9. Prozeßtag Aachen

UnterstützerInnen 22.04.2005 22:26 Themen: Repression
Prozeßtag Nr.9 gegen Jose, Bart, Gabriel und Begonia
9.Prozesstag in Aachen
oder Herzliches Wiedersehen im Zeugenstand

Auch der 9.Prozesstag begann mit gewohntem Prozedere, die Angeklagten wurden wieder einzeln, Jose und Gabriel weiterhin mit Fussfesseln in den Saal geführt. Aus Protest gegen das ständige sich entkleiden müssen, erschien Gabriel aufs Neue nur in Unterhosen. Aus den Reihen der UnterstützerInnen wurde hierbei „Abajo los muros-de la Prisiones“ (nieder mit den Mauern der Gefängnisse) skandiert. Richter Nohl verkündete zu Beginn die Ladung neuer Zeugen für den 27.4., seitens der Verteidigung eine Zeugin Schneider (siehe Bericht 8.Prozesstag), sowie die Besatzung eines Streifenwagens Rademacher/Trapp seitens der Anklage. Anschliessend wurde sich geeinigt, auf welche Zeugen im laufenden Prozess verzichtet werden könne. Während einer folgenden Verhandlungspause, der erste Zeuge des Tages hatte Verspätung, wurde Gabriel von einem Zuschauers provoziert, was eine verbale Auseinandersetzung zur Folge hatte. Gabriel stand dann auf und sang die erste Strophe von „a las Barricadas“.

Der erste Zeuge, Fahrzeughalter des zweiten Fluchtwagens, wurde nun zu den Geschehnissen befragt. Er hatte den Eindruck vom ersten Fluchtwagen gezielt ausgebremst worden zu sein. Anschliessend seien die Angeklagten mit gezogener Waffe (d.h. zwei von ihnen hatten Waffen) auf ihn zugerannt, wobei sie „Raus! Raus!“ schriehen. Da er nicht sofort den Türöffner fand, wurde ein Seitenfenster eingeschlagen, was zu leichten Splitterverletzungen beim Zeugen führte. Anschliessend konnte er jedoch unbehelligt den Wagen verlassen. Bei diesem Fahrzeugwechsel wurden auch die Geiseln zurückgelassen. Der Zeuge konnte weder Angaben zur Rollenverteilung in der Gruppe der Angeklagten machen, noch konnte er sie wiedererkennen. Alles in allem waren seine Angaben etwas widersprüchlich zu den Aussagen die er bei der Polizei machte, zu deren Gunsten dann aber korrigierte. Auf ein Nachfragen seitens Joses Anwalt Ulf Israel gab er an zu keinem Zeitpunkt Schüsse gehört zu haben.

In den Zeugenstand wurde anschliessend die Polizeisachverständige und Professorin für biologische Antropologie, Frau Dr.Backofen gerufen. Durch einen morphologischen Vergleich von Bildern einer Kamera der Karlsruher Bank mit denen der Erkennungsdienstlichen Behandlung Joses, sollte geklärt werden, ob Jose diese Bank überfallen hatte. Bereits zu Anfang wies die Zeugin auf die schlechte Bildqualität hin, was sie in ihrer Arbeit erheblich einschränkte. Sie ging nun auf etliche Merkmale wie mögliches Alter, Bartansatz und Farbe, Gesichtsform, Nasenabgleich, Mund-Kinnabgleich, Augenbrauen und Gesichtsproportionen ein, die sich zwar alle ähneln, jedoch alle eine sehr geringe Selektivität aufweisen. Sprich, es gibt sehr viele Menschen mit ganz ähnlichen Merkmalen. Interessant wurde es beim Ohrenabgleich, dessen Merkmale schon fast denselben Stellenwert besässen wie Fingerabdrücke. Hier fanden sich dann auch relativ viele Gemeinsamkeiten. Zum Ergebniss sagte sie das es kaum Merkmale gäbe, welche eine Identität Joses mit dem Mann auf dem Bild ausschliesse. Vielmehr sei eine Identität wahrscheinlich, was auf der dritten einer fünfstufigen Tabelle hierzu liegen würde (wobei Stufe 1 unwahrscheinlich, Stufe 5 sicher bedeutet). Zu einer prozentualen Wahrscheinlichkeit wollte sie sich jedoch nicht äussern, da der einzig schwerwiegende, stimmige Vergleich eben nur die Ohrenpartie sei.

Als 3.Zeuge betrat nun KOK Opree von der Kripo Aachen den Saal. Er hatte den Ort des Fahrzeugwechsels untersucht, was er Anhand von Lichtbildern erläuterte. Auf Anfrage der Verteidigung konnte er nicht sagen ob die gesammte Fluchtroute auf Reifen-, Schleuderspuren o.ä untersucht wurde.

An 4.Stelle der Zeugenliste dieses Tages folgte nun der kurioseste Zeuge, der Besitzer der Werkstatt in der die Flucht zu Ende ging. Beim Eintreten grüsste er die Angeklagten mit einem Kopfnicken. Er schilderte wie Bart, Jose und Gabriel in seine Werkstatt stürmten, wobei sie ihn nur kurz mit einer Waffe bedrohten. Er und ein anwesender Kunde sollten sich im weiteren Verlauf in das Auto des Kunden setzen, womit alle fünf aus der Werkstatt fuhren. Der Zeuge machte die Angeklagten darauf aufmerksam, dass alles voll von Polizei sei, worauf sie wieder in die Werkstatt zurück fuhren. Hier führte er alle in einen Nebenraum und begann dort Tee zu kochen, um die Gruppe zu beruhigen. Er verband dann noch eine leichte Schnittverletzung an der Hand eines Angeklagten. Nun begab er sich mehrfach nach draussen, um dort die Lage bezüglich der Polizei zu sondieren. Als Grund das er immer wieder in die Werkstatt zurückging und der Polizei nichts sagte gab er an, dass sich ja schliesslich noch ein Kunde in der Werkstatt befände und ausserdem habe er es den Angeklagten schliesslich versprochen. Er wollte sie nicht verraten. Als Bart aus der Werkstatt fliehen wollte und hierbei verhaftet wurde, gab er auch auf Druck seines hinzugekommenen Mitarbeiters der Polizei zu verstehen das Bart einer der Täter sei und sich die Anderen noch in der Werkstatt befänden. Wenn es nach ihm gegangen wäre, hätte er jedoch nichts gesagt. Nun kritisierte dieser Zeuge noch das Verhalten der Polizei, die bei diesem Einsatz wohl seinen Zaun und eines seiner Fahrzeuge demoliert hätten, ohne ihn jedoch dafür zu entschädigen. Auch wäre sein Pass bei der Polizei verloren gegangen. Bei seiner Entlassung aus dem Zeugenstand gab er, unter dem Applaus der UnterstützerInnen, allen Angeklagten die Hand und wünschte ihnen alles Gute. Er fragte Gabriel nach seinem Geburtstag, da er ihm dann etwas schicken wolle.

Zeuge Nr.5 war nun KK Carsten Liebmann, ein Beamter der Spurensicherung. Dieser führte primär die Asservatenliste, wozu er auch befragt wurde. Ausserdem vernahm er als erstes Jose und Gabriel, die sich jedoch nicht zur Sache äusserten. Die Zuordnung der Asservaten stellte sich auf Nachfrage von RA Pusch als sehr schwammig dar, fehlte doch u.a. eine Liste mit bestätigender Unterschrift Begonas. Beim Durchsuchen der Gegenstände hätte er bis auf Handschuhe keine weitere Schutzkleidung getragen.

6.Zeuge des Tages war ein Lackierer besagter Autowerkstatt. Dieser traf dort jedoch erst ein, als sich Bart, Jose und Gabriel schon im Nebenraum der Werkstatt befanden. Auf der Strasse traf er seinen Chef (Zeuge Nr.4 des Tages), der ihm die Situation erläuterte. Nach seinen Angaben diskutierten sie dann etwa eine halbe Stunde (was ihm, wie er später einräumte, aber wohl nur solange vorkam), ob sie denn der Polizei Bescheid geben sollten. Er machte dies dann auch und beobachtete anschliessend die Festnahmen. Als er dann wieder das Büro der Werkstatt betrat, fand er auf dem Fussboden einen zurückgelassenen Revolver. Auf Nachfrage des Richters gab er den Namen des damals anwesenden Kunden an, an den sich sein Chef in vorheriger Befragung nicht mehr erinnern konnte.

Nach dieser Vernehmung wurde wieder Beschlossen auf die Befragung diverser Zeugen zu verzichten. In einer anschliessenden kurzen Pause fiel erneut besagter Zuschauer negativ auf, der zuvor schon Gabriel anpöbelte. Diesmal bezeichnete er die UnterstützerInnen als „Viehzeug“, was zu lautstarken Protesten führte. Richter Nohl stiess seine Drohungen jedoch nur gegen die UnterstützerInnengruppe aus, mit dem Hinweis, mit diesen Leuten würde er sowieso nicht diskutieren. Nach Ende der Verhandlung entschuldigte sich der Pöbler übrigens für sein Verhalten.

Als nächster wurde Rubert Graf von der Spurensicherung in den Zeugenstand gerufen. Er untersuchte die Werkstatt, was er anhand von Fotos erläuterte. Ausserdem vernahm er Bart, der jedoch auch keine Angaben machte. Nach seinen Ausführungen wurde dieser Zeuge entlassen.

Beim achten und letzten Zeugen handelte es sich wieder um einen Polizisten, Gunther Gaullen, der angeblich an Gabriels Festnahme beteiligt war. Er schilderte seine Erlebnisse und gab an, dass die bei Gabriel gefundene Waffe nicht leergeschossen war. Auf die Nachfrage des Richters, ob er sich sicher sei, das dies wirklich Gabriel war, antwortete er „hunderprozentig“. Da es nun aber Fakt war, dass er die ganze Zeit Jose vor sich hatte, musste er das letztendlich auch eingestehen. Er entschuldigte seinen Irrtum mit den aussergewöhnlichen Ereignissen des Tages.

Nach Ende der Vernehmung wurde wieder auf diverse Zeugen verzichtet.
Ausserdem wurde bekannt gegeben, dass nächste Woche eine Erklärung Gabriels zur Sache verlesen würde.
Nun folgte ein Antrag von Gabriels Anwalt, der auf die Feststellung der Personalien der „Pöpler“ abzielte, um diese wegen Beleidigung anzuzeigen. Dies wurde von Nohl jedoch mit der Begründung abgewiesen, dass schliesslich von beiden Seiten gepöpelt würde, was in Zukunft zu unterlassen sei.

Zum Schluss stellte Barts Anwalt noch einen Antrag, dass der Haftbefehl gegen Bart aufzuheben bzw. ausser Vollzug zu setzen sei. Er argumentierte mit der durch die Beweislage klar ersichtliche geringe Schuld Barts, seiner fast einjährigen U-Haftzeit, sowie seiner Versicherung im Falle einer Aussetzung weiterhin am Prozess teilzunehmen. Der Staatsanwalt forderte diesen Antrag abzulehnen, schliesslich habe sich Bart, wenn auch passiv an der Geiselnahme beteiligt.
Richter Nohl gab an, dies am nächsten Prozesstag zu entscheiden und schloss die Verhandlung.

Nächste Woche verspricht also interessant zu werden, es steht sowohl Gabriels Erklärung als auch Barts mögliche Freilassung auf dem Programm. Und noch immer gibt es freie Plätze........
Nächster Verhandlungstag ist der 27.04.05 im Saal 339 Landgericht Aachen.


Ein kleines PS:
Koen Roggen, der wegen der Aktion vor zwei Tagen im Gericht eine Ordnungsstrafe im Aachener Knast absitzt, wird vorraussichtlich am Samstag entlassen. Er hatte heute Besuch, konnte jedoch keine Bücher oa. bekommen, er ist wohl auf.
Beim Verlassen des Gerichtes nahm Jose ihn in den Arm, wobei Koen ausversehen durch Joses Kopf ein „blaues Auge“ abbekam. Koen lies ihm nun ausrichten, dass er sich bedanke und das blaue Auge wie ein Kuss für ihn wäre............. Schöner Zufall noch: auf dem Weg zum Arzt kreuzten sich ihre Wege im Knast und es gab noch einen Gruss im Gang.
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Ergänzungen

BAJO el FIES

SOLIDARIDAD 23.04.2005 - 02:01

Interview mit Xosé Tarrío

[ Interview appeared initially in the magazine Marea Negra nr 3, July 2003:
 http://mareanegra.unionlibertaria.org ]

Was geschieht in den Gefängnissen, das tausende Leute, so wie du - die eigentlich nur eine kurze Haftzeit abzuleisten hätten - mit Strafen von mitunter bis zu hundert Jahren überzogen werden ?

Das Gefängnis ist ein Ort, an welchem der permanente Versuch stattfindet, die Menschen zu brechen. Es gibt Personen, welche dies schlucken und andere, die es nicht tun. Wenn du es schluckst, sitzt du deine Zeit ab und wirst entlassen. Tust du es jedoch nicht, kann es sein, dass du 30 oder 40 Jahre im Gefängnis bleibst, so wie es vielen Gefangenen passiert. Zu diesen zählen sowohl die sogenannten politischen, als auch die sozialen Häftlinge, die sich im Gefängnis dazu entschliessen, sich gegen das, was von ihnen zu ertragen verlangt wird, zu widersetzen, in Form von Auftständen; der Weigerung, die Zellen zu verlassen; Fluchtversuchen; dem Aufstellen von Listen mit Fordrungen etc. ... Und du weißt, nach den Protesten kommen neue Prozesse und Verurteilungen, mit denen dafür gesorgt wird, dass du Jahr um Jahr ansammelst; vom Gefängnishof in die Isolation kommst und später in die speziellen FIES-Regime, was Isolation innerhalb der Isolation bedeutet. Niemand soll denken, der Ort Gefängnis hätte auch nur annähernd etwas mit Demokratie zu tun; du wirst dort hineingeworfen und von da an bist vollkommen ihrer Willkür ausgeliefert.

Wann wurde dir bewußt, was dort wirklich passiert und hast du Stellung dagegen bezogen ?

Mein soziales Bewusstsein und, ganz konkret, die anarchistischen Ideen, mit denen ich mich identifizierte, entwickelte ich im Gefängnis. Als ich sah, bis zu welchem Grad Menschen beherrscht und ihrer Freiheit und Rechte beraubt werden können, da kam mir die ganze Unterdrückung, die im Gefängnis dominiert, zu Bewußtsein. Der Moment, indem du rebellierst; indem du die Stärke besitzt, dir das, was sie dir antun, bewusst zu machen, das ist der Zeitpunkt der Veränderung.

Wie vollzog sich dieses Bewusstwerden ?

Ich begann zu lesen; Menschen zu kontaktieren und nach Bewegungen zu suchen, in denen ich mich wieder erkennen konnte und das war in meinem Fall die anarchistische Bewegung. Sie half mir aus dem Knast zu kommen und hat mir, durch die Bücher von Bakunin, Proudhon etc., die ich im Gefängnis las, Stärke und Idealismus gegeben und später dann durch die vielen Kollektive, mit welchen ich mich, in ihrem Kampf gegen den Staat; das Gefängnissystem; die Polizei usw. verbunden fühlte.

Wie hast du im Gefängnis den Kampf für die Rechte der Gefangenen erlebt ?

In den 1990ern gründeten wir, als Wiederherstellung der Coordinadora de Presos en Lucha (Koordination Gefangener im Kampf ), die Asosiación de Presos en Lucha ( Vereinigung Gefangener im Kampf ). Sie wurde von Gefangenen im Spezial Regime, etwa 50 Menschen aus allen Teilen der Welt, ins Leben gerufen.
An einem bestimmten Punkt einigten wir uns darauf, an Antoni Asunción vom Verwaltungsapparat der Strafvollzugsanstalt, ein Schreiben mit Forderungen zu schicken. Diese, unsere Forderungen beinhalteten: Inhaftierung der Gefangenen an den Orten ihrer Herkunft - eine angemessene Behandlung der Gefangenen die an AIDS erkrankt sind - die Beendigung jeglicher Art von Folter - sowie die Verbesserung der Ernährung und der sanitären Verhältnisse ...
Die Antwort der Administration war absolutes Schweigen. Deshalb entschieden wir uns dafür, eine Reihe von Aufständen zu machen und Wärter als Geiseln zu nehmen, um unseren Forderungen über die Presse Nachdruck zu verleihen und sie bekannt zu machen.
Wir warteten jedoch bis zum Jahr 1992, weil dann aufgrund der Olymischen Spiele, ein breites Spektrum ausländischer Presse im Land sein würde. Wenn in jenem Jahr in einem Gefängnis ein Aufstand endete, so wurde er in einem anderen weitergeführt, und dann im nächsten und so fort - dies ging so eine ganze Weile lang.

Wie sahen die Reaktionen der Regierung auf eur'e Proteste aus ?

Ab einem gewissen Moment entschieden sie, uns zu isolieren. Sie schufen ein internes Register; zerstreuten uns in Zweiergruppen; verlegten uns alle 5 oder 6 Monate in ein anderes Gefängnis und später dann folgte die physische Vernichtung : Ich sah KameradInnen im FIES-Regime sterben; einige wurden tagtäglich mißhandelt - bis sie Selbstmord begingen; andere habe ich an Krankheiten, die nicht ärztlich behandelt wurden, sterben sehen. Ich kann noch immer nicht darüber sprechen.

Unter wem fanden die Vergeltungen statt ?

Unter Antoni Asunción und Gerado Domínguez, die wir wegen FIES vor Gericht bringen konnten. Sie wurden jedoch auf Rosen gebettet und kamen ungestraft davon, da, wie wir natürlich wissen, der Staat seine Mechanismen hat, um sich selber zu schützen ... Sämtliche Verbrechen, die vom Staat in den Gefängnissen begangen wurden, blieben ungesühnt ... und ich war 16 Jahre im Gefängnis; niemals aber habe ich dort einen Aufseher; einen Millionär; ein Mitglied des Militärs oder einen Politiker in Strafhaft gesehen.

Wie ist der aktuelle Stand des Kampfes im Gefängnis ?

Als die Leute, welche die APRE gebildet hatten, aufgeteilt und isoliert wurden, folgte zunächst eine Zeit ohne eine Bewegung. Danach gestaltete sich der ganze Kampf, durch die Organisationen ausserhalb der Gefängnisse, viel organisiertrer. Dies brachte eine neue Reaktion mit sich; neue Publikationen erschienen ... Die Menschen begannen wieder zu kämpfen; Hungerstreiks zu machen; Proteste zu organisieren usw. Ich würde so sagen: Die Kontakte zwischen den Leuten innerhalb der Gefängnisse und der anarchistischen Bewegung blieben bewahrt. Viele entdeckten die anarchistischen Ideen und reklamierten sie für sich; begannen Bücher zu lesen; Kontakte mit Kollektiven auf zu nehmen etc.

Wie siehst du die Richtung, die der Kampf gegen die Gefängnisse genommen hat ?

Ich denke, dieser Kampf ist viel nützlicher als der Kampf, den wir früher strukturiert hatten. Neben dem Publikmachen dessen, was drinnen passiert, haben die Gefangenen ein grösseres politisches Bewusstsein entwickelt. Sie kämpfen nicht nur, sie denken und schreiben; suchen nach Ursachen und nach einem Grund für das, was sie tun. Sie wollen herausfinden, wer für das Leid, welches sie ertragen müssen, verantwortlich ist; was für Persönichkeiten das sind. Im Moment fühlen sich Menschen in den Gefängnissen von der Unterstützung, die sie von anarchistischen Gruppen erfahren, motiviert.

Gibt es einen großen Unterschied zwischen dem Eindruck, den du von der anarchistischen Bewegung hattest, als du im Gefängnis warst, und dem, den du in der Realität ( draussen ) erlangen konntest ?

Ich habe in der letzten Zeit viele Vorträge im ganzen Land gehalten und libertäre Gruppen gesehen, die sehr wertvoll sind und das representieren, was die wirkliche anarchistische Bewegung ist - die, von der wir in den Büchern lasen - Die Art, wie sie sich organisieren; der Kampf für soziale Gleichberechtigung, für eine bessere Welt, nicht perfekt, aber mit Sicherheit besser und wo Menschen in Freiheit miteinander leben können. Ich möchte auch um die Aufmerksamkeit derjenigen KameradInnen bitten, die ihre Zeit mit Trinken und Rauchen verschwenden ... Diese Situation kann für die Menschen im Gefängnis schockierend sein, da einige von ihnen wegen Drogenmissbrauch hier gelandet sind ... Haben sie eine Vorstellung von sich selbst, als die AnarchistInnen der "old days" ? Aber ich kann mit aller Ehrlichkeit sagen, dass ich bei den Leuten, die ich kennenlernte, ein sehr gutes Gefühl habe. Die anarchistische Bewegung ist ohne Zweifel die Zukunft - Damit meine ich: Es gibt nichts ausser der Anarchie, da sie die beste aller möglichen Welten in sich trägt.

Was denkst du, sind die nächsten Stufen, die in der Zukunft genommen werden müssen?

Wir müssen diesen Weg weitergehen. Als erstes müssen wir die Gefängnisse öffnen und erzählen, was passiert ist .
Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Unterstützung der Gefangenen. Gebt ihnen Material, das ihnen ermöglicht, aus sich selbst heraus zu kommen; schickt Informationen; informiert sie; reicht ihnen eine helfende Hand, Ideen, Zuneigung und vor allem : eine Zukunft. Ich denke, die anarchistische Bewegung ist dazu verpflichtet, die Tore zu öffnen.

Ist eine Reform des Vollzugssystems möglich ?

Über Reformen der Gefängnisse sollte sich Keine/r Illusionen machen. Gefängnisse können nur zerstört werden und der einzige Weg, die Gefängnisse zu zerstören, ist den Staat zu zerstören und eine neue Gesellschaft zu entwickeln. Es ist klar, dass dies meine Alternative ist, dass es deine und die Alternative aller Menschen im Gefängnis ist :
¡¡ ALLES ZU VERÄNDERN !!


[ Das Interview erschien ursprünglich in der Zeitschrift Marea Negra Nr. 3, July 2003 :
 http://mareanegra.unionlibertaria.org
Xosé Tarrío war dann für einen Monat frei. Im September 2003 wurde er wieder verhaftet, und des vierfachen Raubes angeklagt. Dann, im Mai 2004 vor Gericht gestellt, wurde er des dreifachen Raubes für schuldig befunden und zu 11 Jahren Haft verurteilt. Wieder wurde er ins Gefängnis geworfen; wieder nach Teixeiro. Sein gesundheitlicher Zustand ( als jahrelanger Träger des AIDS-Virus ) verschlechterte sich rapide. Im July 2004 erlitt er einen Infarkt des Gehirns. Die Gefängnisautoritäten entliessen ihn nur für den Monat August -rein provisorisch Im September 2004 fiel er ( nach einer Grippediagnose und eindeutig unterlassener medizinischer Hilfeleistungen ) ins Koma.
Xosé Tarrío starb am 02. Januar 2005 innerhalb der Gefängnismauern, genauso wie er es für seine zahhllosen GefängnisgenossInnen angepangert hatte: Ohne jahrzehnte lang eine medizinisch adäquate Versorgung erhalten zu haben; in einer kalten Zelle, allein und fern von seiner Familie und seinen Freunden. 1990 frägt Xosé einen Gefängnisarzt: - " Das heisst, die Bestrafungen die sie mir auferlegen ( Isolation etc. für Rebellion und Widerstand ) beschleunigen gleichzeitig meinen Tod, nicht wahr ? " - " Genau so ist es " - antwortet der Arzt ]

Xosé Tarrío :
In den Fängen von FIES :
 http://de.indymedia.org/2004/12/102570.shtml
Hintergrundkapitel zu FIES aus seinem Buch :
www.escapeintorebelliomn.info / Archiv
Geschichte der Knastkämpfe in Spanien:
FIES en LUCHA
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