Zivilgesellschaft vs. Kiezpolizei

s7ven 05.08.2004 16:36 Themen: Freiräume Repression
Es wird ein heißer Herbst. Ab September werden "überflüssige", gedemütigte Angestellte mit zu erwartendem Geltungszwang von der Berliner Landesverwaltung auf friedliche Bürgerinnen und Bürger losgelassen. Die weitere Überwachung öffentlichen Raums ist ein Schlag ins Gesicht der BürgerInnen, wenn ich die demokratische Legitimation und den Berliner Haushalt zu Grunde lege. [Artikel auf Indy mit Hintergrundinfos und Protestaktion].

Das Konzept ist nicht neu: Auch in anderen deutschen Großstädten gibt es bezahlte PolizeihelferInnen in Uniform. In Hamburg läuft ein Ordnungsdienst der Innenbehörde Streife und bestraft abweichendes Verhalten wie Grillen oder Fahrrad fahren.

Der PiRat zum Thema |Artikel in der Jungen Welt |Audioauszüge von Interview mit TraumaXP von der Fuckparade zum Thema Demokratieverständnis und Öffentlicher Raum.

Mitdem 1. September werden in den 12 Bezirken die sog.Kiezpolizeistellen eingerichtet. Wie die BerlinerZeitung berichtete, konnten "In Steglitz-Zehlendorf undMarzahn-Hellersdorf bislang nur zwei Kiezpolizisten aus demPersonalüberhang gewonnen werden. Das heißt, dieseBeschäftigten sind eigentlich überflüssig, könnenaber nicht entlassen werden, weil betriebsbedingte Kündigungenim Landesdienst ausgeschlossen sind."

Wasbedeutet dies also: Immer noch beschäftigte des Landes müssensich, da sie zwar nicht gebraucht werden aber nicht entlassen werdendürfen, eine andere Stelle innerhalb der Landesverwaltungsuchen. Sie sind also „nicht gebraucht“. Was muss es füreinen Menschen bedeuten, nicht gebraucht zu werden? Die Frage lässtsich ganz einfach erklären - Fragen Sie doch einfach malEine/n der insgesammt über 8Millionen Bürgerinnen und Bürgern des Landes ( die aktuellen 4,36Mio. registrierte plus die in Sonderprogrammen und anderenstatistischen Tricks untergebrachten Menschen, denen keineMöglichkeit gegeben wird für sich selbstbestimmt und ohnedie Hilfe des Staates zu sorgen. Beiläufig ist dies noch derGrundsatz der Sozialhilfe: Sie soll die Bürgerinnen und Bürgerein Leben ohne Hilfe ermöglichen. Das steht leider in krassemGegensatz zu der aktuellen und zukünftigen Verwaltungspraxis.)Erstmals wahrscheinlich eine mehr oder weniger in Frage gestelltesSelbstwertgefühl.

Waspassiert aber, wenn genau solche Menschen auf andere Bürgerinnenund Bürger losgelassen werden? Und dies mit nicht un­erheblichenSanktionsmöglichkeiten.Diese Zusammensetzung kann unter Umständen gefährlichwerden. Steuerzahlerinnen und Steuerzahler werden womöglich vonihrem seit jeher genutzten öffentlichen Raum (Park, Grünanlage,Hinterhof) verdrängt und mit Ordnungsgeldern belegt. Und diesvon Menschen, die vielleicht nie in diesem Bezirk gewohnt haben, alsokeinerlei Identifikation mit dem Umfeld besitzen. Und genau dieseMenschen erleben nach drohender Entlassung ein neues Machtgefühl.Menschen ten­dieren leider dazu nach "unten" zutreten. Das ist um einiges einfacher und birgt mehr Erfolgsaussichtals nach "oben" zu treten. Selbstverständlich ist esungünstig, wenn Kinder in Sandkästen spielen, die von Hund-oder Menschenausscheidungen verseucht sind. Das steht überhauptnicht zur Frage. Die Reaktion darauf schon. Es wird mal wieder mitSanktion und Entmündigung geant­wortet. Wäre es nichtbesser, die Menschen die in einem bestimmten Bereich der Stadt leben,lieben und feiern Verantwortung für ihre eigene Umweltübernehmen zu lassen als "fremde" Wächtereinzustellen?

Partizipationals Unwort der Stunde

DieSenatsverwaltung für Stadtentwicklung hat tolle Programme zur Partizipation von Bürgerinnen und Bürgern. Was bedeutetPartizipation (also die Miteinbeziehung) von Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern ineiner demokratischen Grundordnung? Es ist Paradox. In einemdemokratischen Staat geht sowieso die Macht vom Volke aus. Somit kanndas Volk gar nicht an Entscheidungs­prozessen beteiligt werden.Die Macht ist beim Volk. Politik, Polizei, und in diesem Falle auchdie Kiezpolizei soll dem Auftrag des Vokes dienen. Aber haben Sieschon einmal versucht bei einer Atomdemo einem Polizisten oder einerPolizistin klar zu machen, dass Sie nur StaatsDIENER sind und nurdurch das Volk legitimiert sind? Hat es sehr weh getan? Dann fragenSie besser diese Frage nicht einen oder eine der kommendenKiezpolizisten/innen.

Der/Dieunmündige Bürger/in

Ineinem Bundesdeutschen Rahmen sieht es nicht anders aus. DerGesetzesvorschlag von rotgrün für Volksentscheide wirddurch die CDU/CSU vehemt niedergeschlagen. Aber nicht nur dieorthodoxen Schwarzen, neinnein. Beim Volksbegehren der InitiativeBerliner Bankenskandal bügelte der rotrote Senat den Volksentscheid mit der Begründungab, dass Belange des Haushalts nicht durch das Volk entschiedenwerden können. Basta. Ist das Volk etwa zu blöd,selbstständig zu handeln? Das gleiche würde dann auch aufWahlen übertragbar sein. Das würde also bedeuten, dass diedemokratische Ausübung der Bürger/innenpflicht auf einemfatalen Irrtum beruht. Welche demokratische Legitimation hat also dieRegierung noch?

Derschlechte Beigeschmack

Anstellesich Menschen wieder für ihre eigenen Belange stark machen unddie Macht, die ihnen durch die Verfassung eigentlich gegeben ist,ausüben, versucht die öffentliche Verwaltung durchÜberwachung und Repression "den Laden am laufen zu halten". Dummerweise ruft genau dies Gewalt,Politikverdrossenheit, Kriminalität, Vandalismus uswusf. hervor.Das sind genau die Sym­ptome die wieder durch unglaublicheSteuerverschwendungen zu bändigen versucht wird. Genau diesesGeld fehlt dann wieder an anderer Stelle, und schon beißt sichdie Katze in den Schwanz. Doch wenn es ums Sparen geht, spielt Geldkeine Rolle. Die Ein­richtung der Kiezpolizei schlägt in derbankrotten Stadt mit Millionenbeträgen zu buche. Ein präventiv tätiger Bezirk würde da­durch sogar nochbestraft. Für die Erstausstattung erhalten die Bezirke jeweils5000 Euro pro Kiez-Streife. Als Personalkosten fließen 2004rund 3,5 Millionen Euro in die Bezirke und 2005 etwa 10,5 MillionenEuro. Die Stadt hats ja. Es sind ja nur Steuergelder.

Odermit den Worten von Hundertwasser:

(...)Durchdas krasse Überhandnehmen der schöpferischen Impotenz deseinzelnen, die in der Standardisierung, Sozialisierung, Kopierung,Linealisierung, Ameisenisierung, Sterilisierung und Dosierung ihrenAusdruck findet, hat sich ein neues und furchtbares Analphabetentumherangebildet. Die Verantwortung hierfür trifft dieverbrecherische Methodik unseres Unterrichtssystems, das in denHochschulen, Akademien, Gymnasien und Schulen praktiziert wird. Diesystematische und gegennatürliche Lern-, Studier- und Kopierereivon fremden Wissen vollzieht sich Hand in Hand mit der planmäßigenAbtötung des gestaltenden Wollens. Die durch solcherleiErziehung erzeugten Personen sind außerstande, die ihnenzugedachte Verantwortung für sich selbst und für uns allezu tragen. Der offizielle und allgemeine Fortschritt beruht so aufeinem fundamentalen Irrtum"








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Ergänzungen

Feuer frei?

Hamburger 05.08.2004 - 17:53
Laut einem Artikel der Hamburger Morgenpost sollen die Aushilfscops in Hamburg bald sogar Schußwaffen bekommen, nur die KnöllchenverteilerInnen werden unbewaffnet bleiben! Dabei handelt es sich um Leute, die in einem Schnellkurs zu Hilfssheriffs ausgebildet werden...

Personenkontrollen...

rr 05.08.2004 - 18:23
Personenkontrollen überall dort, wo "sich Bürger an Orten bewegen, wo der Prostitution nachgegangen wird, wo Straftaten verabredet und verübt werden, Amtsgebäude in der Nähe sind."
Also mehr oder weniger überall in Berlin.

aproaching brave new world state in a few minutes.
please fasten your seatbelts, stop smoking and relax...

Kiezpolizei nicht Kiezmiliz

Milizionär 05.08.2004 - 19:59
Kiezmiliz waren PunkerInnen die in Kreuzberg patroulliert sind. Kiezpolizei ist das was jetzt eingeführt werden soll.

Modell hat Zukunft

Spekulant 05.08.2004 - 20:59
Genau auf diese Weise kann man einen Großteil der Arbeitslosen zur Beaufsichtigung, Überwachung, Ausspionierung und Schikanierung der restlichen Unterschicht verwenden. Dieses System stabilisiert sich selbst. Reichsarbeitsdienst und SA lassen grüssen!

räusper...

leserin 06.08.2004 - 01:36



Polizisten bei Einsatz brutal attackiert - Zeugen gesucht

Die Polizei sucht Zeugen zu einem massiven Angriff auf zwei Beamte gestern gegen 16 Uhr auf dem U-Bahnhof Rosenthaler Platz. Beide Polizisten erlitten Schürfwunden und Prellungen, einer dazu eine Platzwunde an der Lippe und Nasenbluten. Sie waren vorher in Zivil als Streife in der U-Bahnlinie 8 unterwegs und wollten zwei unbekannt gebliebene junge Männer überprüfen, die aufgrund vorheriger Beobachtungen als Rauschgifthändler in Betracht kamen.
Nachdem die Polizisten sich ausgewiesen hatten und die Verdächtigen aufforderten, den Zug zu verlassen und ihnen auf den Bahnhof zu folgen, versuchten die Unbekannten, zu flüchten. Sie wehrten sich und einem gelang es, sich loszureißen und wegzulaufen. Plötzlich mischten sich mehrere südländisch aussehende Personen ein und attackierten die Beamten. Dadurch verhalfen sie auch dem anderen Unbekannten zur Flucht. Sie schlugen auf die Polizisten ein und warfen aus dem Gleisbett aufgenommene Steine zielgerichtet auf sie, verfehlten sie aber knapp.
Beide durch die Schläge verletzten Polizisten wichen zurück und stiegen in die am Bahnsteig wartende U-Bahn, in der sie noch bis zum Schließen der Türen angegriffen wurden. Als Verstärkung eintraf, hatten sich alle Tatbeteiligten entfernt.

Und wo ist der Unterschied??

Warhead 06.08.2004 - 13:44
Hab auch Kiezmiliz gespielt,tolle Armbinde getragen.Kam mir im Nachhinein wie eine Blindenbinde vor.An die Dealer hat man sich nicht rangetraut,vor den Konsequenzen gabs dann doch Bammel,aber Junkies kann man immer zusammentreten,haben ja keine Lobby.Danach lagen weniger Spritzen zwischen den ganzen Müllhinterlassenschaften punkiger Trinkpicknicks,die Tölen konnten endlich wieder alles zuscheissen ohne Gefahr zu laufen in eine alte Fixe zu treten.Selbst von diesen miesen reaktionären Bürgerwehrärschen,die ihre Präsenz ausschliesslich in Krawallnächsten zeigte und wie aus dem Nichts aus Hauseingängen oder Geschäften hervorgestürmt kamen und zufällig Vorbeikommende, die punkig,freakig oder autonom aussahen,mit Gummiknüppeln und abgesägten Billardqueues bearbeiteten um genauso schnell wieder zu verschwinden,klatschte verhalten Beifall.Wenn die Musik laut genug ist,hören wir nicht mehr wie alles um uns zusammenkracht

Protest und dann...

ma 06.08.2004 - 14:13
Wie in vielen Städten wurde letztes Jahr auch in Mannheim das Thema Sicherheit und Sauberkeit im öffentlichen Raum "umgesetzt". Kameras, Verbotsschilder, Ausschluss der Alkis aus dem öffentlichen Raum und Streifen von solchen "Hilfssheriffs" wurden Teil der Innenstadt. Es gab anfangs sehr schöne Proteste gegen Prestige-Projekte, wie die "Sauberkeitswochen":
 http://de.indymedia.org//2003/03/47349.shtml
mitlerweile hat sich aber alles durchgesetzt, einzig die Alkis sitzen weiterhin in der Stadt rum und leisten fleissig pöbelnd Widerstand gegen ihren Ausschluss aus der Öffentlichkeit...

Na ja

Sonja 12.08.2004 - 22:51
"Beim Volksbegehren der Initiative Berliner Bankenskandal bügelte der rotrote Senat den Volksentscheid mit der Begründung ab, dass Belange des Haushalts nicht durch das Volk entschieden werden können. Basta. Ist das Volk etwa zu blöd, selbstständig zu handeln?"

Ja so ist es. Von 100 Bürgern informieren sich etwa 60 ausschließlich aus der Bildzeitung und glauben was darin steht, 35 lesen überhaupt keine Zeitung und allenfalls 5% ist so informiert, dass man bei ihnen von der Fähigkeit sprechen kann, eine sachgerechte Entscheidung zu treffen. Für die Demokratie ist es weniger wichtig, ob man die Staatsform in der direkten oder indirekten Form ausübt. Entscheidend für das Funktionieren einer Demokratie ist die Machtbegrenzung. Dies geschieht durch die Gewaltenteilung, also durch eine strenge Machtteilung zwischen Exekutive (vollziehende Gewalt), Legislative (gesetzgebende Gewalt) und Jurisdiktive (rechtssprechende Gewalt). Und dann gibt es ja noch die vierte Gewalt (die Medien). Bei Volksentscheiden, werden Mehrheiten vor allem durch kurzfristige und spontane Stimmungsmache gewonnen. Darin ist z.B. die Bildzeitung bestens geschult. Da der Verstand der Massen aber leicht zu manipulieren ist, werden grundlegende Entscheidungen dann nicht mehr von Personen getroffen, die man wenigstens abwählen kann, sondern werden in den Redaktionsbüros der Medien außerhalb jeder Kontrolle vorbereitet. Was bitte ist an einem solchen Modell denn bitte besser, als das derzeitige System?

keep on smiling

SO(A)B(P) 15.08.2004 - 17:24
Kranke Gehirne basteln kranke Gesellschaftsordnungen,
grundsätzlich und nicht nur zu ihrem finanziellen Vorteil.
Bezahlte Legitimatoren finden sich an jeder Ecke.
Von der elekronischen Kiez-Miliz zur elektronischen Kiez-Polis zum elektronischen Stadtteilhalter zum elektronischen Gauleiter und dann
ab in den elektronischen Gesamtgau - der Witz ist älter -.
Fehlt nur noch heil Electron - aber der Witz ist zu blöde.


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