"Politischer Prozess in Spanien"

Ralf Streck 02.01.2006 18:46
Seit einem Monat stehen in der spanischen Hauptstadt Madrid 56 Personen vor Gericht. Als Mitglieder baskischer Organisationen und Mitarbeiter von Medien, die in den Jahren seit 1998 von Ermittlungsrichter Baltasar Garzón verboten wurden, sind sie wegen angeblicher Zugehörigkeit zum Unterstützer-Netzwerk der baskischen Untergrundorganisation ETA angeklagt. Der Vorwurf lautet: Mitgliedschaft oder Unterstützung einer terroristischen Organisation. Die Staatsanwaltschaft fordert zwischen 10 und 51 Jahren Haft für jeden Angeklagten.
Wir sprachen mit der Berliner Anwältin Silke Studzinsky, Generalsekretärin der Vereinigung „Europäische Demokratische Anwälte“, (AED) und Mitglied von Euskal Herria Watch  http://www.ehwatch.org , einer zur Beobachtung der Prozesse gegründeten internationalen Beobachtungskommission.
Warum beobachtet die AED den Madrider Prozess, warum wurde dafür extra eine Beobachterkommission gegründet?

Studzinsky: Seit dem offiziellen Beginn der Ermittlungen 1997/1998, die sich auch gegen zahlreiche Anwälte und Anwältinnen richten, haben wir massive Verletzungen fundamentaler Rechte der Angeklagten und der Verteidigung beobachtet. Die Anklage basiert auf der Theorie, dass jegliche politische oder soziale Arbeit, die den Zielen von ETA dient oder auch nur dienen könnte, eine mitgliedschaftliche oder unterstützende Tätigkeit für diese Organisation darstellt. Eine derart ausufernde Anklage hat wegen der Verletzung des Bestimmtheitsgebots keine rechtsstaatliche Grundlage mehr. Um nur ein Beispiel zu nennen: Mitglieder der Organisation XAKI, darunter drei Anwälte, werden auch beschuldigt, das Justizsystem des spanischen Staates international öffentlich in Mißkredit gebracht zu haben, indem sie sich gegen Auslieferungen an Spanien gewendet haben, da die Beschuldigungen auf Folteraussagen basierten.
Wir wollen mit dieser internationalen Kommission Öffentlichkeit schaffen gegen die zahlreichen massiven Rechtsverletzungen in diesem Verfahren.

Wie spiegelt sich der politische Charakter des Verfahrens im Prozessverlauf wieder?

Studzinsky: Dieses Großverfahren findet unter Sonderbedingungen statt, die im Namen des „Kampfes gegen den Terrorismus“ die Rechte der Angeklagten einschränken. Dazu gehört auch, dass über Jahre hinweg der Verteidigung die Akteneinsicht verwehrt wird, da diese als geheim deklariert werden. Bei meinem letzten Prozeßbesuch letzte Woche tauchten gerade etwa 500 neue Aktenordner mit je 300-400 Seiten auf. Das Verfahren wird aber nicht ausgesetzt, um der Verteidigung Gelegenheit zu geben, das ganze Material zu sichten, sondern bis zum nächsten Verhandlungstag am 9.Januar 2006 hat die Verteidigung nur wenige Stunden Zeit, in Madrid die Akten einzusehen. Eine Unmöglichkeit bei der Materialfülle. Aber auch das Gericht ist nicht in der Lage, in der Kürze der Zeit diese Akten zu lesen. Auch daran wird der politische Charakter deutlich.

Ohnehin lässt das Gericht nicht einmal die Angeklagten zu Wort kommen, sie werden ständig unterbrochen.

Studzinsky: Das Gericht versucht jegliche auch nur annähernd politische Äußerung in diesem politischen Verfahren zu unterbinden. Auch dies ist eine massive Beschränkung der Angeklagten, die das Recht haben, Erklärungen abzugeben.


Welche Bedeutung messen Sie diesem Prozess für Spanien zu?

Studzinsky: Die Bedeutung dieses Prozesses, der in Spanien bereits im Hinblick auf die zahlreichen prozessualen Sonderbedingungen auch Einfluß auf andere „normale“ Strafprozesse hat, geht weit über Spanien hinaus. Weltweit werden inzwischen Verfahren unter dem Stichwort Terrorismus Ausnahmebedingungen unterworfen. Ein Sonderrecht wird geschaffen und praktiziert, das grundlegende Rechte von Beschuldigten und Verteidigung außer Kraft setzt.
Es ist eine zentrale Aufgabe der internationalen Kommission, darauf hinzuwirken, zu rechtsstaatlichen Grundsätzen zurückzufinden.

Weitere Infos:
Titel: Gerichtshof verhindert Folterprozess
 http://de.indymedia.org//2005/12/135805.shtml
Titel: Kontakte mit der ETA im Prozesshintergrund
 http://de.indymedia.org//2005/12/135585.shtml
Titel: Chaos im Madrider Gerichtssaal
 http://de.indymedia.org//2005/11/133511.shtml
Titel: Massenprozesse gegen baskische Organisationen
 http://de.indymedia.org//2005/11/133500.shtml
Titel: Massenprozesse beginnen
 http://de.indymedia.org//2005/11/132915.shtml
Titel: "Präzedenzfall schaffen"
 http://de.indymedia.org//2005/08/124836.shtml
Titel: Baskische Jugendliche sind keine Terroristen
 http://de.indymedia.org//2005/06/121223.shtml
Titel: Doch Verbot baskischer Kommunisten?
 http://de.indymedia.org//2005/05/114490.shtml
Titel: Vereint gegen spanische Massenprozesse
 http://de.indymedia.org//2005/04/113059.shtml
Titel: Vereint gegen Massenprozesse
 http://de.indymedia.org//2005/03/108230.shtml
Titel: Haftverschonung unerklärlich
 http://de.indymedia.org//2005/03/108228.shtml
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Ergänzungen

gernika 2006

klandestino 02.01.2006 - 20:46
das alles im geschichtlichen kontext zu sehen und zu fühlen,mehr als fraglich.es geht gegen menschenverachtung im allgemeinem.die situation in den spanischen knästen ist gerade auch was die(FIES)gefangenen anbelangt nicht länger hinnehmbar.wir müssen uns trotzdem wir so viel verloren haben gegen diese menschenverachtenden tendenzen erfolgreich wehren,das heisst jede möglichkeit wahrnehmen,öffentlichkeit schaffen,kämpfen für eine menschliche gesellschaft wo die grundtugenden von :achtung,respekt,liebe,geduld,bescheidenheit dauerhaften bestand haben endlich wahrnehmen und in die tat umsetzen....hasta siempre

ETA Verbrecher

Ich 28.01.2006 - 21:56
Dieser Text ist zu vil vergesslich mit den ETAs Opfern.

Wo sind die Rechten des Kindes, die ETA in Spanien ermordert hat?