11. März - Ein Jahr Vertuschung

Ralf Streck 12.03.2005 21:00 Themen: Repression Weltweit
Der sogenannte „Internationalen Gipfel über Demokratie, Terrorismus und Sicherheit“ ging in der spanischen Hauptstadt Madrid mit der offiziellen Erinnerung an die blutigen Anschläge vom 11. März einher. Doch alle Aktivitäten können nicht verdecken, dass nicht einmal im Ansatz Licht in die Hintergründe dieser Anschläge gebracht wurde. Das Scheitern der Untersuchungskommission hat selbst deren Präsident eingeräumt. Statt aufzuklären wurde die Kommission für Parteienstreit missbraucht, die Opfervereinigungen nehmen deshalb nicht einmal an den Trauerfeiern teil und selbst UNO-Generalsekretär Kofi Annan mahnte vor einer Verletzung elementarer Rechte im sogenannten Kampf gegen den Terrorismus.
Am Freitag vor einem Jahr jagten islamische Fundamentalisten am frühen Morgen vier Vorortzügen in der spanischen Hauptstadt Madrid in die Luft. ( http://www.heise.de/tp/r4/artikel/16/16941/1.html). Um den 192 Toten und mehr als 1500 Verletzten zu gedenken, haben an diesem Tag um 7 Uhr 37 alle Kirchenglocken in Madrid gleichzeitig läuten, als die 13 deponierten Bomben zu explodieren begannen, obwohl sich die Opfer gegen diese „laute Geste“ ausgesprochen hatten. An dem angeordneten Staatstrauertag und am zentralen Trauerakt, wo in einem Park der „Wald der Abwesenden“ eingeweiht wurde, nahmen sie ebenfalls nicht teil 192 Bäume erinnern dort nun an die Opfer des Massakers.

Gleichzeitig endete der „Internationale Gipfel über Demokratie, Terrorismus und Sicherheit“. 50 Staaten hatten mit 200 „Terrorismusexperten“, 22 Staats- und Regierungschef und hochrangigen Politikern daran teilgenommen, darunter auch der UNO-Generalsekretär Kofi Annan. Geplant war, eine „gemeinsame Agenda der demokratischen Nationen“ auszuarbeiten, „um effizient gegen Terrorismus vorzugehen und den weltweiten Opfern dieser Gewalt zu gedenken“ ( http://english.safe-democracy.org/info/about-safedemocracyorg.html). Mit der Agenda von Madrid ( http://english.safe-democracy.org/info/the-madrid-agenda.html) soll „weltweit“ eine „gemeinsame Strategie“ gegen alle „Formen des Terrorismus“ mit „demokratischen Mitteln“ erarbeitet werden.

Dass dieses hochgesteckte Ziel außerhalb der Reichweite liegt, war klar. Selbst eine gemeinsame Definition für den Begriff Terrorismus wurde nicht erarbeitet. Da an dem Gipfel zum Beispiel auch der wenig demokratische König Marokkos teilnahm, wieß darauf hin, dass von einem Teil der Teilnehmer beabsichtigt war, Folter wie in Abu-Ghraib ( http://www.heise.de/tp/r4/artikel/19/19558/1.html), willkürliche Verhaftungen und Pressezensur wie in Marokko, wohl nun zur demokratischen Antiterrorbekämpfung gehören sollen. Im spanischen Staat, der die Konferenz unter der Schirmherrschaft des Königs ausrichtet, wird dies ohnehin seit dem Ende der Franco-Diktatur praktiziert ( http://www.heise.de/tp/r4/artikel/12/12359/1.html). Das kann in den Berichten von Amnesty International ( http://www.es.amnesty.org/esp/docs/acabar_doble_injusticia.zip) der UNO ( http://www.behatokia.info/modules.php?op=modload&name=Downloads&file=index&req=getit&lid=196) oder des Europarats ( http://www.behatokia.info/modules.php?op=modload&name=Downloads&file=index&req=getit&lid=179) nachgelesen werden.

So kam es Kofi Annan zu, daran zu erinnern. dass der Kampf gegen den Terrorismus scheitere, wenn gleichzeitig elementare Rechte abgebaut und Menschenrechte verletzt werden. „Wir können nicht die prinzipiellen Werte aufgeben (...). Im besonderen müssen die Menschenrechte und die Prinzipien des Rechtsstaats beachtet werden. (...) Wenn wir im Kampf gegen das Phänomen Terrorismus diese Werte opfern, überlassen wir den Sieg den Terroristen“ ( http://english.safe-democracy.org/keynotes/a-global-strategy-for-fighting-terrorism.html). Dem Kampf gegen die Armut komme darin auch eine besondere Rolle zu.

Er ließ auch die Möglichkeit offen, Staatsterrorismus als Terrorismus zu begreifen. Jeder „gewollte Waffeneinsatz von Staaten gegen die Zivilbevölkerung ist durch das internationale Recht schon jetzt klar verboten“. Spanische Medien hatten zuvor interpretiert, Annan habe am Donnerstag die USA für den von der UNO nicht gedeckten Irak-Krieg kritisiert. Denn der macht die Zivilbevölkerung ( http://www.heise.de/tp/r4/artikel/14/14765/1.html) oder Berichterstatter zum Ziel ( http://www.heise.de/tp/r4/artikel/14/14562/1.html), wie es im Fall der unbequemen Journalistin Giuliana Sgrena ( http://www.heise.de/tp/r4/artikel/19/19606/1.html) erneut der Fall zu sein scheint.

Annan fühlte sich offenbar derart missverstanden, dass er sich präzisierte und auf einer Pressekonferenz erklärt, „einige Staaten“ seien gemeint gewesen. Ob er auch Spanien meinte, ließ er diplomatisch offen. Mit einer guten Portion Heuchelei hatten der spanische König und der Ministerpräsident José Luis Rodríguez Zapatero sich seiner Rede vor dem Gipfel angeschlossen. Dass der König als Staatschef vom Diktator Franco eingesetzt wurde, störte ebenso wenig, wie die Tatsache, dass Spanien jedes Jahr von der UNO wegen Folter und Misshandlungen an den Pranger gestellt wird. Zuletzt hatte der Sonderbeauftragte der UNO Theo van Boven die spanische Folter sogar im letzten Oktober vor der UNO-Vollversammlung zur Sprache gebracht, und die Abschaffung der berüchtigten Kontaktsperre gefordert ( http://www.heise.de/tp/r4/artikel/12/12359/1.html). Denn während die USA die Übergriffe in Abu-Gharib einräumen, wird die spanische Folter weiter geleugnet. Mit dem General Galindo wurde die erst kürzlich von den Sozialisten (PSOE) einer der höchsten Staatsterroristen und Folterer aus dem Knast geholt, der für sie in den 80er Jahren die schmutzigen Geschäfte abgewickelt hat ( http://www.heise.de/tp/r4/artikel/11/11903/1.html).

Die Opfer des 11. März hatten ohnehin den Veranstaltern des Gipfel in die Suppe gespuckt. Sie sorgten dafür, dass die Konferenz schon am 10. März beendet werden musste, weil sie sich an den Ehrungen nicht beteiligen wollten. So bringen sie erneut ihre Kritik über das Versagen der Untersuchungen zum Ausdruck gebracht. Zuvor hatten sie das Ende der parlamentarischen Untersuchungskommission begrüßt und statt ihr eine unabhängige Aufklärung gefordert. Mit Nachdruck hatte das Pilar Manjón vor dem Ausschuss erklärt, als die Präsidentin der „Vereinigung 11 M“ ( http://www.asociacion11m.org), dem größten Zusammenschluss der Opfer, zum Ende der Befragungen vernommen wurde.

Ohnehin stellte sich die Frage, was die Mutter eines Opfers zur Aufklärung der Anschläge beitragen könnte? Statt die Debatte zu emotionalisieren und von den Schwächen der Kommission abzulenken, nutzte die mutige Frau die Gelegenheit, um mit den Volksvertretern ins Gericht zu gehen: „Diese Herren sollten aufhören, unser Leiden und den Terrorismus für parteiische Wahlinteressen zu benutzen“, erklärte sie vor langen Gesichtern. Tatsächlich würden die Opfer alleine gelassen, einige seien noch immer nicht entschädigt worden, klagte sie an. Es gehörte zum Höhepunkt der Peinlichkeiten, dass noch versucht worden war, die Öffentlichkeit vor der Befragung Manjóns auszuschließen, als klar war dass sie scharfe Kritik üben würde. Die lesenswerte Aussage ist auf den Seiten der Vereinigung dokumentiert. ( http://www.asociacion11m.org/documentos/20041215declaracioncomisioninvestigacion.pdf)

Die Lage der Opfer habe sich sogar verschlechtert. Die Hälfte der Psychologen seien abgezogen worden, die den Opfern Hilfe bei der Bearbeitung ihrer Traumen geleistet haben: „Es scheint, die Trauer und der posttraumatische Stress haben ein Verfallsdatum“, sagte Pilar Manjón. Bis heute habe niemand die Kritik vom Dezember ernst genommen, fügte sie an.

Nur einen kurzen Effekt hatte ihre Rede vor der Kommission im Dezember. Nach der scharfen Kritik räumte der Kommissionspräsident das Scheitern der Untersuchung ein. Paulino Rivero sagte, man habe einen „groben Fehler“ gemacht, als man sich „fast nur auf das konzentriert hat, was zwischen dem 11. und 13. März geschehen ist“. „Das Wichtigste, was vor dem 11. März geschehen ist, haben wir vergessen“, sagte er Kommissionspräsident. So werde es schwer Konsequenzen zu ziehen, damit so etwas nicht wieder geschehe. ( http://www.elmundo.es/elmundo/2004/12/23/espana/1103797952.html).

Denn monatelang wurde vor allem beleuchtet, was zwischen den Anschlägen und den Parlamentswahlen am 14. März geschah. Gestritten wurde darüber, ob die Sozialisten (PSOE) ihren überraschenden Wahlsieg den Anschlägen zu verdanken haben. Die abgewählte Volkspartei (PP) warf ihnen vor, die Anschläge propagandistisch für „illegale Wahlwerbung“ genutzt zu haben. ( http://www.heise.de/tp/r4/artikel/17/17845/1.html)

Bestätigt wurde nur, dass die damalige konservative PP-Regierung die Bevölkerung massiv über die Urheberschaft der Anschläge belogen hat, als sie versuchte, sie der baskischen Untergrundorganisation ETA in die Schuhe zu schieben ( http://www.heise.de/tp/r4/artikel/16/16965/1.html) Sie wollte jeden Zusammenhang zur Kriegsbeteiligung Spaniens an der Seite der USA im Irak vermeiden, gegen die 90 Prozent der Bevölkerung waren. ( http://www.heise.de/tp/r4/artikel/16/16976/1.html)

Statt die Kritik und Selbstkritik ernst zu nehmen, begann die Kommission vor einigen Wochen doch tatsächlich mit ihrem Abschlussbericht. Vorschläge dafür, wie Anschläge dieser Art verhindert werden können, hat sie trotz ihrer fehlenden Ermittlungen im Rahmen des Gipfels bis zum Freitag vorlegen. Auf welcher Grundlage 120 Vorschläge zum besseren Schutz vor derlei Anschlägen gemacht wurden, bleibt das Geheimnis dieser Parlamentarier. Wie ernst die 16 Maßnahmen genommen werden dürften, die eine Verbesserung für die Opfer vorsehen, lässt sich an deren erneuten Kritik ablesen.

Es bestand ohnehin kaum Interesse an einer wirklichen Aufklärung. Das hatte sich schon im vergangenen Sommer gezeigt hat, als man die Kommission schnell beerdigen wollte. ( http://www.heise.de/tp/r4/artikel/18/18257/1.html). Die Sozialisten wollten ohnehin erst gar keine Untersuchung zulassen und die Konservativen wollte nur Beweisen, dass der Wahlsieg der PSOE dem Terror zu verdanken sei. Entsprechend wurden die Zielvorgaben für diese Untersuchung festgelegt und der Kommission etliche Dokumente vorenthalten.

Ungeklärt soll offenbar bleiben, welche Rolle die Sicherheitskräfte und deren Spitzel bei den Anschlägen gespielt haben. Denn es kamen trotz dieser Untersuchung viele bedenkliche Fakten ans Licht. Fest steht: Ohne den Sprengstoff und die Zünder, die der Spitzel der Nationalpolizei José Emilio Suárez Trashorras geliefert hat, hätte es die Anschläge nicht gegeben. Dieses Material wurde zudem über einen Spitzel der paramilitärischen Guardia Civil Rafael Zuheir (Rafa Zouhier) an die Islamisten vermittelt, der mehrfach beteuert hat, er habe die nicht nur informiert, sondern sogar eine Probe übermittelt. Zudem waren die Sicherheitskräfte durch die umfassende Telefonüberwachung informiert. ( http://www.heise.de/tp/r4/artikel/18/18311/1.html)

Später tauchte sogar ein jahrelang verschollenes Tonband auf. Daraus geht hervor, wie ein Informant Francisco Javier Lavandera die Guardia Civil schon 2001 auf die Sprengstoffdeals des Spitzels der Nationalpolizei Trashorras aufmerksam gemacht hat. Der hatte sich bei Lavandera auch erkundigt, ob der jemanden kenne, der Mobiltelefone zum Zünden von Bomben umbauen könne. So wurden schließlich am 11. März die Bomben gezündet ( http://www.heise.de/tp/r4/artikel/18/18877/1.html).

Obwohl all dies für eine tiefe Verstrickung von Trashorras in die Anschläge spricht, wurden weder er noch einer der anderen Spitzel vor der Untersuchungskommission vernommen. Telepolis hatte schon im vergangenen Oktober darauf hingewiesen, dass es sich vielleicht um eine missglückte Aktion zur Infiltration in die ETA handelte. Denn der Schwager von Trashorras, ebenfalls ein Spitzel, versuchte 2001 in einem Knast Kontakt zu ETA-Gefangenen herzustellen, um ihnen den Sprengstoff anzudienen ( http://www.heise.de/tp/r4/artikel/18/18541/1.html).

Diese These hatte schon im November mehr Gewicht bekommen als klar wurde, dass die ETA-Gefangenen den Braten gerochen hatten. In einem Interview mit der Zeitung El Mundo erklärte er nun auch Lavandera, er sei davon ausgegangen, dass der angebotene Sprengstoff sei die ETA bestimmt gewesen wäre ( http://www.elmundo.es/elmundo/2005/02/27/espana/1109478348.html). Dass die 200 Kilo für die ETA bestimmt waren, hat auch noch ein weiter Spitzel behauptet  http://www.elmundo.es/elmundo/2005/02/24/espana/1109237096.html. Somit ließen sich die vielen „Pannen“ erklären und auch, warum die beiden wichtigsten Parteien die Hintergründe nicht aufklären wollen. Dann müsste der Sicherheitsapparat indirekt die Verantwortung für das Massaker übernehmen, die Reaktion darauf kann man sich ausmalen.

© Ralf Streck, Donostia-San Sebastián den 12.03.2005
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Ergänzungen

Siehe auch Zeittafel und Dokumentation

Ralf 12.03.2005 - 21:15