechtslage sei klar, schließlich habe die Beweisaufnahme schon begonnen. Sogar das Sondergericht sei in anderen Prozessen anders verfahren, sagte die Verteidigung und habe für die Zeit der Krankheit ausgesetzt.

Ohnehin zieht sich der Prozess immer weiter in die Länge, der für acht Monate geplant war. Seit Dezember konnte keine ordentliche Verhandlung mehr durchgeführt werden. Bei der Befragung des Angeklagten Xabier Alegria, der 51 Jahre hinter Gitter soll, war deutlich geworden, dass es "geheime Ermittlungsakten" gab.  http://de.indymedia.org//2006/01/136309.shtml Seither erkämpft sich die Verteidigung den Zugang zu 100.000 Aktenblättern.  http://de.indymedia.org//2006/01/136698.shtml

Das Verfahren begann 1998 mit der Schließung der Tageszeitung Egin und umfasst mit Unterverfahren etwa 200 Personen. Die Plattform 18/98+ mobilisiert am Samstag zur Großdemonstration nach Bilbao, um die Einstellung der Verfahrung zu fordern. Die Anomalien belegten, dass es sich um einen politischen Prozess handele, in dem elementare Rechte beschnitten werden.

Zu dem ganzen Komplex, wer also angeblich alles der ETA untergeordnet sein soll, gehörte auch die Tageszeitung Egunkaria. Heute vor genau drei Jahren wurde die baskische Tageszeitung Egunkaria gestürmt, die einzige weltweit die vollständig in baskischer Sprache erschien.  http://de.indymedia.org//2003/02/42132.shtml Es gab eine der größten Demonstrationen im Baskenland gegen die Schließung.  http://de.indymedia.org//2003/02/42427.shtml

Die Journalisten zeigten danach Folter durch die Guardia Civil an.  http://de.indymedia.org//2003/02/42804.shtml Noch immer gibt es kein Verfahren, die Konten der Journalisten gesperrt..... und es gibt keine Änderung der Situation, obwohl seit zwei Jahren die Sozis regieren. Statt die Folter zu untersuchen, wird gegen den Chef der Zeitung ermittelt, weil er die Folter angezeigt hat. Die ETA, so der Vorwurf, weise ihre Mitglieder dazu an. Folglich ist Martxelo Otamendi ETA-Mitglied, weil er die erlittene Folter angezeigt hat.  http://de.indymedia.org//2006/02/138888.shtml
Eine Entscheidung, ob ein Verfahren eingeleitet wird, gibt es immer noch nicht. Seit dem 26. Januar debattiert der Nationale Gerichtshof darüber. Die Beteiligten haben die Einstellung gefordert. Naja, drei Jahre Zeitungsverbot sind ja in der spanischen Auffassung von Demokratien wohl noch nicht zu viel. Der Egin ist seit fast acht Jahren verboten, ohne dass
es eine gerichtliche Entscheidung gibt.

© Ralf Streck, Donostia-San Sebastian den 20.02.2006
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Ergänzungen

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