Massenprozesse beginnen

Ralf Streck 07.02.2005 12:03 Themen: Repression Weltweit
Vor dem Nationalen Gerichtshof in Madrid hat heute der erste Massenprozess gegen baskische Organisationen begonnen. In aller Eile wurde der Termin erst am vergangenen Mittwoch festgelegt. Derweil hat aber auch die Debatte um die Legalisierung der baskischen Partei Batasuna (Einheit) begonnen. Bis zu den angekündigten Regionalwahlen in der Autonomen Baskichen Gemeinschaft wird sich zeigen, ob ein Friedensprozess eine Chance bekommt.
Erst Mitte Januar hat die Verteidigung die Anklageschrift für 42 Jugendliche aus drei Jungendorganisationen erhalten. Insgesamt 654 Jahre Haft fordert die Staatsanwaltschaft, wegen „Unterstützung“ oder „Mitgliedschaft“ in der Untergrundorganisation ETA. Auf 85 Seiten wird ausgeführt, es seien Mitglieder der verbotenen Jugendorganisationen Jarrai, Haika und Segi, die über „ihren Straßenkampf“ der ETA „Nachschub“ zuführten.

Der Prozess muss schnell geführt werden, denn im März ist bei sechs die Höchstdauer von vier Jahren Untersuchungshaft erreicht und die ersten Jugendlichen müssten entlassen werden. 19 weitere sitzen seit drei Jahren.Zehn werden in Abwesenheit verhandelt, da ihr sie es angesichts von Strafen zwischen 10 und 112 Jahren vorgezogen haben ins Exil zu gehen. Der Verteidigung blieb kaum Zeit, um gegen die zum Teil absurden Vorwürfe zu argumentieren. Anhand des Vorgehens verwundert nicht, wenn die Verteidigung erklärt das eine vernünftige Verteidigung vor dem Sondergericht unmöglich ist.

Wie absurd die Anklage ist, zeigt auch die Tatsache, dass alle Organisationen im französischen Teil des Baskenlandes weiter legal arbeiten, soweit sie ohnehin nicht längst aufgelöst worden sind. Dabei wurden sie sogar von Spanien auf die EU-Liste terroristischer Organisationen gesetzt . Eine Auslieferung der Segi-Sprecher hat Frankreichs Justiz abgelehnt. Ein Nachweis, dass der Nachfolger von Jarrai und Haika Teil der ETA sei, konnte Spanien nicht liefern. Der Beleg gelingt nun vielleicht vor dem Nationalen Gerichtshof, einem Sondergericht in Madrid, wenn erneut unter Folter gemachte Aussagen als „Beweise“ dienen.

Völlig absurd ist der Fall von Asier Tapia, dem fast 112 Jahre Knast drohen. Er hatte auf einer Pressekonferenz im März 2001 mit drei weiteren Jugendlichen die Verhaftungen von 15 angeblichen Haika-Führunungsmitgliedern angeklagt und gefordert, auf die Repression zu reagieren. Das sei Anstiftung zu „gewalttätigen Aktionen“ und er sei somit für 22 Akte mit „terroristischen Schäden“ verantwortlich.

Die Verteidigung glaubt, mit Verfahren werde Präjudiz für weitere Verfahren 18/98 geschaffen, aus dem der Komplex der Jugendlichen abgetrennt wurde. Die Anklage gegen 63 Personen, drei davon leben allerdings nicht mehr, von in Spanien verbotenen Organisationen, Massenmedien und Gruppen liegt seit einigen Monaten vor, ein Termin für den Prozessbeginn ist aber noch nicht bestimmt worden. ( http://de.indymedia.org//2005/01/103182.shtml) Bei einigen der Angeklagten aus Organisationen wie Ekin oder Txaki hatte sogar einst der Nationale Gerichtshof geurteilt, es gäbe „nicht einmal Indizien für eine Verbindung zur ETA“. Allerdings wurden diese Richter unter fadenscheinigen Begründungen mittlerweile abgesägt.

Derweil hat die Debatte um die Legalisierung der baskischen Partei Batasuna (Einheit) begonnen. Am Samstag kündigte der baskische Regierungschef Juan José Ibarretxe an, die Koalition aus moderaten Nationalisten und der Vereinte Linken „wird aktiv dafür Arbeiten, damit sich Batasuna an den Wahlen“ in der Autonomen Baskischen Gemeinschaft (CAV) beteiligen kann. Batasuna müsse daran teilnehmen, weil dies für die „politische Normalisierung des Landes“ notwendig sei, appellierte Ibarretxe an die regierenden Sozialisten (PSOE) in Madrid. „ln 24 Stunden ist die Frage gelöst, wenn sie will“, meinte Ibarretxe. Mit der konservativen Volkspartei (PP) hatte die PSOE extra ein neues Parteiengesetz geschaffen, mit dem Batasuna im März 2003 in Spanien verboten wurde.

Auch die Partei wandte sich erneut an den spanischen Regierungschef José Luis Rodríguez Zapatero: „Wenn er eine Lösung des Konflikts sucht, wie er vorgibt, muss er die Beteiligung aller gewährleisten“, erklärte Rakel Peña für die Parteiführung. Nach dem Vorschlag zu einer friedlichen Lösung ( http://de.indymedia.org//2004/11/99240.shtml) des Konflikts der Partei ( http://de.indymedia.org//2004/11/99236.shtml), hatte Zapatero erklärt: „Wenn es eine minimale Chance gibt“, den Konflikt zu beenden, „wird die Regierung sie zweifellos nutzten“ ( http://de.indymedia.org//2005/01/104711.shtml). Das steht sowieso im Widerspruch zu den Massenprozessen und der steigenden Repression und Folter ( http://de.indymedia.org//2004/11/99864.shtml). Batasuna, die der Untergrundorganisation ETA ( http://de.indymedia.org//2004/12/101776.shtml) politisch nahe steht, „an den Rand zu drängen, helfe nicht weiter“, weil sie ein „notwendiger Verhandlungspartner“ sei, um eine Lösung zu erreichen, sagte Peña.

Batasuna fordert von Ibarretxe, den Wahltermin am 17. April so lange nicht offiziell festzulegen, bis deren Teilnahme gesichert ist. Ibarretxe hatte den Termin bestimmt, nachdem sein Plan zur Neuordnung der Beziehungen mit Spaniens am letzten Dienstag im spanischen Parlament abgelehnt wurde ( http://de.indymedia.org//2005/02/106125.shtml). Der Plan sieht eine „freie Assoziation“ an Spanien und weitreichende Selbstbestimmungsrechte vor. ( http://de.indymedia.org//2005/01/103196.shtml)

© Ralf Streck, Donostia-San Sebastian den 07.02.2005
Creative Commons-Lizenzvertrag Dieser Inhalt ist unter einer
Creative Commons-Lizenz lizenziert.
Indymedia ist eine Veröffentlichungsplattform, auf der jede und jeder selbstverfasste Berichte publizieren kann. Eine Überprüfung der Inhalte und eine redaktionelle Bearbeitung der Beiträge finden nicht statt. Bei Anregungen und Fragen zu diesem Artikel wenden sie sich bitte direkt an die Verfasserin oder den Verfasser.
(Moderationskriterien von Indymedia Deutschland)

Ergänzungen

Eskerrik Asko ralf

euskal hintxak 07.02.2005 - 13:20
danke dir ralf wegen deine immer sehr gut recherchierten artikel.



Ez horegatik

Ralf 08.02.2005 - 09:45
Update:

Der Prozess in Madrid gegen die Jugenorganisationen musste vertagt werden, weil selbst das Sondergericht die Unregelmäßigkeiten anerkannt hat, die es der Verteidigung quasi unmöglich gemacht haben, sich auf den Prozess vorzubereiten. Am Freitag geht es weiter. Ein Witz war auch, dass die 23 Inhaftierten nicht mit denen zusammen kamen, die wieder auf freiem Fuß kamen. Die einen mussten im Glaskasten Platz nehmen, die anderen draußen. Logik?
Da für einige im Glaskasten die gleiche Strafe oder eine höhere Strafe gefordert wird wie für andere außerhalb, versteht das natürlich niemand. Erneut sei hier das Beispiel Asier Tapia angeführt. Obwohl gegen den die höchste Strafe (112 Jahre) gefordert werden, ist er ja zum Beispiel draußen und auch nicht zum Prozess erschienen. Obwohl unklar ist, ob er überhaupt rechtsgültig geladen wurde, ist internationaler Haftbefehl erlassen worden. Der nächste Witz war auch, dass der Prozess zwei Stunden später begann, weil man zwei Gefangene im Knast vergessen hatte. Die hatten in dem Verfahren Haftverschonung erhalten, aber in einer anderen Sache schon wieder verhaftet worden.
Insgesamt war die Stimmung gut und insgesamt waren über 100 Leute als Beobachter in Madrid. Darunter waren sogar offizielle Beobachter der baskischen Regierung, sowie aller baskischer Parteien und Gewerkschaften.
Am 26. gibt es zudem eine Großdemo in Bilbao, um gegen den gesamten Verbotskomplex 18/98 und die daraus resultierenden Verfahren zu demonstrieren.

...

askatasuna 08.02.2005 - 16:07
no comment....