Nachtrag: Antifa-Demo und Wahlen in Pirna

Antifaschistische Aktion Gera [AAG] 15.07.2004 12:52 Themen: Antifa
Bericht und Fotos zur Antifa-Demo vom 12. Juni in der Kreishauptstadt der Sächsischen Schweiz. Außerdem eine Darstellung der Nazi-Reaktionen und eine Bilanzierung der Wahlergebnisse faschistischer Parteien in der Sächsischen Schweiz und Thüringen. >>Mehr
Bericht "Kein schöner Land - linke Strukturen stärken!"
500 AntifaschistInnen sorgen für eine kraftvolle Antifa-Demo in Pirna

Am 12. Juni demonstrierten etwa 500 AntifaschistInnen aus Berlin, Dresden, Leipzig und anderen Städten unter dem Motto "Kein schöner Land - linke Strukturen stärken" durch die Innenstadt von Pirna.
Im Vorfeld der Demo mobilisierten Nazis der Jungen Landsmannschaft Ostpreußen zu einer Gegendemo und aus dem Umfeld der verbotenen Skinheads Sächsische Schweiz (SSS) wurden Aufrufe laut, die AntifaschistInnen anzugreifen.
Einige AntifaschistInnen aus Gera waren vor Ort und berichten über ein ungewöhnliches Wochenende...

Als wir am Tag vor der Demonstration ankamen, konnten wir unseren Augen nicht trauen. Die Nazis hatten in der gesamten Innenstadt NPD-Plakate und NSAM-Aufkleber angebracht, der Inhaber des Naziladens "Eagle" wappnete sich für das Wochenende, indem er alle Scheiben und die Eingangstür mit Spanplatten versah und die Nazis patrouillierten in Autos in der Innenstadt.

Am nächsten Tag versammelten sich die Nazis unweit des Treffpunkts der Antifa-Demo. Die bekanntesten Nazikader waren vor Ort, darunter auch Verurteilte im SSS-Prozess, mensch durfte also gespannt sein. Kurz nachdem der Lauti vorgefahren war und die Cops anfingen, alles und jedeN akribisch abzufilmen, kamen auch die ersten Nazis angelaufen und verschanzten sich hinter ihren NPD-Plakaten auf der gegenüberliegenden Straßenseite.
Das Ordnungsamt hatte aufgrund der Gefahrenanalyse absurde Auflagen durchgesetzt, so mussten Springerstiefel ausgezogen werden, andere Stiefel durften wiederum mitgeführt werden usw. Die Auflagen der Nazis waren schon fast aberwitzig: So durften diese weder "wir kriegen Euch" oder "nationaler Widerstand" rufen noch die Buchstabenfolge "NSDA", "88" usw. tragen. Da hätte die Demo auch gleich verboten werden können - einen hinreichenden Grund in Form der offenen Gewaltaufrufe hätte es gegeben - stattdessen wurde neben strengen Auflagen auf ein erhöhtes Polizeiaufgebot gesetzt. Die Bereitschaftspolizei aus Dresden und Bayreuth hatte daher Verstärkung in Form eines Helikopters und einer Reiterstaffel bekommen.

"In guter Laune in einer üblen Gegend" (Fehlfarben)

Als sich die Demo in Bewegung setzte, konnten gut 400 Menschen gezählt werden. Die Sprechchöre hallten durch die Straßen, zeitweiliges Hüpfen und Rennen sorgte für Verwirrung bei der Polizei. Die Stimmung war umwerfend.
Lautstarke Parolen und Redebeiträge, die zum einen den Naziterror und rassistischen Konsens in der Sächsischen Schweiz thematisierten und andererseits Perspektiven für eine linksradikale Organisierung in der Kreishauptstadt eröffneten, wurden dem Anliegen der Demo in Gänze gerecht.
Trotz der Umstände gelaunt und motiviert wurden mehrere Zwischenkundgebungen abgehalten, u.a. vor dem Bundesgrenzschutz, der in der Region das rassistische "Bürgertelefon" eingeführt hatte, oder vor der Fahrschule "Gregor" des NPD-Kreisgeschäftsführer Uwe Leichsenring, wo erstmal eine Scheibe einflog.
Die mittlerweile ca. 200 Nazis, die z.T. gleiche Abschnitte unserer Route liefen, hatten sich widersinnig hinter uns zu einer Sitzblockade entschieden. Da sich aber "echte" Männer nicht hinsetzen und im Knien keine Blockade möglich war, folgten die Nazis der Aufforderung der Polizei und räumten freiwillig die Straße.
Die Polizei filmte während des gesamten Aufzugs und lief nach dem ersten Drittel der Strecke direkt vor dem Fronttransparent und schränkte somit die Außenwirkung der Demo ein. Die Bereitschaft fiel zudem durch brutale Einsätze gegen die TeilnehmerInnen auf. Insbesondere am Ende der Demo kam es zu gewalttätigen Angriffen der Polizei. Nachdem die DemonstrantInnen auf Naziprovokationen mit lautem Klatschen und Pfiffen reagierten, drehten die Pferde durch und ritten in Richtung der DemonstrantInnen. Daraufhin kam es zu Rangeleien und einem kurzen Schlagstockeinsatz. Dabei erlitten mehrere Personen Verletzungen im Gesicht. Die Einsatzleitung beteuerte später, der Angriff mit Knüppeln und Faustschlägen sei nicht angeordnet, sondern eine willkürliche Entscheidung der Bereitschaft gewesen.
Nachdem sich die auf über 500 Menschen angewachsene Demo kurz vor dem Bahnhof auflöste, konnte die erfolgreiche Aktion gebührend gefeiert werden.

"Was gegen Dummheit hilft ist Bildung - Gegen Verbote sind die Dummen oft immun" (Dritte Wahl)

Die Nazis hatten rein gar nichts erreicht. Ganz im Widerspruch zu ihren großspurigen Ankündigungen gelang es den Nazis weder den Dresdner Treffpunkt, noch den Zug, geschweige denn die Demo in Pirna in irgendeiner Weise zu stören oder gar anzugreifen. Auch konnten die Nazis offensichtlich entgegen ihrer Ankündigung - keinE AntifaschtIn würde die Kreishauptstadt verlassen, ohne fotografiert worden zu sein - keine vernünftigen Fotos der DemonstrantInnen machen. Im Gegenteil hatten sie nur eingesteckt. So holten sich die Dresdner Nazikader Sven Hagendorf und Sebastian Reiche noch vor Beginn eine blutige Nase und am Rande der Demo stehende Nazis wurden mit einer Gülledusche bedacht. Von den überheblichen Ankündigungen, die Demo angreifen zu wollen, hat den selbsternannten "White Wenndy"-Streetfightern letztlich dann wohl der Mut gefehlt. Diese veröffentlichten im Vorfeld der Demo ein albernes Macker-Bild, das sie vermummt in Kickbox-Posen in einer Turnhalle bei Cotta zeigte - vermutlich um der Demo einen Verbotsgrund zu liefern.
Mut hatten Sie jedoch auf ihrer Auftaktkundgebung, als sie zu sechst (darunter die S.-Brüder) einen Journalisten umstellten. Die SSS veröffentlichte auf ihrer Website "schuSSSicher" ein schlecht aufgenommenes Foto des Journalisten und dachte sich dazu die Geschichte aus, er hätte sich in die Hose gemacht. Diese niveaulose Lüge feierte die SSS dann als die "lustigsten Minuten des Tages" ab. In Wahrheit hatte sich die Person aufgrund der vielen herbeigeeilten Anti-Antifa-Fotografen dazu entschlossen, den Aufzug der Nazis zu einem späteren Zeitpunkt zu dokumentieren und die Polizei angehalten, die von ihm gemachten Portraitaufnahmen löschen zu lassen. Die Nazis waren darüber zwar verärgert, wurden von der Polizei jedoch abgehalten, den Journalisten zu verfolgen.
Wesentlich amüsanter hingegen die Aktion des Nazis Sandro Brückner, der vor der zweiten Zwischenkundgebung aus seinem Auto heraus DemonstrantInnen beleidigte und kurze Zeit danach sein Auto an die Wand setzte.
Die auch ansonsten völlig dümmliche Berichterstattung der SSS wundert nicht, handelt es sich bei den "Skinheads Sächsische Schweiz" um nichts weiter als einen Zusammenhang von dumpfen Nazischlägern und Dynamo-Hools, denen nichts Besseres einfällt als ihrer frauenfeindlichen Einstellung Luft zu machen, indem sie die Moderatorin der Antifa-Demo als "plappernde Emanze" und "Heulboje" beschimpfen.
So bemüht sich die SSS darum, die Tatsachen zu ihren Gunsten zu fälschen. Da schrumpft die Antifa-Demo - in ihren Augen ein "Auswurf der Menschheit" - auf "großzügig geschätzte" 200 TeilnehmerInnen, während sie 250 Nazis herbei halluzinieren.
Völlig absurd wird es, als sich die Verfasser bemühen, in die Gemütslagen der AntifaschistInnen hineinzuversetzen: "Die Angst vor Übergriffen war also allgegenwärtig und sie war berechtigt. Zu Beginn der Demo nämlich [...] sahen sich die Antifas – Durchschnittsalter 20 Jahre – 80 nationalen Aktivisten gegenüber, welche das Treiben beobachteten."
Verschwiegen wird was tatsächlich passierte. Gegenüber dem Naziladen "Eagle" hatten sich zu Beginn der Demo ca. 30-40 streitsüchtige Nazis versammelt, die aber schnell davonrannten, als ein paar Cops auf sie zueilten. Danach machten sie keine weiteren Anstalten, in Richtung der Antifa-Demo zu gelangen, sondern blieben auf Distanz.
Die nächste Lüge folgt der ersten, indem behauptet wird, die AntifaschistInnen hätten zwei Kellner einer Pizzeria aufgrund ihrer Frisur angepöbelt usw.
Das Pamphlet endet schließlich mit dem Verweis auf den mutmaßlichen Anmelder der Demonstration, der Schuld daran sei, dass der "Abschaum aus ganz Deutschland den Weg nach Pirna fand und grölend durch die Straßen unserer beschaulichen Stadt zog." Dass die SSS selbst mit dieser Vermutung falsch liegt, dürfte die Nazis wohl kaum interessieren, schließlich sind sie geübt darin, sich eigene Realitäten zu schaffen und an diese zu glauben. Wie sehr die SSS jedoch von der Demo verunsichert ist, zeigt sich in der vollmundigen Ankündigung, auf kommende Veranstaltungen mit Gegenveranstaltungen reagieren zu wollen.

Die SSS versuchte auch ansonsten mit feigen Aktionen die negative Stimmung gegen die Demo anzuheizen. So wurde der SSS-Schläger Dirk S. gesehen, wie er in einem Dönerimbiss gefälschte Demo-Aufrufe verteilte, die mit "Antifaschistische Aktion Pirna" unterschrieben waren und zur "Vertreibung aller Palästinenser aus Israel" und sonstigem Unsinn aufriefen.
Auch besonders stark dürften sich die Nazis gefühlt haben, als sie am späten Abend mit Dresdner Autos ein paar Jugendliche in der Innenstadt verfolgten und eine Person, die sich gegen den ersten Angreifer erfolgreich wehren konnte, gemeinsam zusammenschlugen. Oder aber als gegen Mitternacht 30 bis 40 Nazis vom Marktplatz aus durch die Innenstadt zogen, um Linke zu jagen. Zu dumm nur, dass sie nicht mitbekamen, dass sie die ganze Zeit über beobachtet wurden *hihi*

Doch die feigen Angriffe reißen nicht ab. Eine Woche nach der Demo griffen sieben Nazis einen Jugendlichen auf dem Heimweg an. Sie schlugen ihn mit Fäusten mehrfach gezielt ins Gesicht, traten mit Stiefeln auf den wehrlos am Boden liegenden Jugendlichen ein und fügten ihm Schnittverletzungen im Gesicht zu. Der Jugendliche musste mehrere Stunden ambulant behandelt werden. Wenige Tage darauf wurden in der Innenstadt mehrere Hakenkreuze und die Naziparolen "Sieg Heil" und "Juden Raus" an die Wände geschmiert.

Kein ruhiges Hinterland - antifaschistischen Widerstand organisieren!

Die von der Pirnaer "Antifaschistischen Aktion 13" initiierte Demo war sensationell, offensiv und in jeglicher Hinsicht ein voller Erfolg! In der Sächsischen Schweiz hat noch nie eine vergleichbare Demonstration stattgefunden und in den Neuen Bundesländern ließen sich lange nicht mehr so viele AntifaschistInnen mobilisieren! Die Ausdrucksstärke der Manifestation hat sich mit Sicherheit auch auf das Wahlergebnis in Pirna ausgeübt. Trotz der völligen Ignoranz der Gazette "Sächsische Zeitung" und der destruktiven Hetze der zivilgesellschaftlichen Zusammenrottung in Form der "Aktion Zivilcourage" konnte eindeutig Position bezogen werden. Die NPD erhielt in Pirna - im Verhältnis zu anderen Orten der Sächsischen Schweiz - mit 6,6 % letztlich doch einen geringeren Stimmenanteil. Auch wenn die Wahlergebnisse erschreckend sind - am Wahltag stimmten bei den Kommunalwahlen im Landkreis Sächsische Schweiz 9,1 % der WählerInnen für die NPD und beförderten diese somit zur drittstärksten Kraft - so wird doch erneut die Notwendigkeit einer antifaschistischen Intervention in den Neuen Bundesländern aufgezeigt.
Die Demonstration wird von uns zudem auch als motivierendes Moment betrachtet, welches die Umsetzung emanzipatorischer Aspekte in den Fokus rückt und der linksradikalen Organisierung in rechten Hochburgen notwendige Perspektiven offenbart.
Festzuhalten bleibt, dass auch lokale Zusammenhänge eine große Öffentlichkeit herstellen und in einem vermeintlichen Hinterland zukunftsweisende Aktionen entstehen können. In diesem Sinne gratulieren und danken wir AFA13 für die hervorragende Recherche, Öffentlichkeit und natürlich drei sehr schöne Tage in der Sächsischen Schweiz. Great days - see you next time!

Für den Aufbau antifaschistischer Strukturen - jetzt, hier und überall!

Wahlauswertung und Links zum Thema unter  http://aag.antifa.net
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Ergänzungen

Tauscht eure Tücher, gegen Bücher!

antifa2004 15.07.2004 - 14:14
Also das mit der Bildung für Neonazis finde ich echt daneben. Die sind nicht Dumm. Sondern höchstens Dummdeutsch. Die wissen was sie tun, und wenn nicht, dann ist dies die große Ausnahme. Hört auf solche Märchen zu verbreiten, dass ist ja genauso so wie jahrelang behauptet worden ist, die Jungs seien nur Neonazis geworden, weil sie keine Arbeit haben: Schwachsinn.

Macht doch nicht den Fehler die Argumentationen der Neonazis, sie seien nur arme Opfer die ihr Recht erkämpfen wollen, zu übernehmen. Nein es sind miese Mörderbanden die alles was nicht deutsch ist, oder als solches akzeptiert wird bekämpfen.

Deshalb: FIGHT.BACK!

Ist das Ironie

*kopfschüttel* 15.07.2004 - 16:16
Wie kann eigentlich von Erfolg gesprochen werden, wenn unmittelbar und noch Wochen danach vermehrt Übergriffe auf AntifaschistInnen stattgefunden haben. Teilweise bietet der Bericht ja durchaus vernünftige Hintergrundinformationen und dann artet das ganze wieder in einen Privatkrieg ("Die Nazis haben gesagt...", "So war es wirklich...") aus, der auf jeden, der nicht dabei war peinlich wirkt. Es ist auch genau so unnötig, Menschen in Gruppen einzuteilen. Nicht jeder Einwohner Pirnas ist ein Nazi und es ist auch nicht gerade positiv für die Antifa, wenn Zuschauern am Straßenrand der Tod durch Ertrinken oder alternativ durch einen Bombenteppich gewünscht wird. Bezeichnend für das enge Weltbild des Verfassers, dass er die "schlappen" 6,6% der Nazis in Pirna als Erfolg der antifaschistischen Demonstration sieht.

kühe schweine ostdeutschland

xxx 16.07.2004 - 16:34
zu der kritik an der parole: "kühe schweine ostdeutschland".
die parole hat meiner meinung aber noch einen anderen aspekt den du vielleicht außer acht gelassen hast.

eine gern gewählte tour der brandenburger nazis ist es z.B. die überragende schönheit der märkischen landschaft anzupreisen, die eventuell ja sogar ganz schön ist. der spruch ist eine bloße provoktion die ihre wunderschöne mark brandenburg auf acker und vieh beschränkt.

eine parole die man nicht zu ernst nehmen sollte.
ich persönlich mag sie sehr! :)

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Ursachen? — Dr. Hirsch

Kühe, Schweine, Gesamtdeutschland — denkmaldrübernach

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