Europa rüstet gegen Einwanderer auf

Ralf Streck 16.05.2005 11:32 Themen: Antirassismus Weltweit
Spanien kündigt nach der außergewöhnlichen Regulierung von Einwandern eine Ausweitung des elektronischen Schutzwalls auf die gesamte Mittelmeerküste an. http://de.indymedia.org//2005/02/106272.shtml Frankreich, Deutschland, Großbritannien, Italien und Spanien wollen eine gemeinsame „europäische Grenzpolizei“ aufbauen. Frankreichs „Papierlose“ wehren sich gegen die „Kriegsmaschinerie“, die der „Aktionsplan gegen die illegale Einwanderung“ bedeute.
Es war kein Zufall, dass die spanische Guardia Civil die Ausweitung des elektronischen Schutzwalls (Sive) am Mittwoch angekündigt hat . Es geschah zum Beginn eines Seminars in der spanischen Stadt Alicante, an dem Vertreter 22 europäischer Staaten und von Europol teilnahmen. Das Treffen stand unter dem Motto: „Zusammenarbeit der maritimen Polizei- und Zolleinheiten“. So erklärte der Guardia Civil Offizier Francisco Díez Ticio die baldige Ausweitung des Schutzwalls auf die gesamte Mittelmeerküste an. Erneut wird damit das System ausgebaut, dass aus einer Kombination aus Radar- und diversen Kamerasystemen und Sensoren zur Früherkennung von Booten besteht . Damit wird darauf reagiert, dass sich mit Sive die sogenannte illegale Einwanderung nicht begrenzen lässt, sondern die Ströme nur umgelenkt werden. So nehmen die Boote immer längere Wege und Risiken in Kauf, um das gelobte Europa zu erreichen. Ohnehin seien die Drogen- und Menschenschmuggler immer einen Schritt voraus und setzten nun größere Schiffe ein, um an der Nordküste oder südlicher nahe der Grenze zu Portugal an Land zu gehen. Erst vor der Küste würden die Menschen auf kleinere Boote verteilt, räumte Ticio eigentlich das Scheitern des Abschottungsversuchs ein.Aber mit der Ankündigung wollte Spanien der Kritik zuvorkommen, die ihr von vielen Staaten seit der Regulierung von Einwandern entgegenschallt. Die wurde Ende letzter Woche beendet. Nach etlichen Aufweichungen der Kriterien zur Antragstellung für gültige Aufenthaltspapiere, ist die von der Regierung anberaumte Zahl von über 600.000 Anträgen eingegangen . Vor dem G5-Gipfel der Innenminister am Donnerstag in Paris wollte Madrid nun also zeigen, dass Spanien sich nach der Maßnahme aktiv gegen die illegale Einwanderung stellt und die internationale Kooperation sucht. http://de.indymedia.org//2005/03/110214.shtml Auf Einladung des französischen Innenministers Dominique de Villepin waren der deutsche Amtskollege Otto Schily (SPD), José-Antonio Alonso (Spanien), Charles Clarke (Großbritannien) und Giuseppe Pisanu (Italien), nach Paris gereist, um sich im Kampf gegen die illegale Einwanderung abzustimmen. Beschlossen wurde, „eine gemeinsame europäische Einheit zur Grenzintervention“ zu bilden, die Villepin als „Embryo einer europäischen Grenzpolizei“ bezeichnete. Neben einer besseren Koordination in Fragen der Einwanderung sollen auch gemeinsame Kriterien für die Legalisierung und den Zugang zu den Sozialsystemen geschaffen werden. Auch die fünf Maghrebstaaten (Algerien, Marokko, Tunesien, Libyen und Mauretanien) sollen Finanzhilfen erhalten und quasi als EU-Vorposten dienen.Der Kritik an der in der EU „nicht abgestimmten Maßnahme“ begegnete der Spanier Alonso mit dem Hinweise, die Regulierung in Spanien „wird keine Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt anderer Staaten haben“. Dass die mit Papieren ausgestatteten nach Deutschland ziehen würden hatte zunächst Schily vermutet und diese Kritik kam nun auch von Villepin, der eine ähnliche Regulierung in Frankreich strikt ablehnt. Tatsächlich war es genau umgekehrt, wie in den vergangenen Wochen festgestellt werden konnte. Hunderte Einwanderer haben sich aus Frankreich auf den Weg nach Spanien gemacht. http://de.indymedia.org//2005/04/113150.shtml In der Hoffnung endlich einen geregelten Status zu erhalten, hatten sie 8.000 Euro an Schlepperbanden bezahlt. Wenn sie ihre Zielorte erreichten würden, würden sie dort Papiere erhalten, erklärte der Pakistaner Mohamed Shahzad Telepolis. Mit mehr als 200 Landsmännern war er von der spanischen Polizei aufgegriffen und an der Grenze der französischen Polizei übergeben worden. Shahzad lebte fünf Jahre in Paris und ging das Risiko ein, weil er in Frankreich keine Lösung für sein Problem erwartet.In Richtung Abschottung und Abschiebung geht auch die Richtung in Frankreich. Letzte Woche hatte Villepin seinen „Aktionsplan gegen die illegale Einwanderung“ vorgestellt. „Gegenüber der illegalen Einwanderung gilt der Grundsatz Festigkeit", sagte er in einem Interview. Sein Plan sieht die Schaffung eines zentralen „Immigrationsdienstes“ und einer eigenen Einwanderungspolizei vor. Zudem soll es eine verstärkte Kontrolle der Eheschließungen und vermehrt Abschiebungen geben.Der Immigrationsdienst soll alle betroffenen Verwaltungsbereiche in Innen-, Justiz-, Sozial- und Außenministerium koordinieren. Die neue Immigrationspolizei soll sich vor allem aus Beamten der Luft- und Grenzpolizei (PAF) zusammensetzen, die um 600 Mann aufgestockt wird. „Sie wird sich ausschließlich mit der Aufdeckung von Schlepperbanden und mit der Abschiebung illegaler Einwanderer befassen“ sagte Villepin. Man habe 2003 etwa 11.000 Personen abgeschoben, im Vorjahr schon 16.000. „Mein Ziel ist es, im laufenden Jahr 20.000 zu erreichen. Zudem soll ein „Zentralamt zur Bekämpfung der Schwarzarbeit“ eingeführt werden und die französischen Konsulate sollen demnächst nur noch Visa mit biometrischen Informationen ausstellen.Scharf kritisiert werden diese Maßnahmen von Gewerkschaften, Linksparteien und Intellektuellen. Die Zeitung Liberation nennt diese Maßnahmen einen „Angriff auf die Grundrechte aller“ http://www.liberation.fr/page.php?Article=296076. Sie stellt einen Bezug zum Referendum über die EU-Verfassung am 29. Mai her, mit denen die Regierung am Vorabend der Abstimmung die Ängste viele Franzosen zu besänftigen. Vor allem auf der Rechten will man nicht weiter Stimmen einbüßen http://de.indymedia.org//2005/04/113436.shtml.Auch in Le Monde wird scharf gegen diese restriktiven Maßnahmen polemisiert und im Nouvel Observateur spricht Pierre Henry, Vorsitzender der Menschenrechtsorganisation „France terre d’asile“ () von der faktischen Abschaffung des Asylrechts und der Tatsache, dass die Regierung Hunderttausende in „rechtlose Räume“ zwinge . Gegen diese „Kriegsmaschinerie“ wie sie die „Bewegung gegen den Rassismus und für die Freundschaft zwischen den Völkern“ (MRAP) nennt , haben sich spontan etliche Organisationen, Parteien und Gewerkschaften dem Aufruf der „Papierlosen“ (sans papiers) zu einer Demonstration am Samstag in Paris angeschlossen, an der sich etwa 1000 Menschen beteiligt haben.Ralf Streck, Hendaye den 13.05.2005
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Ergänzungen

Aufruf

hd 16.05.2005 - 17:53
Berlin/Köln im März 2005

Internationaler Appell


Exterritoriale Flüchtlingslager der Europäischen Union

Wir fordern eine öffentliche Inspektion der menschenrechtswidrigen Internierungslager von Flüchtlingen und MigrantInnen in den Mittelmeerländern, um der Forderung nach ihrer Schließung Nachdruck zu verleihen.

Worum geht es? Die EU wird im dritten Anlauf voraussichtlich im Mai 2005 sondieren, ob sie in Nordafrika exterritoriale Flüchtlingslager errichten kann. Der deutsche Innenminister Otto Schily will die Regierungen Algeriens, Tunesiens, Libyens und Ägyptens besuchen, um frühere „Missver-ständnisse“ in dieser Sache auszuräumen. Denn bis jetzt sind die Regierungen dieser Länder nicht bereit, auf einen Wink aus Berlin, Rom oder London hin, den Bau von EU-Lagern auf nordafrikani-schem Territorium zu genehmigen. In Zeitungskommentaren hieß es dort sarkastisch, Deutschland sei als „Weltmeister“ im Bau von Lagern bekannt, und dieses Know-How brauche es nun wirklich nicht zu exportieren. Die Idee, Flüchtlingslager zu externalisieren, hatte Tony Blair zu Beginn des Irakkriegs (2003) aufgebracht. Die EU-Länder sollten Asylsuchende zurück in Lager vor den EU-Außengrenzen bringen. Einige wenige Flüchtlinge könnte man dort aussieben, die dann kontingen-tiert in die EU einreisen dürften. Im letzten Sommer (2004) hatte Giuseppe Pisanu, der italienische Innenminister, mit Otto Schily die Lager-Idee aufgegriffen, um von der EU-Verantwortung für den tausendfachen Tod von Boat-People im Mittelmeer abzulenken. Der neue Vorstoß Schilys im Mai 2005 wird vermutlich im Namen der „globalen Terrorismusbekämpfung“ geführt werden. Denn die europäische Sicherheitsdoktrin unterstellt, dass es dieselben nordafrikanischen Netzwerke seien, über die der Terror und die Boat-People-Migration organisiert werden.

Zahlreiche Initiativen und Personen haben in einem europaweiten Appell vom 12.10.2004 bereits gefordert, die exterritorialen EU-Lager zu schließen beziehungsweise keine weiteren Lager zu errichten (siehe  http://no-camps.org/.). Da Menschenrechtsgruppen der Zugang zu solchen Lagern verwehrt ist und einige Indizien dafür sprechen, dass dennoch heimlich Lager entstehen, ist es nun an der Zeit, die bestehenden Lager und Haftzentren rund ums Mittelmeer öffentlich zu inspizieren.

Boat People im Fahndungsvisier. Ein senegalesischer oder algerischer Flüchtling braucht nicht allzu viel Geld, aber viel Entschlossenheit, um auf eines der Holzboote (pateras) zu steigen, das ihn nach Europa bringen soll. Dieser Wagemut, mit dem die Armen ihr Leben riskieren, entfacht in Europa diffuse Ängste. Seit der Errichtung des Visaregimes gegenüber den nordafrikanischen Ländern (1992) sind schätzungsweise 10.000 Boat-People im Mittelmeer umgekommen. Jedoch nicht die Frage der Wiedergutmachung wird diskutiert, oder, wer für den massenhaften Tod auf See verantwortlich ist, sondern der volkswirtschaftliche ”Schaden”, den die Boat-People bei gelungener Überfahrt in der EU anrichten.

Nach offiziellen Angaben machen die Boat People nur einen sehr kleinen Prozentsatz der schät-zungsweise 500.000 Menschen aus, die Jahr für Jahr heimlich und unerlaubt die EU-Südgrenze passieren. Es sind die „Armen“, die sich der Gefahr der riskanten Meerüberquerung aussetzen. Wer es sich leisten kann, kauft sich einen gut gefälschten Pass und nimmt ein Flugzeug. Oder er nutzt seine Verbindungen zu Verwandten und Bekannten in Europa und setzt mit einer der großen Autofähren über. So ist im Fall der Begüterten und Etablierten die irreguläre Migration ein aufwän-diges Geschäft, und es wird behauptet, dass „kriminelle Netzwerke“ das Wegegeld zentral ab-schöpften. Diese Netzwerke haben sich jedoch bereits in Osteuropa überwiegend als polizeiliche Konstrukte erwiesen. Als kriminell wird jeweils das diffamiert, was den menschenrechtlich ver-kürzten Legalitätsformen der europäischen Migrationspolitik zuwider läuft.

Das Grenzregime, das die Migration in die „Illegalität“ treibt, entspricht europäischen Wirtschafts- und Verwertungsinteressen. Innerhalb Europas wurde der Arbeitsmarkt mit den Irregulären unter-schichtet. Die Abschottungsmaßnahmen der EU markieren gerade in der Mittelmeerregion ein stark abschüssiges Wohlstandsgefälle. Mit dem Visaregime haben die europäischen Innenpolitiker selber die Voraussetzungen geschaffen, die vielen Flüchtlingen und MigrantInnen nur die Möglichkeit lassen, heimlich das Mittelmeer zu überqueren. Schrittweise Reiseerleichterungen in der Sichtver-merkspolitik, wie sie die EU gegenüber Mittelosteuropa eingeräumt hat, gibt es gegenüber den Länden des Südens nicht. Dabei haben viele nordafrikanischen Staaten mit den westeuropäischen Ländern die gleichen folgenschweren Rückübernahmeabkommen abgeschlossen, sie fahnden ebenfalls nach Transitflüchtlingen und schieben sie in großem Ausmaß ab. Im Gegenzug haben Spanien und Italien lediglich der Einreise minimaler legaler Arbeitskontingente aus ausgesuchten nordafrikanischen Ländern zugestimmt. Insgesamt bleiben Gegenleistungen der EU für das migra-tionspolitische Entgegenkommen der nordafrikanischen Staaten aus oder finden allenfalls auf dem Energiesektor statt (Investitionen in die nordafrikanische Erdöl- und Erdgasförderung). So scheint die Servilität der nordafrikanischen Regierungen in der Frage der exterritorialen EU-Flüchtlingslager an ihre Grenzen zu stoßen.

Doch die Hartnäckigkeit der dortigen Regimes ist nicht von prinzipiellen menschenrechtlichen, flüchtlingspolitischen oder Lager-feindlichen Erwägungen geleitet. Deswegen wird es in Zukunft um die Frage gehen, wie viel finanzielle und politische Gegenleistungen die EU für die Errichtung der Lager bereit ist zu erbringen.

Die heimliche Infrastruktur der exterritorialen Lager. Seit zwei, drei Jahren entstehen die größten Abschiebelager der EU auf den Kanarischen Inseln, in Südspanien und auf den süditalieni-schen Inseln. Sie werden paramilitärisch bewacht und sind für den UNHCR, für Menschenrechts-gruppen und JournalistInnen nahezu unzugänglich. Diese Lager bilden die organisatorische Voraus-setzung für Massenabschiebungen in zukünftige Lager in Nordafrika. Die erste Luftbrücke für Massenabschiebungen in der europäischen Nachkriegsgeschichte wurde im Oktober 2004 einge-richtet: Unter militärischem Befehl wurden über eintausend Flüchtlinge ohne Ansehen ihrer Person, ohne individuelle Identifizierung und Prüfung ihrer Fluchtgründe, aus Süditalien nach Libyen deportiert. Dies stellte einen eklatanten Bruch der Genfer Konvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention dar.

Zur gleichen Zeit versicherte der designierte, später abgelehnte EU-Kommissar für das Innen- und Justizressort (!) Rocco Buttiglione bei seiner Anhörung vor dem Europäischen Parlament, er habe niemals vorgeschlagen, „Konzentrationslager in Nordafrika einzurichten, um illegale Immigranten dorthin zu deportieren“ und er beabsichtige auch nicht, so etwas vorzuschlagen (Protokoll des Hearings, Handelsblatt, 5. Oktober 2004). Buttiglione war von einigen ParlamentarierInnen scharf angegangen worden, weil er zuvor in verschiedenen Interviews (u.a. im Deutschlandfunk – 27. August 2004) die Lagervisionen eine „gute Idee“ genannt hatte. Buttiglione präzisierte seine Vorstellungen von „Aufnahmezentren“ dahingehend, dass diese nur mit Zustimmung und unter Mitarbeit der souveränen Staaten auf der anderen Seite des Mittelmeeres eingerichtet werden sollten. Sie könnten zugleich dazu dienen, die erwünschte Arbeitsmigration nach Europa auszuson-dern (vgl. Die Welt, 31. August 2004; Frankfurter Rundschau, 6. Oktober 2004).

Der Vorschlag, exterritoriale EU-Lager einzurichten, hat in Europa Proteststürme ausgelöst. Die nordafrikanischen Regierungen haben zudem keine Ländereien für künftige EU-Auffangzentren (Schily. FAZ, 23.07.2004) bereitgestellt. Dennoch wird Stück für Stück an der Idee gearbeitet, diese Lager zu realisieren, auch wenn in offiziellen Erklärungen dies immer wieder dementiert wird: So haben die Justiz- und Innenminister der EU auf ihrem informellen Treffen am 30.9./01.10.2004 in Scheveningen verkündet, dass die EU die Errichtung von „Aufnahmezentren für Asylbewerber“ in Algerien, Tunesien, Marokko, Mauretanien und Libyen anstrebt, aber nicht unter Leitung der EU, sondern der jeweiligen Länder. Und am 31.01.2005 hieß es aus Kreisen der EU-Innenministerkonferenz in Luxemburg, dass die Idee exterritorialer Lager „beerdigt“ sei. Man wolle wegen der Boat-People im Mittelmeer künftig einige ausgesuchte Kontingentflüchtlinge aus Nordafrika aufnehmen.

Wie die Lager-Visionen dennoch zur Realität werden können, lässt sich an den exterritorialen Lagern und Haftzentren studieren, die die USA zwecks Folterhaft auch in einigen nordafrikanischen Ländern unterhalten (vgl. Jane Mayer, Outsourcing Torture, in: The New Yorker, 14. Februar 2005): Heimlich werden die Infrastrukturen – die Gefängnisse, die Flughäfen, die Foltereinrichtun-gen und das Folterpersonal – mitgenutzt, die ohnehin in den Ländern vorhanden sind.

Auch bei der Errichtung von EU-externalisierten Flüchtlingslagern wird es vermutlich keine Werbetafeln geben, auf den geschrieben steht: „Hier baut die EU!“ Die Konzeption der exterrito-rialen Lager setzt stattdessen auf gedungene Komplizenschaft. Zugleich sollen die nordafrikani-schen Transitstaaten in „geeignete Erstasylstaaten“ umgewandelt werden. Dies geschieht unter der menschenrechtlich unverdächtigen Strategie, den Flüchtlingsschutz außerhalb Europas zu stärken. Wie auch immer die europäischen Lagervisionen rechtlich und materiell verwirklicht werden: Für die Lagerinsassen werden weder Grundrechte noch Rechtswegegarantie gelten (Schily, SZ, 02.08.2004), und man wird auch die Spuren der Finanzierung, der Verwaltungszuständigkeit und der Verantwortung zu verwischen wissen.

Nicht erst nach den italienischen Massenabschiebungen nach Libyen im Oktober 2004 tauchten beunruhigende Berichte über Kettenabschiebungen nach Mali, Niger, Nigeria und Ghana auf: Flüchtlinge, die aus südeuropäischen Ländern abgeschoben worden waren, berichteten von militä-risch genutzten Wüstenlagern nordafrikanischer Länder, in denen auch sie dann zeitweise interniert waren. Anschließend wurden sie in Grenzregionen in der Sahara ausgesetzt. Viele MigrantInnen hätten diese Maßnahmen nicht überlebt, sie seien zusammengebrochen und verdurstet.

Zu befürchten ist: Sind die exterritorialen Lager erst einmal institutionalisiert, wird die Luft für Flüchtlinge und irreguläre MigrantInnen innerhalb Europas noch dünner. Der Druck auf die unkontrollierte Migration wird sich folgenschwer erhöhen. Der weitreichende Vorschlag von Tony Blair sieht, wie gesagt, die Verbringung aller Asylsuchenden zurück hinter die EU-Außengrenze vor. Gibt es diese Kapazitäten, so werden sie auch genutzt – und ein Europa der umfassenden Bevölkerungskontrolle wäre die Folge, zu dem nur noch angeworbene und ausgelesene MigrantIn-nen und Flüchtlinge Zutritt hätten.

Deswegen fordern wir, dass Delegationen von nationalen und EU-ParlamentarierInnen und Menschenrechtsgruppen aus der EU und aus den nordafrikanischen Ländern die Regionen der exterritorialen Lager und der EU-finanzierten und externalisierten Haftzentren auf den Migrations-routen so bald wie möglich aufsuchen und auf ihre Schließung hinwirken. Auf der Agenda steht sowohl die Inspektion der großen Abschiebelager in Südspanien und Süditalien als auch der Wüstenlager. Es gilt, eine kritische Öffentlichkeit gegenüber den menschenrechtswidrigen Lager-strategien am Rande Europas zu schaffen und die sich abzeichnende Lagerbau-Komplizenschaft bloßzustellen.


Unterstützung des Aufrufs

Wir wollen uns mit diesem Aufruf in diesem Sommer an die europäische Öffentlichkeit wenden und ihn den nationalen und EU-ParlamentarierInnen zukommen lassen. Bitte verbreitet den Aufruf (Übersetzungen unter www.grundrechtekomitee.de). Initiativen und Organisationen können diesen bis zum 20. Juni 2005 unterzei-chen. Die UnterstützerInnen werden unter der oben angegebenen Anschrift des Komitees für Grundrechte und Demokratie gesammelt ( appell@grundrechtekomitee.de). Alle Gruppen erhalten nach dem 20. Juni 2005 eine vollständige Liste der unterzeichnenden Gruppen und können damit an die jeweilige Presse vor Ort herantreten.

Menschen, die wirkend in der Öffentlichkeit stehen und bereit wären, eine solche Delegation, so sie zustande kommt, werbend zu begleiten, melden sich bitte ebenfalls unter Angabe ihrer Anschrift und eMail-Adresse beim Komitee für Grundrechte und Demokratie.

Helmut Dietrich / Forschungsgesellschaft Flucht und Migration
Dirk Vogelskamp / Komitee für Grundrechte und Demokratie