Galicien entscheidet über Friedensprozess

Ralf Streck 16.06.2005 09:18 Themen: Weltweit
Am Sonntag wird in der spanischen Armutsregion Galicien gewählt. Hier entscheidet sich, ob die in Spanien regierenden Sozialisten (PSOE) den Konflikt mit dem Baskenland auf einen Lösungsweg bringen. Erst wenn die ultrarechte Volkspartei (PP) ihre Hochburg einbüßt, ist der Weg frei für Verhandlungen mit der ETA, für die sich die PSOE schon das Plazet des Parlaments geholt hat. Die PP hat dagegen in Madrid Stärke gezeigt, und mehr als 200.000 Anhänger zum Protest in die Hauptstadt mobilisiert. Gleichzeitig demonstrierten mehr als 50.000 Basken gegen die anhaltende Repression und für einen Friedensprozess.
Am 19. Juni ist es soweit. Der greise Manuel Fraga Iribarne, Gründer der Volkspartei (PP) will es noch einmal wissen. Mit 83 Jahren tritt er erneut als Kandidat zum Regierungschef von Galicien an. Wie sein Vorbild, der Diktator Franco, war auch Fraga unfähig, die Nachfolge ordentlich zu regeln. Wie es scheint, wird er deshalb seine Partei in die tiefste Krise seit der Entstehung stürzen. Die Umfragen sagen voraus, dass der Ex-Minister der Diktatur die absolute Mehrheit verlieren wird. Das stellte das "Zentrums für soziologische Studien" (CIS/ http://www.cis.es) fest, auch wenn es schon wegen Manipulationen zu Gunsten der jeweiligen Regierung von den eigenen Beschäftigten denunziert wurde. Eine neuere Studie des Instituts Opina  http://www.opina.es für die Radiokette SER bestätigte nun, dass die PP nur noch knapp 46 % erhalten würde. Erstmals seit Francos Militärputsch 1936, von dem sich Fraga nie distanziert hat, wäre die rechte Macht in Galicien gebrochen.

Die PP, die sich von dem selbst verschuldeten Machtverlust in Madrid, wegen ihrer Lügen um die Terroranschläge vom 11. März nicht erholt hat wäre stark geschwächt.  http://www.heise.de/tp/r4/artikel/16/16965/1.html Die Machtkämpfen bestimmte Partei würde nach dem unehrenvollen Abgang von José María Aznar, politischer Ziehsohn von Fraga, erneut in eine Führungskrise stolpern. Dem PP-Chef Mariano Rajoy, einst von Fraga aus Galicien nach Madrid entsandt, um Aznar zu überwachen, würde die Machtbasis wegbrechen, auf die er sich noch stützt. Seine Widersacher, die wie der Madrider PP-Bürgermeister Ruiz Gallardón auf eine Erneuerung setzen, würden zum Angriff blasen.

So bäumt sich die Partei noch einmal auf. Für den Samstag mobilisiert sie zu einer Demonstration gegen die gerade eingeführte Homoehe  http://www.heise.de/tp/r4/artikel/20/20009/1.html. Am letzten Samstag mobilisierte sie nach Angaben der Nationalpolizei etwa 30.000 Menschen nach Salamanca, um gegen die Rückgabe von Dokumenten nach Katalonien zu protestieren, die während der Diktatur geraubt worden sind.  http://www.heise.de/tp/r4/artikel/19/19948/1.html. Dabei schreckte sie selbst vor Morddrohungen nicht zurück. Der Chef der Republikanischen Linken Kataloniens (ERC) hat Anzeige erstattet, weil offen mit Transparenten dazu aufgerufen wurden Carod Rovira an die "Wand zu stellen". Rovira ist Hassobjekt der PP und war unter deren Regierung einer massiven Spionage und Verunglimpfung ausgesetzt  http://www.heise.de/tp/r4/artikel/16/16649/1.html Eine Woche zuvor hatte die PP etwa 250.000 Mitglieder aus dem ganzen Land nach Madrid gekarrt, um gegen Verhandlungen mit der ETA zu demonstrieren. Erneut setzt sie auf Demagogie gegen die Basken, um Wahlen zu gewinnen.  http://www.heise.de/tp/r4/artikel/16/16956/1.html So wirft Fraga nun sogar die moderaten Nationalisten in Galicien mit der baskischen Untergrundorganisation in einen Topf. Er sagte, der Nationalistische Block Galiciens (BNG/ http://www.bng-galiza.org) "bringt die gesamte ETA nach Galizien".

Eigentlich hatte die "Vereinigung Terrorismusopfer" (AVT/ http://www.avt.org) - die weitgehend von der PP bestimmt ist- zu dem Marsch geladen, um gegen die Ankündigung der Sozialisten zum Dialog mit der ETA zu protestieren. Das Motto lautete: "Nicht in meinem Namen". Aber einige AVT-Gliederungen verweigerten sich Unterordnung unter die PP-Parteipolitik. Viele ETA-Opfer sprechen sich explizit für Verhandlungen aus. Andere Opferverbände wollten mit der Demonstration eh nichts zu tun haben. So musste die PP handeln und verwandelte die Demonstration, die einst für den Samstag vor den Wahlen geplant war, in eine Demonstration gegen die Regierung unter José Luis Rodríguez Zapatero.

So war es nicht die AVT, sondern die PP, die danach lautstark von der Regierung Konsequenzen forderte. Rajoy sprach sich erneut gegen eine friedliche Lösung des seit Jahrzehnten schwelenden bewaffneten Konflikts aus. Der "große Erfolg" der Demonstration habe gezeigt, dass "Hunderttausende von der spanischen Regierung fordern, den Terrorismus zu zerschlagen". Doch wohin das führt, zeigen nicht nur die letzten 50 Jahre im spanischen Staat, sondern auch das Desaster im Irak, wofür die PP ebenfalls mitverantwortlich ist.

Zapatero zeigt sich gelassen. Als Reaktion auf den Marsch hat er alle Opferverbände zum Gespräch geladen. "Mit Respekt" schenke er den Demonstranten Aufmerksamkeit. Er kritisierte aber die Instrumentalisierung der Opfer. Wie könnte es anders sein, liegt der Termin für das Treffen nach den Wahlen in Galicien. So zeigt auch Zapatero, dass sie die Schlüssel für sein weiteres Vorgehen sind.

Die PP wollte auf der Straße das umsetzen, was ihr im Parlament nicht gelang. Dort hatte sie alles in die Wagschale geworfen und Rajoy nannte Zapatero sogar einen "Verräter". Trotzdem trugen alle Parteien außer der PP den Kurs des Sozialisten und erteilten ihm im Mai das Plazet für einen "Dialog" mit der ETA. In dem Beschluss heißt es: "Wenn passende Umstände für ein Ende per Gewalt per Dialog auftreten", unterstützt das Parlament ihn. Mit dem Wort Dialog soll verschleiert werden, dass es um Verhandlungen geht. Dass es dafür keinen "Preis"; für den Frieden geben dürfe, kann auch als Sprachformel abgehakt werden, mit dem die PSOE dem Druck der PP auszuweichen sucht. Welchen Sinn haben Gespräche, wenn beide Seiten nicht zu Kompromissen bereit sind.

Seit längerem bahnt sich ein Friedensszenario an. Zwar wagte sich Zapatero die Truppen gegen den erbitterten Widerstand der PP aus dem Irak abzuziehen  http://www.heise.de/tp/r4/artikel/17/17226/1.html, doch sein Vorstoß im Parlament war der erste reale Schritt auf die linke baskische Unabhängigkeitsbewegung zu. Seit letztem November hatte die 2003 unter der PP in Spanien verbotene Partei Batasuna (Einheit), die der ETA politisch nahe steht, ihm mehrfach eine friedliche Lösung des Konflikts vorgeschlagen, der sich die ETA grundsätzlich angeschlossen hat.  http://www.heise.de/tp/r4/artikel/19/19277/1.html

Doch ohne Galicien geknackt zu haben, traut sich Zapatero nicht, den definitiven Schritt zu gehen und Verhandlungen aufzunehmen. Vor den Wahlen setzt seine Regierung sogar konträre Signale ab. So hat das ihr untergeordnete Ministerium für Staatsanwaltschaft mit der Kriminalisierung der Batasuna-Führung begonnen. Das hatte selbst die PP nach dem Verbot nicht gemacht. Die Staatsanwaltschaft hat Anklage gegen den charismatischen Batasuna-Sprecher Arnaldo Otegi erhoben. Der 46jährige Ex-Parlamentarier soll nun angeblich, quasi als Nebentätigkeit, auch ETA-Führer gewesen sein. Am Mittwoch letzter Woche musste Otegi erneut vor dem Nationalen Gerichtshof in Madrid erscheinen, wo ihm die Anklage verlesen wurde. Allerdings konnte er das Gericht diesmal wieder verlassen.

Eine Woche zuvor hatte das Sondergericht ihn nach einer Vernehmung inhaftiert. Nach zwei Tagen kam er auf Kaution von 400.000 Euro wieder frei. Das sorgte für Gelächter im Baskenland. ETA-Chefs kommen nicht auf Kaution frei. Das entlarvte unter anderem das Vorgehen als politische Maßnahme. Otegi musste als Tribut an die Konservativen vor den Wahlen in den Knast, weil die ETA am Tag seiner Vernehmung in Madrid mit einer Autobombe heftigen Sachschaden angerichtet hat, um Aktionsfähigkeit zu beweisen.  http://www.jungewelt.de/2005/05-26/010.php

Das Verfahren gegen Otegi und weitere Führungsmitglieder, geht auf die vielen offenen Verfahren des Ermittlungsrichters Baltasar Garzón zurück. Den hatte die PSOE nach der Machtübernahme ohnehin in die Wüste geschickt und offiziell seiner „Beurlaubung“ zur Lehrtätigkeit in der USA zugestimmt. Eigentlich müsste er schon für die Fehlleistungen im Rahmen der 11. März Anschläge längst suspendiert sein.  http://www.heise.de/tp/r4/artikel/20/20212/1.html

Der Skandalermittler Garzón hatte auch Otegi in das Verfahren gegen die Parteikneipen eingebunden. Die seien "unzugänglich für alle Personen, die nicht mit dem Gedankengut" von Batasuna verbunden seien, kaut der Staatsanwalt nun dessen Version wieder. Dort würden "Terroristen angeworben, temporär Waffen und Sprengstoffe gelagert und Informationen über mögliche Anschlagsziele gesammelt". Diesen haarsträubenden Unfug konnte Garzón bisher genauso wenig belegen, wie angebliche Verbindungen von Gruppen oder Kommunikationsmedien zur ETA, die er "vorläufig" verbieten ließ.  http://www.heise.de/tp/r4/artikel/11/11795/1.html Wie erklärt es sich sonst, dass die einst geschlossenen Kneipen längst wieder geöffnet sind, weil nicht einmal Finanzunregelmäßigkeiten zu finden waren. Bei keiner der vielen Durchsuchungen wurden Waffen gefunden. Ohnehin hat jeder freien Zutritt zu ihnen, wie viele Baskenlandurlauber auch in diesem Sommer wieder leicht feststellen können.

Auf das repressive Vorgehen vor den Wahlen in Galicien reagiert Batasuna gelassen. Die Partei bekräftigte, sich dadurch nicht vom Friedensweg abbringen zu lassen. Dass eine verbotene Partei am vergangenen Samstag mehr als 50.000 Menschen nach Bilbao mobilisieren konnte, die friedlich für einen Friedenprozess und gegen die Repression demonstrierten, zeigt, dass sie aus dem politischen Leben nicht abzudrängen ist. Auf der Demonstration bekräftigte Otegi die Vorschläge der Partei. Bis zum nächsten Frühling müssten zwei Runde Tische gebildet werden. An einem sollen sich alle Parteien auf einen Lösungsweg einigen, welcher der Bevölkerung zur Abstimmung vorgelegt wird. Daneben soll Madrid und Paris mit der ETA über die Demilitarisierung verhandeln. "Der Prozess ist in der Phase angekommen, wo Verpflichtungen eingegangen werden müssen", sagte er mit Blick auf Zapatero.

Denn eines ist klar, will Zapatero sich nach den Wahlen in Galicien auf Verhandlungen einlassen, dann muss alles relativ schnell gehen. Neben einem Ende der Repression stehen dann vor allem Gesten in der Frage der Gefangenen an, die gegen geltendes Strafrecht über ganz Spanien verteilt sind. Erst am Wochenende wurden wieder Angehörige bei den langen Autofahrten in zum Teil bis zu 1000 Kilometer entfernte Knäste schwer verletzt. Der Friedensprozess muss vor den Wahlen 2008 unumkehrbar sein, damit Zapatero damit Wahlkampf machen und nötige Zugeständnisse rechtfertigen kann, ohne dass er den Attacken der PP zum Opfer fällt. Am 19. zeigt sich nun, wohin die Reise geht.

© Ralf Streck, Donostia-San Sebastián den 15.06.2005
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