Gorleben ist überall – auch in Bietigheim

vermutlich atomkraftgegnerIn 22.11.2005 22:43 Themen: Atom
Castor-Stopp im Südwesten. Der Castor steht 92 Minuten im Wald von Bietigheim-Bissingen.
Gorleben ist überall – auch in Bietigheim
Castor steht 92 Minuten im Wald

Nachdem der Castor Frankreich verlassen hat, werden gewöhnlich in Wörth die Lokomotiven gewechselt. Der nächste Halt ist dann aus rangiertechnischen Gründen in Bietigheim-Bissingen.
Nach ca. 15minütigem Aufenthalt dort setzte sich der Castor auch in diesem Jahr wieder in Bewegung, wurde aber kurz darauf am Ortsende durch ein Nothaltesignal gestoppt. Diese Info erreichte 12 AktivistInnen etwa einen Kilometer weiter im Wald, woraufhin sie sich sofort auf die Schienen begaben. Anscheinend hatte niemand mit dieser Schieneninspektion gerechnet. Es wurden Transparente ausgerollt, Fackeln im Gleisbett verteilt und der Schienenspaziergang begann.

Irgendwann tauchten dann zwei grüne Gestalten aus dem Wald auf, die sehr konzentriert einen Lageplan studierten und etwas verwirrt erschienen. Nach einiger Zeit der Schock: von Richtung Zug kommen jede Menge Leute angejoggt. „Ach das sind ja unsere“ – die Erleichterung bei den zwei einsamen Polizisten war nicht zu überhören. Die SpaziergängerInnen setzten sich nun auf die Gleise und die Jogger begannen mit einem rot-weißen Absperrband den Tatort zu sichern. An jeder Ecke ein Beamter, der konzentriert das Band festhielt, ein Bild für die Götter.

(Als Erfolg für die Aktion war angedacht, dass der Zug fünfzehn Minuten aufgehalten werden kann. Nun zeigten sich aber mal wieder die Hierarchie, die Bürokratie und dieses Mal auch sehr deutlich das Konkurrenzgehabe unter den einzelnen Einheiten als sehr förderlich für die Aktion. Letztendlich stand der Zug über eineinhalb Stunden.)

Plötzlich erkannte nun der Einsatzleiter, dass eine Person sich mit Handschellen ans Gleis gekettet hatte und zwei mit dem Arm in einer Röhre steckten. Wie es sich gehört, wurde diese Erkenntnis sofort über Funk weitergeleitet, allerdings betont cool („eine Ankettung im Rohr, wie immer“) um die notwendigen Geräte heranzuschaffen. Dann einige Zeit später ein zweiter hochrangiger Uniformierter, der die Sachlage etwas genauer inspizierte. Er stellte fest, dass es sich bei den Handschellen um Plastikteile (aus dem Micky-Maus-Heft?) handelte und das Rohr? „Das sieht ja aus wie Pappmachee“. In diesem Moment zogen die angeblich Angeketteten die Arme aus der Papp-Teppichrolle und erteilten dem einsichtigen Beamten ein großes Lob, ob seinem Durchblick. Die Stimmung lockerte sich merklich.

Sehr ausgiebig wurden nun Rechtsbelehrungen gegeben, dann kommen plötzlich aus der anderen Richtung drei Herren im grauen Mantel. Der Einsatzleiter brüllt los: „Die Zivilisten werden nicht durchgelassen!“, es bildet sich sofort eine Polizeikette, nur stellt sich kurz darauf heraus, dass die Zivilisten der Polizeichef der Region und seine Assistenten sind. Die Zivilisten werden also doch durchgelassen. Die Presse ist schon eine Weile vor Ort.

Bisher handelt es sich wohl immer noch um Beamte des BGS, neuerdings Bundespolizei genannt, die eingesetzt sind. Es wird weggetragen fotografiert (u.a. auch für die individuellen Familienalben), durchsucht, gefilmt, Personalien aufgenommen, und nun soll an die Bereitschaftspolizei übergeben werden, die den Abtransport vom Bahndamm auf die Straße durchführen soll.

Wieder eine Polizeikette, das sind ja schließlich „unsere“ Gefangenen, irgendwann muss aber doch abgegeben werden. Nun geht’s einen steilen Abhang hinunter, gezogen und geschubst von BereitschaftspolizistInnen. Hin und wieder verheddert sich eineR in den Brombeerranken oder irgendwelchen Lianen – so was scheinen sie bisher nicht geübt zu haben. Überhaupt handelt es sich wohl wieder um diverse Azubis der grünen Narrenzunft, die von Tuten und Blasen keine Ahnung haben, was sich auch bei der Personalienfeststellung als sehr zeitintensiv erweist.
Irgendwann auf der Straße angekommen, wird wieder übergeben, diesmal an die Landespolizei, die grade Feierabend machen wollte und nun keine Ahnung hat, um was es vor Ort eigentlich geht.
Allerdings kann man von den ungeliebten Kollegen der anderen Einheiten weder Fotos noch Aufschriebe akzeptieren, es beginnt also wieder alles von vorne. Fotografieren, Personalien aufnehmen, durchsuchen usw.

Zwischendrin ein Knall, hört sich für ungeübte Ohren wie ein Schuss an, vielleicht ein armes Wildschwein, das einem Jäger zum Opfer gefallen ist? In der Zeitung liest man später, dass es sich dabei um einen Sprengstoffanschlag der Polizei auf einen Kosmetikkoffer handelte, der wie auch immer in den Wald und an die Schienen geraten war.

Dann setzt sich der Zug langsam wieder in Bewegung, die Landespolizei ist noch eine Weile mit Personalien überprüfen beschäftigt und wartet immer noch auf den Feierabend. Aber dann ist auch hier die Arbeit beendet, die Gefangenen werden freigelassen, ein riesiger Zug an Fahrzeugen von Bereitschaftspolizei, Landespolizei, Kripo und THW setzt sich in Bewegung und bald herrscht wieder Ruhe im Wald.
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Ergänzungen

Amtlicher Hinweis auf Castor ist Fälschung

Ludwigsburger Zeitung 23.11.2005 - 10:22
Ludwigsburger Kreiszeitung, 18.11.05

Angeblich amtlicher Hinweis auf Castor-Zug ist Fälschung Schreiben in mehreren Orten des Kreises aufgetaucht

BIETIGHEIM-BISSINGEN

(pro) - Angeblich kommt das Schreiben aus dem Landratsamt. Tatsächlich istes eine Fälschung: In mehreren Orten an der Bahnstrecke Karlsruhe-
Bietigheim-Heilbronn fanden Bewohner gestern nur scheinbar "amtliche"Hinweise auf einen geplanten Castor-Transport am kommenden Wochenende in ihren Briefkästen.

Tatsächlich gehen deutsche und französische Atomkraftgegner davon aus, dass ein Castor-Zug die französische Wiederaufbereitungsanlage La Hague am frühen Samstagabend in Richtung Gorleben verlässt. Die deutsche Grenze soll der Transport mit der radioaktiven Fracht am Mittag des Totensonntags bei Wörth überschreiten.

Vermutlich stecken Atomkraftgegner auch hinter dem auf den ersten Blick nur schwer als Fälschung erkennbaren Schreiben, das gestern in mehreren Orten des Landkreises aufgetaucht ist. Der Inhalt des mit dem Briefkopf des Landratsamtes versehenen Briefes freilich spricht für sich. Denn zum einen bestätigt er den mutmaßlichen Termin des Atommülltransports und gibt darüber hinaus Hinweise auf die Strecke sowie - indirekt - auf einen
wahrscheinlichen Zwischenstopp in Bietigheim, was ein für deutsche Behörden bislang einmaliges Vorgehen wäre. Zweitens teilt das angebliche Schreiben der Katastrophenschutzbehörde den Anwohnern der Bahnstrecke zwar mit, dass "jegliche Gefährdung für die Bevölkerung ausgeschlossen" sei. Keinesfalls sollten die Anwohner daher aus falsch verstandener Prävention Jodtabletten einnehmen, die im vergangenen Jahr kostenlos an die Haushalte im engeren Umkreis des Atomkraftwerks Neckarwestheim verteilt worden waren. Doch dann folgt eine gezielte Beunruhigung der Bevölkerung: Dennoch sei es empfehlenswert, so der vorgebliche Ratschlag von Amts wegen, Jodtabletten bereit zu halten. Im "sehr unwahrscheinlichen Fall", der "die Verwendung der Tabletten erforderlich macht", werde die Bevölkerung über Radiodurchsagen informiert.



Pressemeldung der Polizei

Käpt'n Bär 23.11.2005 - 15:47
Erstmal ganz liebe Grüße und eine Umarmung für die Freundinnen und Freunde in Bietigheim

Die Gesamteinsatzleitung des Castor-Transportes in Lüneburg hat Euch mit folgenden Worten erwähnt:

"(...)
Nach Durchfahren der Ortschaft Bietigheim kam es zu einem Halt des Zuges, da sich eine Gruppe von elf Personen auf dem Gleis befand. Nach Räumung des Gleises konnte der Zug gegen 17:45 Uhr seine Fahrt fortsetzen.(...)"


der ganze Text der Polizei-PM:

Castorzug erreicht Umladestation Dannenberg

Am heutigen Montag, kurz vor 12.00 Uhr erreichte der CASTOR-Transportzug den Bahnhof Dannenberg (Ost). Die Umladearbeiten auf die für den Weitertransport bereit stehenden Straßentransporter haben begonnen.

Die Grenze zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Frankreich wurde am Sonntag, um 12:30 Uhr überschritten.

Nach Durchfahren der Ortschaft Bietigheim kam es zu einem Halt des Zuges, da sich eine Gruppe von elf Personen auf dem Gleis befand. Nach Räumung des Gleises konnte der Zug gegen 17:45 Uhr seine Fahrt fortsetzen.

Im Raum Göttingen wurden am frühen Morgen Personen in der Nähe der Gleise so rechtzeitig durch die Bundespolizei festgestellt, dass diese in Gewahrsam genommen werden konnten und der Zug diesen Bereich ohne außerplanmäßigen Halt durchfahren konnte.

Weit vor Durchfahrt des Transportzuges besetzten etwa 150 Personen gegen 07:30 Uhr die Gleise bei Harlingen. Nachdem ihnen von der Polizei Platzverweise ausgesprochen worden waren, ließen sie sich zunächst ohne Widerstand von den Gleisen tragen, besetzten diese jedoch kurze Zeit später erneut. Durch diese Blockade kam es zu einem kurzen Stopp des Transportzuges. Nachdem die Gleise durch Einsatzkräfte wieder geräumt waren, setzte der Zug seine Fahrt fort und erreichte den Bahnhof Dannenberg (Ost) ohne weitere Störungen.

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

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haha — -

Pappe gegen Castor — Brombeere