Spanien will "Anklagen konstruieren"

Ralf Streck 10.02.2006 11:04 Themen: Repression Weltweit
Der spanische Justizminister Juan Fernando López Aguilar will "alles unternehmen" damit Gefangene der baskischen Untergrundorganisation ETA nach Verbüßung ihrer Haftstrafe nicht aus dem Knast kommen. Der Sozialist (PSOE) kündigte am Mittwoch sogar an, man werde "neue Anklagen konstruieren", um "Entlassungen zu vermeiden". In der nächsten Zeit sollen etwa 20 ehemalige ETA-Mitglieder frei kommen.
Aktuell erregt sich die Debatte aber an Unai Parot, der soll aber erst 2011 freikommen soll. Wegen Mordes war er 1990 zur Höchststrafe von 30 Jahren verurteilt worden und er soll nach Anrechnung von Strafminderungen nach 21 Jahren entlassen werden. Am Montag hatten die Staatsanwaltschaft am Obersten Gerichtshof einstimmig abgelehnt, eine "Doppelbestrafung" wegen einer zweiten Verurteilung von Parot zuzulassen und ihn nach Strafverbüßung erneut mit 30 Jahren Haft beginnen zu lassen.

Der Staatsanwalt José Martín Casallo erklärte, "auch wenn wir noch so interessiert sind", lasse das Gesetz diese Doppelstrafe nicht zu. Sein Kollege Luis Navajas unterstrich, man habe sich "strikt an die Legalität" gehalten, und "sehr präzise Normen des Strafrechts" angewandt. Gemeint ist das von 1973, dass auch dem Justizminister "nicht gefiel". Deshalb habe die PSOE 1995 das Strafrecht geändert, man könne es aber nicht rückwirkend anwenden, bedauerte der Justizminister

Die PP greift die PSOE auf allen Ebenen scharf an, seit dem die zaghaft auf die Bemühungen der Basken eingeht, eine friedliche Lösung für den bewaffneten Konflikt zu suchen und wirft ihr nun die Entlassungen vor. Dabei, so gab die PSOE zurück, wurden in acht Jahren der PP-Regierung 64 ehemalige ETA-Mitglieder entlassen, die zu hohen Strafen verurteilt waren, ohne das es den medial inszenierten Aufschrei gegeben habe. Der Justizminister gab stolz an, seine Regierung habe die Entlassung von Ignacio de Juana Chaos letztes Jahr verhindert.  http://de.indymedia.org//2005/09/128180.shtml

Bei Chaos wurde erstmals eine Anklage konstruiert. Danach sei er im Knast weiter Mitglied der ETA gewesen. Nach Verbüßung von 18 Jahren Haft wurde er sofort aus der Strafhaft in die Untersuchungshaft überführt und wartet auf den Prozess. Genau das soll auch Parot widerfahren. Der Richter Fernando Grande-Marlaska hat am Mittwoch ein neues Verfahren am Nationalen Gerichtshof gegen ihn eingeleitet. Der hatte erst kürzlich die verbotene Partei Batasuna "erneut"  http://de.indymedia.org//2006/01/136795.shtml vorläufig verboten, um deren Parteitag zu verhindern. http://de.indymedia.org//2006/01/137160.shtml Parot soll 2001 einen Brief an die ETA-Führung geschrieben und neue Anschläge vorgeschlagen haben. Der Brief soll aber schon vor vier Jahren bei der ETA gefunden worden sein und soll nun für den Vorgang herhalten. Wie die Sozialisten mit diesem Vorgehen einen Friedensprozess voranbringen wollen, bleibt derweil deren Rätsel.

© Ralf Streck, Donostia-San Sebastian den 09.02.2006
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Ergänzungen

"nach Anrechnung von Strafminderungen",

Sim 10.02.2006 - 14:19
so etwas gibt es? ich habe bislang bei eta-mitgliedern noch nichts dergleichen gehört.

Es gibt ein paar

Ralf 10.02.2006 - 15:25
automatische Anrechnungen, bei Studium und ähnlichem.

Frage

txapote 11.02.2006 - 16:52
Sacht mal weiss jemand wie das nun mit der maximalen haftstrafe aussieht? ist das nicht auf 40 jahre erhöht worden?(in worten: VIERZIG!!!) und wie sieht das mit den etarras aus die in frankreich geschnappt wurden und dort
erstmal ihre 5 jahre oder so abgesessen haben? sind die dann doppelt gearscht und könnten insgesamt theoretisch 35 bzw 45 jahre sitzen?

Richtig und falsch

Ralf 12.02.2006 - 12:00
Tatsächlich wurde die maximale Haftzeit auf 40 Jahre erhöht.
Doch in jedem Rechtstaat können Gesetze nicht rückwirkend angewendet werden. Alle die vor der neuen Reform der PP oder vor der von 1995 von der PSOE verurteilt wurden, werden offiziell nach dem jeweiligen Strafrecht behandelt, das damals gerade galt. Allerdings hat Spanien immer wieder gezeigt, dass man an der Rechtsstaatlichkeit zweifeln darf. Mit dem Verbot von Batasuna wurden rückwirkend auch HB und EH verboten, die es längst nicht mehr gab und dann neue Wählerlisten verbot, auf denen nur ein Kandidat war, der vielleicht vor 20 Jahren mal legal für HB kandidiert hatte.
Auch die Tatsache, dass man Anklagen konstruieren will, zeigt, dass man es mit dem eigenen Strafrecht nicht so genau nimmt. Offiziell wendet man das alte Strafrecht bei Parot, Juana... an, klagt sie aber erneut wegen Mitgliedschaft an und verurteilt sie dann erneut für 10, 12 Jahre. Auch so kann man auf 40 Jahre kommen, ausgeschlossen ist ja nicht, dass dieses Spiel weiter geht.