Protest bei Daschner-Prozesseröffnung

autonome antifa [f] 15.11.2004 22:22
Anlässlich der Eröffnung des Prozesses gegen Wolfgang Daschner in Frankfurt/Main rufen die Initiative Libertad!, die autonome antifa [f] und die Jungdemokraten Frankfurt dazu auf, diesen "kritisch" zu begleiten.

- Pressemitteilung
- Aufruf der autonomen antifa [f]
Treffpunkt am 18.11. ist um 8.30 Uhr vor Gebäude C, Gerichtsstr.2 (nähe Konstablerwache)
Wegen des vermutlich großen Andrangs: bitte pünktlich!

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PRESSEMITTEILUNG

Anlässlich der Eröffnung des Prozesses gegen Wolfgang Daschner rufen die Initiative Libertad!, die autonome antifa [f] und die Jungdemokraten Frankfurt dazu auf, diesen "kritisch" zu begleiten.

Mit Transparenten und Flugblättern soll am Donnerstag morgen ab 8.30 am Eingang zum Gerichtsgebäude C die Aushöhlung der letzten Grundrechte kritsiert werden.

Wolfgang Daschner steht bis heute zu der von ihm begangenen Prozesseröffnung gegen ehemaligen Frankfurter Vize-Polizeipräsidenten Wolfgang Daschner

Frankfurter Initiativen kündigen Protest anFolterandrohung. Er wird nach wie vor von dem Polizeipräsidenten von Frankfurt gedeckt, der das Verhalten seines Stellvertreters zur Tatzeit „in vollem Umfang“ billigte. Auch beim hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch fand Daschner damals „Verständnis“.
Darüber hinaus scheint sich laut SPIEGEL der Verdacht zu bestätigen, dass Daschner dabei direkte Anweisungen aus dem hessischen Innenministerium erhielt.

Hans-Peter Kartenberg, Sprecher der Initiative Libertad! zum Schutz politischer Gefangener, stellt eine bewusste Aufweichung des Folterverbotes im öffentlichen Diskurs fest: „Die aktuelle Debatte um die Bilder der gequälten und gedemütigten Gefangenen im Irak erweist sich angesichts der verständnisvollen Reaktionen auf Daschners Verhalten als Heuchelei. Die Legitimität von Folter wird in Europa wieder offen diskutiert.“ Dies zeige sich nicht nur in den Gesetzesinitiativen der Regierung Berlusconi, sondern stehe auch hinter den Äußerungen des Münch­ner Bundeswehr-Professors Wolff­sohn oder Innenministers Schily. „Hier spricht nicht der sprichwörtliche Stammtisch, sondern die geistigen Eliten des Landes liefern als Schreibtischtäter die intellektuellen Vorlagen für kommende Daschners”, warnt Hans-Peter Kartenberg.

Die in Frankfurt ansässigen Gruppen sehen die Infragestellung des Folterverbots in einer Reihe mit der geplanten Ein­führung von biometrischen Daten, der sogenannten „Präventiv­haft” und des neuen Zuwanderungsgesetzes. Die autonome antifa [f], Libertad! und die Jungdemokraten woll en die Demontage des Rechtsstaats durch sich selbst nicht schweigend hinnehmen und kündigen ihrerseits eine Kam­pagne an, die sich gegen Folter als deutlichstem Ausdruck einer reaktionären Sicherheitspolitik richtet­­.

Sahra Brechtel, Sprecherin der autonomen antifa [f] erklärte hierzu: „Die Androhung von Folter im Ausnahmefall erweist sich im Nachhinein nur als weiterer inszenierter "Tabubruch", der dazu dient, den Abbau der verbliebenen Grundrechte zu legitimieren.“

Es sei schon bezeichnend für die aktuelle gesellschaftliche Entwicklung, so Brechtel, dass der radikalen Linken die Rolle zukomme, die Demokratie zu verteidigen.

Durch das Gerichtsverfahren erwarte man auch keine Aufklärung, so Sarah Brechtel, da Daschner nicht wegen Aussageerpressung, sondern lediglich wegen Nötigung und Amts­missbrauch angeklagt ist. Auch gegen die an der Folter-Drohung und geplanten Durchführung beteiligten Polizeibeamten wur­den bisher noch keine Ermittlungen aufgenommen.

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AUFRUF DER AUTONOMEN ANTIFA [f]

Wenn am 18.11. der Prozess gegen den Frankfurter Vize-Polizeipräsident Daschner eröffnet wird, steht für den Rechtsstaat einiges auf dem Spiel – hat sich doch einer seiner höchsten Repräsentanten nicht an die demokratischen Spielregeln gehalten. Was war passiert? Nachdem im letzten Jahr der Kindesentführer Magnus G. von der Polizei gefasst wurde, drohte ihm Daschner nicht nur Folter an, wenn er die Polizei nicht zum Versteck des Kindes führe – sondern gab dies hinterher auch noch stolz in aller Öffentlichkeit zu. Die Aufregung im bürgerlichen Lager war groß, schließlich gehört das Folterverbot zu den Eckpfeilern des “demokratischen Rechtsstaates“. Nicht nur an diesem Fall zeigt sich, wie die bürgerliche Gesellschaft sich selbst nicht an die eigenen Maßstäbe und Ideale von “Rechtssicherheit“ und “Gewaltlosigkeit“ hält: Auch bei weit sympathischeren Zeitgenossen als dem verkrachten Jura-Studenten Magnus G. und jenseits solcher scheinbarer Ausnahmefälle lässt sich wieder und wieder aufzeigen, wie zur Herstellung von "Sicherheit" und “Gewaltlosigkeit“ Gewalt gebraucht wird. Sei dies Isolationshaft gegen linke Militante oder Abschiebungen von MigrantInnen. Diese alltäglichen Fälle von “gewaltfreier“ Gewalt werden dabei in der bürgerlichen Wahrnehmung genauso wenig wahrgenommen wie ungeregelte und damit “exzessive“ Gewaltanwendung immer als skandalöser Einzelfall dargestellt wird. Zu recht haben jedenfalls Bürgerrechtler wie auch die Linke immer darauf hin gewiesen, dass das Gerede von “Freiheit“ und “Gleichheit“ als Ideologie oft das reale Unrecht verdeckt, bzw. beschönigt.

Unser Staat ist in Ordnung...

Doch der damit gemachte Versuch, bürgerliche Freiheit und Gleichheit allein als nicht eingelöstes Ideal zu verstehen an das sich diese Gesellschaft immer öfter nicht hält, greift zu kurz. Er bleibt sogar systemimmanent und geht so direkt am Problem vorbei, denn "Freiheit" und "Gleichheit" sind als konstitutive Momente der kapitalistischen Gesellschaft zu verstehen und in diesem Sinne durchaus ernst gemeint. Schließlich ist die Grundbedingung für die – durch den Zwang zur gnadenlosen Konkurrenz aller gegen alle – bestehende strukturelle Gewalttätigkeit des Kapitalismus gerade die "Gewaltlosigkeit" der einzelnen Menschen. Die über das staatliche Gewaltmonopol durchgesetzte Rechtssicherheit, die Gleichheit aller vor dem Gesetz ist die Voraussetzung für die platte Vergleich- und damit Verwertbarkeit aller Menschen auf dem "freien Markt". In dessen Produktionsprozess sich dann wiederum die formale Gleichheit notwendig in reale Ungleichheit und privates Elend verwandelt. Nichts am Kapitalismus ist "ungerecht", alles an Ihm ist unmenschlich. Gleichzeitig kann sich die – irrigerweise als "Ende der Geschichte" bezeichnete – bürgerliche Gesellschaft und ihr Recht selbst nicht verstehen, schließlich ist selbst ihr Zweck in letzter Konsequenz kein menschlicher, sondern die Selbstvermehrung des Wertes. Die in ihr notwendig angelegte Gewalt wird also immer als ein ihr Äußeres, Krankes verkannt gegen das mit entsprechenden Mitteln vorgegangen werden muss. Es ist dementsprechend keineswegs gelogen oder der "Humanität" der verfahrensleitenden Richterin im Fall Magnus G. zuzuschreiben, als diese feststell- te, Herr Daschner habe dem Rechtsstaat schweren Schaden zugefügt. So sehr Kindesentführungen unmenschlich und damit abzulehnen sind, so ist es für die Stabilität dieser Gesellschaft schließlich auch nicht tragbar, wenn die Exekutive unkalkulierbar handelt. Rein gar nichts hat diese Auseinandersetzung über die Geschäftsbedingungen innerhalb dieser Gesellschaft jedoch mit dem größtmöglichen Glück für jeden einzelnen Menschen zu tun. Die Freiheit, die wir meinen wird dort nicht verhandelt.

Das Richtige im Falschen tun

Die Glücksversprechen von "Freiheit" und "Gleichheit" können heute nur gegen die Geschäftsgrundlage des Kapitalismus durchgesetzt werden. Bedeutet die versprochene "Sicherheit" doch nur die Gewißheit, sich verkaufen zu müssen. Ein positiver Bezug auf die, nur durch den Staat zu gewährenden "Rechte" ist aus emanzipativer Sicht nicht möglich. Statt mit dem Hochhalten der nur abstrakten Gleicheit aller Menschen also letztlich die bestehenden Zustände zu legitimieren, gilt es den grundlegend besseren Zustand zu denken als den, in dem man „ohne Angst verschieden sein kann" (Adorno). Trotzdem darf sich eine emanzipative Kritik nicht aus den gesellschaftlichen Auseinandersetzungen heraus halten, sondern muss sich vielmehr dem Dilemma stellen, dass ihr zunehmend die Rolle zukommt die, eigentlich zu überwindenden, bürgerlich-demo-kratischen Mindeststandards gegen die sogenannten Reformen zu verteidigen um überhaupt noch eine grundlegende Kritik formulieren zu können. Schließlich sind Menschenrechte ebenso Basis der kapitalistischen Gewalt wie sie auch erst die Möglichkeit darstellen, ihre Überwindung zu betreiben. Und die Erkenntnis, dass „die Antwort, die dieses System dem Umsturz aller Verhältnisse erteilt, sich bekanntlich nicht in der Wissenschaft, sondern im Strafgesetzbuch findet“ sollte ernst genommen werden.

In diesem Sinne rufen wir dazu auf, anlässlich der Eröffnung des sogenannten Folterprozesses deutlich Stellung gegen den – durch inszenierte "Tabubrüche" und hysterische Sicherheitsdiskurse eingeleiteten – Abbau der verbliebenen Grundrechte zu beziehen und gleichzeitig dem gewalttätigen, falschen Ganzen einen Tritt zu geben.

Die Freiheit die wir meinen...
Für ein Ende der Gewalt – Kapitalismus abschaffen !

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PRESSE- und TEXTSCHAU bei Libertad!

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Ergänzungen

Frankfurter Rundschau 15.11.2004 und Spiegel

Pressegruppe 16.11.2004 - 16:28
Ministerium belastet
Behörde soll Daschners Folterdrohung bejaht haben

Wenige Tage vor dem Prozess gegen Frankfurts Vize-Polizeipräsidenten
Wolfgang Daschner wegen Folterdrohungen im Entführungsfall Metzler gibt
es erneut Spekulationen über Verwicklungen des hessischen
Innenministeriums.

VON MATTHIAS BARTSCH

Wiesbaden · 14. November · Der Spiegel griff noch einmal den Vorwurf
auf, Daschner habe sich für sein Handeln Rückendeckung im Ministerium
geholt.Die Rolle des hessischen Innenministeriums in diesem Fall war
bereits Anfang dieses Jahres öffentlich diskutiert worden. Ende Januar
berichtete der Hessische Rundfunk, Daschner habe der Frankfurter
Staatsanwaltschaft berichtet, sich vor der Folterdrohung im Ministerium
rückversichert zu haben.

Das Ministerium leitete daraufhin eine interne Untersuchung ein. Die
Befragung der möglichen Gesprächspartner Daschners ergab aber "keine
Erkenntnisse", sagte Ministeriumssprecher Michael Bußer der FR. Da
Daschner damals keine Namen nennen wollte, wurde der Vorwurf
anschließend nicht weiter verfolgt.

Daschner muss sich ab Donnerstag vor dem Frankfurter Landgericht wegen
Verleitung zu schwerer Nötigung verantworten. Er hat nach eigener
Darstellung im Oktober 2002 angeordnet, den inzwischen verurteilten
Entführer und Mörder des Bankiersohns Jakob von Metzler durch Androhung
von Gewalt und körperlichen Schmerz zu zwingen, den Aufenthaltsort des
entführten Jungen zu verraten.

Laut Spiegel will Daschner vor dem Prozess nicht sagen, wer damals sein
Gesprächspartner in Wiesbaden gewesen sein soll. Aber an die Antwort aus
dem Ministerium, so das Blatt, könne er sich noch erinnern: "Machen Sie
das! Instrumente zeigen!"

Die SPD im hessischen Landtag forderte Innenminister Volker Bouffier
(CDU) auf, den Vorwurf unverzüglich aufzuklären: "Wenn die Behauptung
zutrifft, wäre das ein Skandal ersten Ranges", sagte SPD-Fraktionschef
Jürgen Walter.

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Prozess um Polizei-Folterdrohung beginnt
Ehemaliger Polizei-Vizepräsident Daschner und ein Kommissar wegen
Nötigung von Magnus Gäfgen angeklagt

Am Donnerstag beginnt der Prozess gegen den früheren Frankfurter
Polizei-Vizepräsidenten Wolfgang Daschner.

VON KARIN CEBALLOS BETANCUR

Frankfurt · 14. November · Die Meldung teilte die Meinungen schnell und
präzise wie ein Beilhieb: Weil er glaubte, das Leben des entführten
Bankierssohns Jakob von Metzler noch retten zu können, hatte der
stellvertretende Frankfurter Polizeipräsident dem dringend
Tatverdächtigen Magnus Gäfgen Anfang Oktober 2002 im Verhör mit
Schmerzen drohen lassen. Im Interview mit der Frankfurter Rundschau
erklärte Daschner später: "Mein Auftrag war, ihn darauf hinzuweisen:
Wenn Sie nicht sagen, wo das Kind ist, werden wir gegen Sie Gewalt
anwenden müssen, werden wir Ihnen Schmerzen zufügen müssen." Auf
Nachfrage sagte Daschner, er hätte die Drohung wahr gemacht, hätte
Gäfgen weiterhin geschwiegen. Sein Vorgehen hatte der Polizei-Vize noch
am selben Tag mit einem Aktenvermerk dokumentiert.

Am Donnerstag dieser Woche beginnt nun vor der 27. Großen Strafkammer
des Landgerichts Frankfurt der Prozess gegen Wolfgang Daschner und den
namentlich bisher nicht öffentlich bekannten Kriminalhauptkommissar, der
die Anweisung seines Vorgesetzten ausgeführt hatte. Daschner wird wegen
Verleitung zur Nötigung in einem besonders schweren Fall unter
Missbrauch seiner Befugnisse und seiner Stellung als Amtsträger
angeklagt.

Die Entführung und Ermordung des elf Jahre alten Jakob von Metzler im
September 2002 erschütterte nicht nur die Menschen in Frankfurt. Wut,
Fassungslosigkeit und Entsetzen mögen bei vielen zur Auffassung
beigetragen haben, das Leben eines Kindes müsse unter allen Umständen
schützenswerter als die körperliche Unversehrtheit eines mutmaßlichen
Mörders sein. Selbst der Vorsitzende des Deutschen Richterbunds erklärte
zunächst: "Es sind Fälle vorstellbar, in denen auch Folter oder ihre
Androhung erlaubt sein können, nämlich dann, wenn dadurch ein Rechtsgut
verletzt wird, um ein höherwertiges Rechtsgut zu retten." Und schränkte
diese Einschätzung später auf massive Angriffe hin ein. Daschner selbst
erklärte in zahlreichen Interviews, die "Anwendung von unmittelbarem
Zwang zur Rettung eines Menschenlebens" sei "eine polizeiliche Maßnahme"
auf dem Gebiet der Gefahrenabwehr. Was unter dem Eindruck von
menschlicher Anteilnahme und moralischer Empörung oft aus dem Blick
gerät, sind die Gründe, die für den uneingeschränkten Schutz vor Folter
sprechen, wie ihn sowohl das Grundgesetz als auch die Europäische
Menschenrechtskonvention festschreiben. Denn nur ein absolutes Verbot
kann Willkür verhindern. Auf die Gefahren, die mit dem Aufweichen dieser
Grenzen verbunden sind, haben zahlreiche Juristen und
Menschenrechtsorganisationen im Laufe der Diskussion über den "Fall
Daschner" immer wieder hingewiesen.

Die 27. Große Strafkammer wird nun unter dem Vorsitz von Richterin
Bärbel Stock zu entscheiden müssen, ob sich die beiden Polizeibeamten
mit ihrem Handeln strafbar gemacht haben oder nicht. Dabei wird auch zu
klären sein, welche Rolle das hessische Innenministerium im Rahmen des
Gäfgen-Verhörs gespielt hat. Nach Informationen des Spiegel hat Daschner
gegenüber der Staatsanwaltschaft erklärt, er habe aus Wiesbaden
Rückendeckung für sein Vorgehen bekommen, jedoch keine Namen genannt.
Ursprünglich hatte die Staatsanwaltschaft in ihren mehr als ein Jahr
andauernden Ermittlungen geprüft, ob Daschner nicht ein schwerer
wiegendes Delikt zur Last gelegt werden muss: "Objektiv liegt der
Tatbestand der Aussageerpressung vor", sagte Staatsanwalt Wilhelm
Möllers nach Abschluss der Untersuchungen. Weil die Beamten jedoch nicht
darauf aus gewesen seien, ein Geständnis zu erzwingen, sondern der
"Rettungsgedanke" im Vordergrund gestanden habe, lautet die Anklage auf
Nötigung im besonders schweren Fall. Notwehr oder Nothilfe kann nach
Auffassung der Staatsanwaltschaft keiner der beiden Polizeibeamten für
sich geltend machen.

Was Namen und Anzahl der Zeugen betrifft, die während der bisher
vorgesehenen acht Verhandlungstage aussagen werden, hält sich das
Landgericht Frankfurt bedeckt. Magnus Gäfgen, mittlerweile wegen des
Mordes zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt, wird am 25.
November, dem dritten Prozesstag, vor Gericht auftreten. Wegen der
besonderen Bedeutung des Falls hatte die Staatsanwaltschaft nicht beim
Amtsgericht, sondern bei einer Großen Strafkammer des Landgerichts
Anklage gegen die beiden Polizeibeamten erhoben. Wolfgang Daschner, der
von Hessens Innenminister Volker Bouffier ins Landespolizeipräsidium
versetzt worden ist, wird im Prozess von Rechtsanwalt Eckard Hild
vertreten. Im Prozess gegen Magnus Gäfgen hatte der Vorsitzende Hans
Bachl in seinem Richterspruch betont, durch das Vorgehen der Polizei
beim Verhör sei "ein schwerer Schaden für den Rechtsstaat" entstanden.
Ob sich weiterer Schaden verhindern lässt, werden die kommenden Wochen
zeigen.

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spiegel-online, 13. November 2004

FOLTERANDROHUNG GEGEN METZLER-ENTFÜHRER
Daschner will Rückendeckung aus Ministerium erhalten haben

Wolfgang Daschner, der als Frankfurter Vize-Polizeichef dem Entführer
Jakob von Metzlers Gewalt androhen ließ, hat erklärt, das hessische
Innenministerium sei über seinen Plan informiert gewesen. Aus der
Wiesbadener Behörde habe er die Antwort erhalten: "Machen Sie das!
Instrumente zeigen!"

Hamburg - Der unter Verdacht stehende frühere Polizeivizepräsident von
Frankfurt am Main, Wolfgang Daschner, hat eine Kehrtwende vollzogen: In
einer Erklärung gegenüber der Staatsanwaltschaft Frankfurt hat Daschner
nach Informationen des SPIEGEL behauptet, dass sein Entschluss, dem
Entführer des elfjährigen Jakob von Metzler Gewalt anzudrohen, um das
Versteck des Kindes aus ihm herauszupressen, keine einsame Entscheidung
gewesen sei. Stattdessen habe er sich im Wiesbadener Innenministerium
rückversichert. Dort habe er Rückendeckung für sein Vorgehen mit den
Worten bekommen: "Machen Sie das! Instrumente zeigen!"

Den Namen seines Gesprächspartner nannte Daschner in einer Erklärung
gegenüber den Ermittlern nicht. Im hessischen Innenministerium heißt es
dazu, es gebe dort keine Hinweise auf eine solche Rückversicherung. Kurz
vor Beginn des Prozesses gegen Daschner nächste Woche vor dem
Frankfurter Landgericht wachsen die Zweifel, ob der inzwischen nach
Wiesbaden abgeordnete Beamte sich im Prozess darauf berufen kann, die
Folterdrohung erst als allerletztes Mittel in einem extremen
Ausnahmefall eingesetzt zu haben. So unterließ es Daschner, den
Entführer Magnus Gäfgen mit Elena von Metzler, der Schwester des
entführten Jakob, zu konfrontieren, obwohl sie dazu bereit war, um das
Leben ihres Bruders zu retten. Zwar wurde die damals 16-Jährige dafür
ins Polizeipräsidium geholt, wartete dann aber stundenlang vergebens auf
die Gegenüberstellung.

Der inzwischen zu lebenslanger Haft verurteilte Gäfgen, der Elena von
Metzler kannte, behauptete nun im Gefängnis, dass eine solche
Konfrontation seinen Widerstand gebrochen hätte und er "sofort erzählt
hätte, wo Jakob ist".

Weitere Infos unter:

Libertad! 16.11.2004 - 16:38

Das »letzte Mittel«?

junge Welt 17.11.2004 17.11.2004 - 10:15
Folter führt nicht zur Rettung von Menschenleben, sondern nach Abu Ghraib. Vor dem Daschner-Prozeß in Frankfurt/Main

Im Zuge einer Fahndung nach Personen, die den elfjährigen Frankfurter Bankierssohn Jakob von Metzler entführt hatten, wurde am 30. September 2002 Magnus Gäfgen als Tatverdächtiger festgenommen und vernommen. Tags darauf ordnete der Polizeivizepräsident in Frankfurt am Main Wolfgang Daschner die Androhung der Folter und gegebenenfalls deren Anwendung an. Man wollte den Tatverdächtigen »zum Sprechen bringen«. Noch am selben Tag dokumentierte Daschner diesen Rechtsbruch in einer Aktennotiz und informierte den zuständigen Staatsanwalt Rainer Schilling.

Drei Monate später wurde ein Ermittlungsverfahren gegen ihn eingeleitet wegen des Verdachts auf »Aussageerpressung«, was gleichbedeutend ist mit Folter. Im Februar 2004 ließ die Staatsanwaltschaft diesen Vorwurf fallen.

Am 18. November 2004 stehen ein namentlich nicht genannter Kriminalhauptkommissar und Exvizepolizeipräsident Daschner wegen »Nötigung« bzw. »Anstiftung zu einer Tat« vor dem Landgericht Frankfurt/Main. Das eigentliche Verbrechen, mit Hilfe der Folter Verdächtige »zum Reden zu bringen«, ist bereits vom Tisch.

An besagtem 1. Oktober 2002 gab Daschner nach mehreren Beratungen und Rücksprachen seine Anweisungen. Im Gespräch war u. a. der Einsatz eines »Wahrheitsserums«, um den Verdächtigen in einen Zustand zu versetzen, in dem er nicht mehr »Herr seiner Sinne« (Daschner, Der Spiegel 9/2003) ist. Es waren keine rechtlichen oder moralischen Bedenken, sondern schlicht handwerkliche Gründe, die den Einsatz von Drogen verunmöglichten: »In der Kürze der Zeit fand sich aber nichts.« Statt dessen wies Daschner an, dem Verdächtigten Schmerzen zuzufügen, die keine sichtbaren Verletzungen zurücklassen sollten, »zum Beispiel Überdehnen eines Handgelenks«: »Sie brauchen jemandem nicht fürchterliche Schmerzen zuzufügen. Es genügt, wenn ein relativ geringer Schmerz für eine bestimmte Dauer aufrechterhalten wird.« (Frankfurter Rundschau, 22.2.2003). Auf die Frage der FR-Redakteure, was passiert wäre, wenn Magnus Gäfgen auch nach der Anwendung von Gewalt geschwiegen hätte, antwortete der Polizeivizepräsident: »Irgendwann hätte er nicht mehr geschwiegen. Innerhalb sehr kurzer Zeit.«

Das »Team« war schnell zusammengestellt: Ein Kampfsportexperte, der aus seinem Urlaub auf Mallorca zurückgerufen wurde, sollte Gewalt anwenden. Ein Polizeiarzt sollte das Ganze überwachen, und die Polizeibeamten für Verhör und die Drohungen waren ebenfalls gefunden. Als schließlich mit dem Verhör begonnen wurde, sei zuerst an das Gewissen von Magnus Gäfgen appelliert worden, den Aufenthaltsort des entführten Kindes preiszugeben. Andernfalls müsse man ihn dazu zwingen: »Wie, das wurde ihm gegenüber nicht konkretisiert. Aber es wurde ihm schon sehr deutlich gemacht, daß wir ihm weh tun müßten, bis er den Aufenthaltsort des Kindes nennt.« (Daschner, Der Spiegel 9/2003) Dazu kam es nicht. Magnus Gäfgen nannte den Aufenthaltsort des entführten Kindes. Es war bereits tot.

Mit Innenministerium abgestimmt

Die Tatsache, daß der Polizeivizepräsident Wolfgang Daschner am Ende einer ordentlichen Beamtenlaufbahn kurz vor seiner Pensionierung steht, mag so zufällig sein, wie die sich im Urlaub befindlichen Vorgesetzten: Der Frankfurter Polizeipräsident Harald Weiss-Bollandt, der hessische Innenminister Volker Bouffier (CDU) und der hessische Ministerpräsident Roland Koch. So gesehen haben sie alle ein Alibi für die fragliche Zeit, als ein ihnen Untergebener die Androhung und Anwendung von Folter anordnete.

Adrienne Lochte ist die ehemalige Polizeireporterin der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ). Sie hatte für diese Zeitung den Fall Jakob von Metzler beobachtet und für ihr Buch »Sie werden dich nicht finden« (Droemer Verlag 2004) den Fall neu recherchiert. Man könnte dieser Autorin vieles vorwerfen, aber mit Sicherheit keine polizeifeindliche Einstellung. Gerade deshalb sind ihre Ausführungen von Bedeutung, zumal sie bisher nicht dementiert wurden. Ohne es zu wollen demontiert sie darin die Legende von der »einsamen Entscheidung« an besagtem 1. Oktober 2002: »Der Führungsstab kam zusammen. Anderthalb Stunden lang diskutierten die Kriminalisten darüber, wie Gäfgen anzupacken sei, mit welchen Methoden man ihn zum Sprechen bringen könnte, was rechtlich machbar sei. Der Polizeipsychologe soll davon abgeraten haben, dem Verdächtigten Schmerzen zuzufügen.« (S. 176) Drei Seiten weiter faßt sie das Ergebnis dieser Beratungen und Rücksprachen zusammen: »Der Innenminister wollte in seinem Urlaub ständig informiert sein. Auch Ministerpräsident Roland Koch, der ebenfalls gerade Ferien machte, wollte wissen, wie es weiterging.« (S. 179)

In diesem Kreis gab es demnach überhaupt keinen Grund, Geheimnisse voreinander zu haben. Die Führungs- und Dienstaufsichtspflicht bestand zur fraglichen Zeit in vollem Umfang, die Gefahr, daß der Vorwurf der Aussageerpressung ein Netzwerk bloßlegen könnte, also weite Kreise zieht, ebenfalls.

Verwunderlich ist deshalb nicht, daß Daschner sich schützend vor seine Vorgesetzten stellte. Diese dankten ihm das. Der aus dem Urlaub zurückgekehrte Polizeipräsident sicherte ihm »volle Rückendeckung« (FR, 22.3.2003) zu, und auch Roland Koch (CDU) reihte sich in die Reihe der Beschützer und Versteher ein. Das verfehlte seine Wirkung nicht: Der hessische Innenminister Volker Bouffier (CDU) sieht auch nach Zulassung der Anklage der Staatsanwaltschaft vor dem Frankfurter Landgericht – beim besten Willen – keinen Grund, den einstweilen in das Landespolizeipräsidium in Wiesbaden versetzten Daschner vom Dienst zu suspendieren. Ein Disziplinarverfahren gegen den amtierenden Polizeipräsidenten Harald Weiss-Bollandt steht bis heute aus.

Inzwischen hat Daschner seine Taktik geändert. In einem Nachtrag an das Gericht teilte er mit, sein Vorgehen mit dem Innenministerium abgestimmt zu haben. Damit bekommt der Prozeß nun eine neue Dimension.

Darf man für ein gutes Motiv nicht auch mal illegale Methoden anwenden? Die meisten Menschen kennen solche Methoden aus dem Fernsehen – wenn mal wieder der sympathische Bulle »Schimanski« zuschlägt – und man ihm verzeiht. Im wirklichen Leben sind auf Polizeirevieren und in Polizeipräsidien nicht wenige Menschen solchen »Schimanskis« begegnet – und haben z. T. schwere Verletzungen davongetragen. In den allermeisten Fällen werden die Ermittlungen gegen diese Polizeibeamten wegen Mangel an Beweisen eingestellt. In fast allen Fällen weist die Polizei die Vorwürfe der Körperverletzung, der Mißhandlung im Amt entschieden zurück, nicht selten dreht sie den Spieß um und verklagt die Demonstranten wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt.

Rückblende: Die Polizei foltert!

Während und nach Abschluß einer Demonstration von über 5 000 Menschen gegen die Räumung der besetzten Häuser Bockenheimer Landstraße/Schumannstraße in Frankfurt/Main am 23. Februar 1974 kam es zu brutalen Polizeiübergriffen und Mißhandlungen. Einem Festgenommenen wurde eine brennende Zigarette auf der Hand ausgedrückt, Inhaftierte wurden gezwungen, ihr eigenes Blut aufzulecken, nachdem sie von mehreren Polizeibeamten zusammengeschlagen worden waren. Ein Ermittlungsausschuß, dem u.a. Heinz Brandt, Manfred Clemens, Karsten D. Voigt, Gerhard Zwerenz und Jürgen Roth angehörten, hat über 80 Mißhandlungsfälle zusammengetragen. Auf einem im selben Jahr abgehaltenen Tribunal faßte Jürgen Roth für den Ermittlungsausschuß das Ergebnis zusammen: »1. Die Polizei mißhandelt! 2. Die Polizei foltert! 3. Menschen- und Grundrechte werden unter bestimmten Voraussetzungen ausgeschaltet.« (Frankfurt- Zerstörung – Terror – Folter, Mega-Flugschrift Nr.1, S. 32)

In einem dort gehaltenen Redebeitrag versuchte Joseph Fischer damals für den Frankfurter Häuserrat, das polizeiliche und politische Vorgehen einzuordnen: »Wenn hier das Beispiel Chile aufgebracht wurde, dann haben wir nicht gesagt, es existieren hier Verhältnisse wie in Chile. Das wäre absurd (...) Aber die Bullen haben für sich subjektiv und in ihrer Verhörpraxis Santiago auf die Tagesordnung gesetzt!« Der damalige Polizeipräsident Müller machte das, was alle Polizeipräsidenten mach(t)en: »Ich lege Wert darauf, wir können sämtliche der dort erhobenen Vorwürfe gegen die Polizei uneingeschränkt dementieren.«

Der Vorwurf und das Faktum der Folter sind nicht neu. Das Besondere am Fall Daschner ist, daß ein Polizeivizepräsident aus der behördlichen Routine des Leugnens ausbricht und Folter als »letztes Mittel« des Rechtsstaates propagiert. Seitdem reißen Interviewangebote und Solidaritätsbekundungen nicht ab: »Daschner – ein Held oder ein Verbrecher? Tatsächlich gibt es kaum jemanden, der nicht den Mut des Beamten bewundert... « (Der Spiegel 9/2003) Tatsächlich?

Tatsächlich war und ist das »letzte Mittel« nie das letzte, sondern lediglich der Ort, von wo aus nach dem nächsten »letzten Mittel« gerufen wird. Wieviele »letzte Mittel« wurden in den letzten 50 Jahren diskutabel gemacht, diskutiert, abgewogen und angewandt! Von der Wiederbewaffnung Deutschlands über den »finalen Rettungsschuß«, über die Legalisierung von Out-of-area-Kriegseinsätzen bis hin zu Angriffskriegen zur »Verteidigung Deutschlands am Hindukusch«.

Aber wie etabliert und integriert man die Folter? Zahlreiche Rechtsgelehrte, Wissenschaftler und sonstige Experten haben sich daran versucht. Eine kleine Minderheit will Folter einfach nicht Folter nennen. Die veröffentlichte Mehrheit beschreitet hingegen den Weg der »Güterabwägung«. Sie bestreitet gar nicht ihre Befürwortung der Folter, sondern will sie mit der Rettung von Menschenleben aufgewogen wissen.

Mir fällt keine Diktatur ein, die damit Schwierigkeiten hätte. Das schwante auch den Folter-Befürwortern. Sie entwickelten ein neues Kriterium, um Folter in Diktaturen von Folter in Demokratien zu unterscheiden: In Diktaturen, so ihre Logik, wird willkürlich, außerhalb des bestehenden Rechts gefoltert – in Demokratien müsse mit klaren und festgelegten Maßstäben gefoltert werden, wodurch die Folter nicht länger ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit ist, sondern ein Rechtsgut.

Wolffssohn: »Legitim, jawohl«

Und so wird in aller Öffentlichkeit über »demokratische Standards« der Folter debattiert. Neben vielen anderen bekam der Professor für Öffentliches Recht und Rechtsphilosophie an der Universität Heidelberg, Dr. Winfried Brugger, die Gelegenheit, akribisch acht Merkmale aufzulisten, die erfüllt sein müssen, damit anschließend gefoltert werden darf: »Eine klare, unmittelbare, erhebliche Gefahr für das Leben oder die körperliche Integrität einer Person durch einen identifizierten Aggressor, der gleichzeitig die einzige Person ist, die zur Gefahrenbeseitigung in der Lage und dazu verpflichtet ist. Die Anwendung körperlichen Zwanges ist das einzig erfolgversprechende Mittel.« (FAZ vom 10.3.2003) Diese schaurig kalte Fähigkeit, ein (Staats-)Verbrechen in ein Rechtsmittel zu transformieren, hat in der Weimarer Republik nicht zur Stärkung der Demokratie geführt, sondern zum Faschismus.

Auch Michael Wolffssohn, Professor für Geschichte an der Bundeswehrhochschule in München, mußte sich zu Wort melden. Wie viele andere vor und nach ihm, erklärte er in der Sendung von Sandra Maischberger: »Als eines der Mittel gegen Terroristen halte ich Folter oder die Androhung von Folter für legitim, jawohl.« (FAZ, 18.6.2004). Er erntete Zuspruch und Widerrede. Unter dem Titel »J’accuse!« (FAZ, 25.6.2004) hielt er eine analytische und persönliche Rückschau, in welcher Wolffssohn, ausgehend von der »Gegenwärtigkeit und Wirksamkeit Herzls« und der (Leidens-)Geschichte des Judentums seit dem 19.Jahrhundert, die Lehre aus Judenverfolgung und Völkermord in dem Credo zusammenfaßt: »Nie wieder Opfer«. Was damit gemeint ist? »Der neujüdische Konsens billigt (...) die Gewaltkomponente nicht nur reaktiv, sondern notfalls auch präventiv, also vorwegnehmend. Für den politischen Zweck unseres Überlebens, in Notwehr, befürworten wir die Androhung und notfalls, notfalls, notfalls die Anwendung von Gewalt, also auch Krieg.«

Man muß nicht Geschichte unterrichten, um die Behauptung zurückzuweisen, die Besetzung syrischer, jordanischer und libanesischer Gebiete habe etwas mit dem internationalen Recht auf Verteidigung zu tun. Noch schwerer auszuhalten ist, wenn der Professor der Bundeswehrhochschule die Erinnerung an Judenverfolgung und -vernichtung dazu mißbraucht, dem deutschen Staat die Anwendung und den Nutzen der Folter zu lehren. Die Außerkraftsetzung von Schutzrechten gegenüber dem Staat, die staatlich sanktionierte Minderwertigkeit von Menschen, die als Feinde des Staates, als »Volksschädlinge« ausgemacht wurden, waren keine Erfindungen des deutschen Faschismus. Sie wurden in der Weimarer Republik in Gang gesetzt und endeten in der industriellen Vernichtung jüdischen Lebens im »Dritten Reich«.

Jenseits dieser Instrumentalisierung des Judenmords spielt das von Michael Wolffssohn eingebrachte Credo israelischer Staatspolitik »Nie wieder Opfer« keine unbedeutende Rolle beim »Aufweichen« des absoluten Folterverbots in Deutschland. Auf der Suche nach einem Land, das Demokratie und Folter miteinander vereinbart, weisen deren Befürworter verständnisvoll auf Israel. Dort sind Mißhandlungen und Aussageerpressung von Gefangenen rechtsstaatlich geregelt: »Nach einer Zeit weitgehend ungeregelten Zeit habe man 1987 ein Regelwerk zum ›maßvollen physischen und psychischen Druck‹ festgelegt, das Geheimsache blieb. Immerhin wisse man, so Frankel, Korrespondent bei der Washington Post, daß es dabei darum ging, Gefangene tagelang zum Stehen zu zwingen oder sie zusammengekrümmt zu fesseln, ihnen den Schlaf zu entziehen, sie mit überlauter Musik zu beschallen, sie am Gang auf die Toilette zu hindern oder sie extrem hohen und niedrigen Temperaturen auszusetzen.« (Lorenz Jäger, FAZ, 18.6.2004)

Vom Einzelfall zum System

Mitten in diese Versuche, Folter zu einem rechtstaatlichen Mittel einer Demokratie zu machen, platzten die öffentlich gewordenen »Mißhandlungen« von irakischen Gefangenen im ehemaligen Folterzentrum des irakischen Regime unter Saddam Hussein, das seit der »Befreiung« von US-Militärs und US-Geheimdiensten genutzt wird.

Normalerweise gibt es keine Beweise für solche Verbrechen. In diesem Fall schon. Als die ersten Fotos über sexuelle Demütigungen und Mißhandlungen veröffentlicht wurden, glaubte man an Privatfotos grausamer, aber vereinzelter US-Militärs. Als Hunderte solcher »Ausnahmen« auftauchten, brach dieses Lügengebäude in sich zusammen. Daß Fotos überhaupt von Folterungen und Mißhandlungen gemacht werden konnten, ist keinem sadistischen Vergnügen einzelner US-Armeeangehöriger geschuldet, sondern einem System. In Abu Ghraib gehörte die Anfertigung von Fotos zum festen Bestandteil der Folter. Mit der Drohung, die auf Fotos festgehalten sexuellen Demütigungen den Angehörigen und Freunden zu zeigen, wurden Aussagen erpreßt.

Während die US-Regierung die Army-Angehörigen noch als die »Edelsten der Edelsten« (US-Präsident Georg W. Bush) halluzinierte, bewirkte die Veröffentlichung der Folter-Bilder immerhin eines: Die US-Administration sah sich gezwungen, Anordnungen und Dekrete zu veröffentlichen, die trotz aller Versuche, Verantwortung zu verschieben und Befehlsketten zu verschleiern, nicht verhindern konnten, daß sich in Umrissen ein System der Folter abzeichnete: Ein System, das von höchster Stelle angeordnet und immer wieder neu optimiert wurde (und wird). Es reicht vom US-Stützpunkt in Guantánamo auf Kuba bis Abu Ghraib in Irak, von »geheimen Gefängnissen« bis hin zu Folterzentren befreundeter Diktaturen, die man mit der Mißhandlung von Gefangenen beauftragt.

Was mit den Bildern aus Abu Ghraib sichtbar wurde und sich zu einem System der Folter verdichtete, wurde in den US-Medien nach den Anschlägen vom 11. September 2001 vorbereitet: Eine Diskussion über die Anwendung der Folter als legitimes Mittel im »Kampf gegen den Terror«.

Wenn man sich heute das Netzwerk aus (regierungsnahen) Medien, Regierungsstab, Justizministerium, Verteidigungsministerium, Armee und Geheimdiensten vor Augen hält und es wie eine Folie auf den »Fall Daschner« legt, wird man sich nicht wundern, daß das in Deutsch übersetzte Drehbuch Ähnlichkeiten und Überschneidungen aufweist.

Keine Frage, die gesellschaftlichen, politischen und imperialen Implikationen sind nicht mit denen der USA zu vergleichen. Solange zu warten, bis ähnliche Folterfotos aus deutschen (geheimen) Gefängnissen auftauchen, wäre zynisch.

Der Prozeß gegen den ehemaligen Vizepolizeipräsidenten Wolfgang Daschner wird am 18. November 2004 um 8.30 Uhr vor der 27. Strafkammer des Landgerichts Frankfurt/ Main, Gerichtstr. 2, eröffnet. Er ist vorläufig auf fünf Verhandlungstage angesetzt.

von Wolf Wetzel (Autor des Buches »Krieg ist Frieden. Über Bagdad, Srebrenica, Genua, Kabul nach...«, Unrast-Verlag, Münster 2002)

Über die Proteste zur Eröffnung

RALF EULER (FAZ) 19.04.2005 - 00:32
Daschner-Prozeß
Zwei Dutzend Foltergegner vor dem Gerichtsgebäude: Die Freiheit stirbt mit Sicherheit

18. November 2004 "Schon die Androhung von Folter ist Folter. Folter ist Unrecht, Daschner hat gefoltert, also muß er verurteilt werden." Für die rund 20 Demonstranten, die sich um 8.30 Uhr vor dem Eingang zum Gerichtsgebäude E im Frankfurter Justizkomplex versammelt haben, ist der Fall Daschner - der für sie kurz und knapp unter der Überschrift "Folterprozeß" läuft - klar. "Die Freiheit stirbt mit Sicherheit" und "Hessen vorn: Überwachung, Folter, Abschiebung", heißt es auf den Transparenten, die "Autonome Antifa" und "Jungdemokraten - Junge Linke Hessen" unter kritischer Beobachtung von einem Dutzend Polizisten hochhalten.

Auf einem Flugblatt der Frankfurter "Kampagne Libertad" werden unter anderen der hessische Ministerpräsident Roland Koch, der Frankfurter Polizeipräsident Harald Weiss-Bollandt, Bundesjustizministerin Brigitte Zypries und Oskar Lafontaine (beide SPD), der Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei, Konrad Freiberg, der frühere Präsident des Bundesarbeitsgerichts Otto Rudolf Kissel und der jetzige sächsische Justizminister Geert Mackenroth (CDU) als "Folterfreunde" geoutet, weil sie irgendwann einmal Verständnis für den Angeklagten Daschner geäußert haben. Unter der Überschrift "(K)ein bißchen Folter" werden Parallelen zwischen der Mißhandlung irakischer Kriegsgefangener in Abu Ghraib und der Vernehmung des Entführers von Jakob von Metzler gezogen. Das Vorgehen des Frankfurter Polizei-vizepräsidenten sei kein Einzelfall, der Schritt zum "System der Folter" auch in Deutschland längst vollzogen, heißt es da.

Dawid Danilo Bartelt, Sprecher der deutschen Sektion von Amnesty International, stellt für jedes einzelne der acht deutschen und internationalen Fernsehteams klar, daß das Folterverbot nicht relativiert werden dürfe. Auch seelischer Schmerz, allein schon das verbale Bedrohen eines Menschen, sei Folter. "Die Menschenwürde ist völkerrechtlich höhergestellt als das Recht auf Leben." Wer Folter in Einzelfällen gesetzlich erlauben wolle, wünsche sich offenbar einen anderen Staat.

Sie habe kein Verständnis für Daschners Verhalten in einer Extremsituation, sagt die Demonstrantin Maria Katenberg. Sie wolle sich auch nicht auf eine Diskussion darüber einlassen, ob sie anders empfinden würde, wenn es sich bei dem Entführten um ihr eigenes Kind gehandelt hätte. "Es gibt Themen, die dürfen nicht moralisiert werden." Doch nicht jeder der Zuschauer sieht das so. "Wenn Daschner zurückhaltender gewesen wäre, hätte man den Jungen vielleicht bis heute nicht gefunden", meint ein etwa 60 Jahre alter Mann, der die Demonstration beobachtet, seinen Namen aber lieber nicht nennen möchte. "Der" - und damit ist der Entführer und Mörder Magnus Gäfgen gemeint - "hat die Polizei doch regelrecht verarscht." Eine Frau hält Folter grundsätzlich für gerechtfertigt - "zumindest für Mörder und Kindesentführer", gerät jedoch ins Grübeln, als eine Zuhörerin einwirft: "Jeder von uns kann unschuldig in die Hände der Polizei kommen, und wer weiß, was wir dann unter Folter alles gestehen."

Als gleich darauf Eckart Hild dem Haupteingang zustrebt, richten sich sämtliche Kameras auf den Verteidiger Daschners, der jedoch um Verständnis bittet, daß er zu dieser Zeit und an diesem Ort keine Stellungnahme abgeben könne. Die Demonstranten skandieren bei Hilds Eintreffen im Chor: "BRD - Folterstaat. Wir haben dich zum Kotzen satt." Irgendwie nimmt das ihrem Protest einiges an Überzeugungskraft