Datenschutz im Präventionsstaat

Jens Steiner 13.07.2004 04:03 Themen: Freiräume Netactivism Soziale Kämpfe
Die Gefahr der Schaffung eines sogenannten Überwachungs- oder Polizeistaates wird seit den Anschlägen vom 11. September 2001 immer öfter in den gesellschaftlichen Diskurs gerückt. Schnell treten Ängste vor Gesellschaftsutopien wie in George Orwells "1984" oder "Fahrenheit 451" von Ray Bradbury an die Oberfläche. Schnell fühlt man sich erinnert an die Schrecken des Nationalsozialismus oder die Datensammlung der Staatssicherheit und des MdI in der DDR.
Weniger pauschalisierend und oberflächlich ist der politikwissenschaftliche Begriff "Präventionsstaat".Dieser soll hier anhand von Beispielen aus der Bundespolitik und der Einschränkung des Datenschutzes erläutert werden.
Dabei soll auf die Formen präventionsstaatlicher Aktivitäten eingegangen werden.
Dem folgt ein Vergleich des Wandels der Funktion von Staat und Verwaltung und der Funktion des Datenschutzes. Dabei wird auch kurz auf die Rolle des Datenschutzes in der DDR eingegangen. Weiterhin wird die Bildung gesellschaftlicher Diskurse im Präventationsstaat erörtert. Im letzten Teil werden die Gefahren eines solchen Staatenmodells herausgearbeitet.

Inhalt

  1. Terrorismus vs. Ordnung und Sicherheit
  2. Terrorismus und soziale Bewegung im Spiegel der Medien
  3. DER STAAT TRAUT KEINEM: Vorbeugung statt Bestrafen, Integrieren und Wiederherstellen
  4. Von Bismarck bis Hartz: Blüte und Verfall des Sozialstaats
  5. Generelle und individuelle Prävention durch Repression
  6. Datensammlung in der DDR
  7. Datenschutz in der Bundesrepublik Deutschland
  8. Sozialbehörden mit politischen Befugnissen
  9. Gesellschaflicher Diskurs im Präventionsstaat
  10. Probleme und Gefahren des Präventionsstaates
  11. Von der Sozialverwaltung zur Sozialpolizei
  12. Fussnoten


[Teil 1: Vom Rechtsstaat zum Präventionsstaat] [Innenministerkonferenz in Kiel beendet]

Terrorismus vs. Ordnung und Sicherheit

Zu den Aufgaben eines Staates [13] zählt aus politikwissenschaftlicher Perspektive die Gewährleistung von Sicherheit, Ordnung und Frieden.
Die Gewährung des Grundrechts auf Sicherheit gilt seit den Anschlägen vom 11. September 2001 als gefährdet.
Seither dominiert die Verwendung des Begriffes "Terrorismus" die Berichterstattung in den Medien.

In der Literatur werden "Terror" und "Terrorismus" oft synonym gebraucht. Es erscheint jedoch zweckmässig, den Begriff Terror auf Techniken systematischer Gewaltanwendung im Dienste der Erhaltung eines Herrschaftssystems einzuengen. Dementsprechend lässt sich Terrorismus spiegelbildlich als die Erzeugung von Furcht und Schrecken mit dem Ziel der Aushölung der bestehenden gesellschaftlich-politischen Ordnung und einer anschliessenden tiefgreifenden Umwälzung definieren.
Peter Waldmann: in D. Nohlen: "Wörterbuch Staat und Politik". München 1996. S.779.

Terrorismus und soziale Bewegung im Spiegel der Medien

Informationen über soziale Bewegungen, Proteste gegen Sozialabbau und Krieg nehmen seither nicht mehr die Stellung in der Berichterstattung ein, wie noch im Frühjahr 2001, beim G8-Gipfel in Genua oder zwei Jahre zuvor in Seattle. Berichte über die regionalen und kommunikativen Folgen von Globalisierung und Sozialabbau, staatliche Repression oder soziale Kämpfe bezieht man heute eher aus dem Internet, aus unabhängigen Grasroots-Medien, Blogs, Mailinglisten, Online-Foren oder Newsgroups.

DER STAAT TRAUT KEINEM: Vorbeugung statt Bestrafen, Integrieren und Wiederherstellen

Der Präventionsstaat setzt mehr auf Vorbeugung als auf Wiederherstellung, Integration oder Ahndung von Vergehen.
In präventiosstaatlichen Strukturen versucht man Gefährdungen des Systems einzuengen durchDas Prinzip von Vorbeugung und Repressionen tritt anstelle von Strafen nach Verstössen.
Dies kennzeichnet das fehlende Vertrauen des Staates in die Bürgerinnen und Bürger [12].

Von Bismarck bis Hartz: Blüte und Verfall des Sozialstaats

Das steht im krassen Gegensatz zum voranschreitenden Abbau des Sozialstaats.
Beispiel hierfür ist der Rückzug des Staates aus der Wohlstandssicherung. Damit zieht er sich auch aus der Verantwortung für Gesundheits-, Wohnungs-, Sozial-, Kultur- und Bildungspolitik und aus der Gewährleistung gesellschaftlicher Freiräume zurück.
Dabei bleibt unbeachtet, dass sozialstaatliche Erleichterungen [1] auch gegen Unruhen, Unordnung und Armut vorbeugen können. Sozialstaat und Wohlfahrtsstaat haben ihre Wurzeln im 19. Jahrhundert. Sie gehen auf den deutschen Reichskanzler Otto von Bismarck und Lord Beveridge aus England zurück. Mit ihren Konzepten reagierten sie auch auf die stärker werdende Arbeiterbewegung. Das GATS-Abkommen, die Agenda 2010 und die Hartz-Papiere enthebeln die sozialen Errungenschaften und diskreditieren damit auch die sozialen Bewegungen, die sich gegen Sozialabbau, Globalisierung und Krieg wehren.

Generelle und individuelle Prävention durch Repression

In einem Präventionsstaat kann man grob zwischen repressiver Generalpräention und repressiver Individualprävention unterscheiden. Die Übergänge sind zum Teil jedoch fliessend.

Zur repressiven Generalprävention gehören Massnahmen wie dieZur repressiven Individualprävention gehören zum BeispielDurch effizientere Gesetze und Kriminalitätsbekämpfung betont der Staat seine Vorsorgepflicht stärker als die Pflicht zur Fürsorge für die Bürgerinnen und Bürger. Dies kann auch als Audruck der Sorge um den Bestand des Staates und der Gesellschaftsordnung gewertet werden.

Datensammlung in der DDR

Genau diese Sorge war in der DDR auch Motivation zum Anlegen grosser Datenbanken. Die dort gesammelten Informationen gingen weit über die Erfassung von Name, Adresse und Geburtsdatum hinaus. Neben den regulären Unterlagen der Staatssicherheit gab es noch weniger bekannte Datenbanken, wie die Erst 1970 wurde in der Deutschen Demokratischen Republik eine Personenkennzahl (PKZ) eingeführt. Auch in der Nach-Wende-Zeit erhielten noch viele Einrichtungen wie das Landeskriminalamt oder Einwohnermeldeämter unberechtigt Daten.

Datenschutz in der Bundesrepublik Deutschland

Der Datenschutz im ursprünglichen Sinne ist ein Freiheitsrecht und basiert auf dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung (Artikel 2 Absatz 1 im Grundgesetz) . Es dient der Abwehr von informationellen Eingriffen in die Privatsphäre der Menschen. Das bedeutet, dass man das Recht auf einen fairen Umgang mit seinen personenbezogenen Daten hat.
Der Datenschutz sichert die informationelle Gewaltenteilung.Damit gehört er zu den wesentlichen Säulen eines Rechtsstaates. Der Datenschutz leidet derzeit in der Bundesrepublik Deutschland an ähnlich starken Einschränkungen und Angriffen wie das Recht auf Informationsfreiheit [6].
In Deutschland gibt es kein kodifiziertes Grundrecht auf Datenschutz. Die gemeinsame Verfassungskommisson von Bundestag und Bundesrat lehnte im Februar 1993 eine Aufnahme in den Grundrechtskatalog vor dem Bundesverfassungsgericht ab. Dieser soll jedoch in den euroäischen Grundrechtskatalog aufgenommen werden

Nicht nur hatten erheblichen Einfluss auf die Entwicklung des Datenschutzes in der Bundesrepublik.
Im Präventionsstaat oder einer Risikogesellschaft, wie sie Ulrich Beck [11] beschreibt, zählt der Schutz vor einem Risiko mehr, als der Schutz vor einer direkten Gefahr.Bestes Beispiel dafür ist das Risiko eines Terroranschlages in Deutschland.
Dies stellt eine grosse Herausforderung für den Datenschutz dar. Für die Kriminalitätsbekämpfung und die staatliche Vorsorge vor Terrorismus wird nun der private Bereich mit einbezogen.
Der Sozialdatenschutz war dafür bisher offiziell ausgeklammert.

"Erst 1983 scheiterte der letzte Versuch einer Volkszählung in der BRD unter beachtlichem Prestigeverlust für "die da oben" am Widerstand der Bevölkerung. Warum dann das Milliardending Volkszählung 87? Das Prestigedenken der Regierenden, die den Bürgerinnen und Bürgern ein für allemal zeigen wollen, wer Herr im Haus BRD ist, reicht zur Erklärung des Kosteneisatzes und der Hartnäckigkeit, mit der diese Datenerhebung betrieben wird, nicht aus.
Dahinter steckt mehr.Da ist das Denken einer deutschen Wissenschaft mit der Tradition, Menschen möglichst vollständig in Einzeldaten aufzuschlüsseln und in Zahlen aufzulösen, um mit ihnen wie mit einer Sache, wie mit einer Zahl jonglieren zu können.
Da ist auch der Drang deutscher Bürokraten zu einer möglichst vollständigen Erfassung, Verkartung und Speicherung der Daten aller Bürgerinnen und Bürger.
Da ist die Lust deutscher Statistiker an der Perfektionierung ihres Datenbestandes und ihre Unzufriedenheit, solange sie nicht alles vollständig erfaßt haben.
Und da ist der klammheimliche Wunsch deutscher Sicherheitsexperten, ihre Fahndungsmöglichkeiten auf dem Wege zur sozialen Kontrolle der Gesamtbevölkerung durch grundsätzliches Einbeziehen aller Bürger zu erweitern und zu vervollständigen."
Hans-Christian Ströbele:"Nur ein leerer Volkszählungsfragebogen ist ein harmloser Fragebogen", in:
"Vorsicht Volkszählung - Erfaßt, Vernetzt & Ausgezählt" Köln 1987.

Der Widerstand gegen maschinelle Datenerfassung in der Bundesrepublik trat mit den Volkszählungen von 1983 und 1987 an die Oberfläche. Im Dezember 1986 wurde im Rahmen des Fahndungsnotstandes das ZEVIS-Gesetz verabschiedet. Es ermöglichte, maschinell erfasste Daten nahezu schrankenlos zu nutzen. Zur selben Zeit wurde ein Paket von Sicherheitsgesetzen verabschiedet. Eines dieser Gesetze erlaubt den Zugriff von Behörden wie dem Sozialamt und Geheimdiensten auf die Daten aller Autohalter. Diese Daten speichert das Zentrale Verkehrsinformationssystem in Flensburg [7]. 1989 folgte das Artikelgesetz zur Inneren Sicherheit

"Durch die "Sicherheitsgesetze" wurde die strikte Trennung von Polizei und Geheimdiensten aufgeweicht, die aufgrund der Erfahrungen mit der Gestapo eingeführt worden war. Personenbezogene Daten konnten nun zwischen den Behörden ausgetauscht und zum Teil so gespeichert werden, dass Bewegungsprofile beispielsweise von Fahrzeughaltern erstellt und Personen in Sammeldateien mit bestimmten Etiketten versehen konnten."
Torben Strausdat: "Rechtsstaat live: Der Umgang mit den Grundrechten in Deutschland", in: Philtrat, Nr. 35 - juni/juli 2000

Die Vorbereitung des Bundesdatenschutzgesetzes (BDSG) stiess sowohl in der Vewaltung als auch in der Wirtschaft auf grosse Ablehnung. Richtlinien im Umgang mit personenbezogenen Informationen seien zu lästig, zu aufwendig und zu teuer [3].Wirtschaftsunternehmen seien dadurch gefährdet. Die Verwaltung könne ihren eigentlichen Aufgaben nicht mehr nachkommen.
Dies kann leicht widerlegt werden, da tatsächliche Nachfragen aus der Bevölkerung zu ihren gespeicherten Daten sehr gering sind und die Computertechnik eine sehr preiswerte und platzsparende Datenspeicherung ermöglicht.
Stattdessen versuchen sich Wirtschaft und Verwaltung der staatlichen und gesellschaftlichen Kontrolle ihrer Datenspeicher zu entziehen [4]. Rechtlichen Einfluss auf das Datenschutzgesetz haben:
  • das Polizeigesetz des jeweiligen Bundeslandes
  • das Bundesverfassungsschutzgesetz
  • die Gesetze über den militärischen Abschirmdienst und den Bundesnachrichtendienst und
  • die Gesetze über Statistik und Archivwesen.
In der Bundesrepublik Deutschland gibt es einen Bundesdatenschutzbeauftragten. Dieser gehört zwar zur Exekutiven, wird aber vom Bundestag gewählt. Dem Bundesdatenschutzbeauftragten ist der Bundesinnenminister und die Bundesregierung übergeordnet. Innenministerium und Regierung können ihm jedoch keine Weisungen erteilen. Nur der Bundestag kann ihn beauftragen. Nur dem Bundestag muss der Datenschutzbeauftragte Rechenschaft leisten. Dieses System hat sich bisher auch als relativ erfolgreich erwiesen [5]. Es ist Bestandteil der Gewaltenteilung im Rechtsstaat. Die Entwicklung der neuen Informationstechnologien hat die Rolle und Arbeit des Datenschutzbeauftragten deutlich verändert.

Der Datenabgleich und Austausch soll die Wirtschaftlichkeit der Behörden erhöhen. So können zum Beispiel Doppelbeantragungen sozialer Erleichterungen vermieden werden.
Nach den Hartz-Reformen und der Umwandlung des Bundesamtes für Arbeit in eine Agentur haben Bürgerinnen und Bürger nur noch Anspruch auf eine Form finazieller Unterstützung durch den Staat.
Im Präventionsstaat sind eine effiziente Verwaltung und wirkungsvolle Gesetze wichtiger als eine Datenzugriffsordnung, die das Recht auf informationelle Selbstbestimmung regelt.
Der Staat verlangt vom Datenschutz eine Stärkung des Vertrauens der Bürgerinnen und Bürger in die staatliche Datenverarbeitung.
Die Bürgerinnen und Bürger verlangen vom Datenschutz hingegen den Schutz ihrer Persönlichkeits- und Privatsphäre vor dem Staat und der Wirtschaft.

Sozialbehörden mit polizeilichen Befugnissen

Das Recht auf Hausdurchsuchungen, Razzien, stichprobenartigen Kontrollen und sozialer Detektivarbeit ist nicht nur auf Polizei, BGS und Geheimdienste beschränkt.
Der Zoll ermittelt offensiv gegen sogenannte Schwarzarbeit und Parallelökonomie [8]. Die Bundesagentur für Arbeit überprüft gemeinsam mit der Polizei Restaurants etc. auf Mitarbeiter, die Arbeitslosengeld, Arbeitslosenhilfe oder Sozialhilfe empfangen [9]. Hausbesuche durch das Sozialamt zur Ermittlung und Schätzung der Wertsachen sind geplant.
Durch den Selbsteintritt der Behörden und Agenturen in Polizeizusammenhänge werden Empfängerinnen und Empfänger von staatlichen Mitteln zur Existenzsicherung zu potentiellen Kriminellen und Rechtsbrechern diskreditiert.
Der grundsätzliche Verdacht und das generelle Misstrauen der Sachbearbeiterinnen und Sachberarbeiter in den Behörden und Agenturen steht der Wahrheitsliebe der betroffenen Menschen gegenüber.
Häufiges Fehlen am Arbeitsplatz, regelmässiges Fehlen an bestimmten Wochentagen oder ausbleibende Rückmeldungen verschärfen solche Verdachtsmomente. Folglich beschaffen sich die Sachbearbeiterinnen und Sachbearbeiter ihre Informationen selbst. Dies geschieht über die Köpfe der Betroffenen hinweg. Diese sind damit nicht nur finanziellem, sondern auch psychischem und gesundheitlichem Druck ausgesetzt.

Gesellschaflicher Diskurs im Präventionsstaat

Durch die häufige Thematisierung von Missbrauch von
  • BAföG
  • Arbeitlosengeld
  • Sozialhilfe oder
  • Kindergeld
im Einzelfall werden die
  • Empfängerinnen und Empfänger dieser Beihilfen
  • Asylsuchende, Ausländerinnen und Ausländer
als Betrüger und Kriminelle diskreditiert. Neben der befürchteten Bedrohung durch den Terrorismus werden sie zur sozialen Gefahr erklärt. Der öffentliche Verdacht gegenüber diesen Gruppen wächst.
Pauschale Behauptungen geraten in die Öffentlichkeit. Einzelfälle werden verallgemeinert, vereinfacht und banalisiert. Neutrale und ernstzunehmende Untersuchungen bleiben aus oder unbeachtet.
Verdachtsfälle werden als tatsächliche Missbrauchsfälle behandelt.Dabei geht es nicht um seriöse Konzepte zur Minderung von Missbrauch sozialer Beihilfen des Staates.
Das beweist die mangelnde Präsenz solcher Ideen in der Medienlandschaft.
Grundrechte wie Anspruch auf staatliche Hilfe zur Existenzsicherung werden verleumdet.Staatliche Ausgaben für Rüstung, Katastrophenschutz, Korruptionsfälle, Umwandlung von Staatseigentum in Privateigentum etc. wird zwar thematisiert, findet aber geringes öffentliches Interesse.Starke Themen sind leere Haushaltskassen und steigende Staatsverschuldung, z.Bsp. durch sogenannten Leistungsmissbrauch.

Probleme und Gefahren des Präventionsstaates

Im Präventionsstaat treten Risiken anstelle von Gefahren. Schreckensszenarien, Prognosen und Modelle überschatten realistisches Sachverhalten. Handlungen im Verwaltungsbereich wie im Privaten gewinnen an Unberechenbarkeit und Komplexität, da sie durch Angst und Unsicherhet geprägt sind.
Begründungen für neue politische Normen verlieren an Verständlichkeit, Glaubhaftigkeit und Konsensfähigkeit.
Staatliche Vorbeugung lässt sich leichter für wechselnde Interessen und Machtgewichtungen instrumentalisieren. Solche gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Veränderungen begünstigen einen Bedeutungsverlust des Parlaments. Im Gegensatz dazu nimmt die Verwaltung eine stärkere Position ein.

Von der Sozialverwaltung zur Sozialpolizei

Im Präventionsstaat wird die Überwachung von Einzelfällen gestärkt. Aus diesen Daten können Methoden zur "Missbrauchsbekämfung" entwickelt werden. Alle Daten werden als Vorratsdaten angelegt. So kann ein Datenabgleich mit anderen Behörden per Knopfdruck erfolgen.
Die Bürgerinnen und Bürger im Präventionsstaat sind den Behörden unterworfen.Da sie ein Interesse an der Beziehung staatlicher Unterstützung haben, werden sie alle geforderten Sozialdaten freiwillig abgeben. Sozialdetektive und Datamining Software werden diese Angaben mit den Datensätzen anderer Behörden abgleichen können.
Damit verliert die gesamte Sozialverwaltung ihren Status als Hersteller und Sicherer gesellschaftlicher Ordnung. Stattdessen nimmt sie Züge einer Sozialpolizei an. [12]

"Wir dürfen nicht zulassen, daß sich alle menschlichen Angelegenheiten restlos den Informationsmächten unterwerfen, weil das auch entweder die Agonie oder das Ende der ständigen Umwandlung der Zivilisation mit ihren vielen Religionen, Traditionen und Kulturen bedeuten könnte. Träumereien der "digitalen Schwärmer" stellen weder das Ende der Geschichte noch den Anfang derart neuen Geschichte dar, daß alle Werte der nicht vernetzten Kulturen beim "Surfen" untergehen, alle Werte sich in den Providern verstecken müssen und jeder vom Server bedient werden soll. Man kann als Einzelperson die riesigen Mengen von Informationen, die Menschen bereits gesammelt haben, weder aufnehmen noch sie verdauen. Eher mit einer Dosis Skeptizismus, wenn auch nicht ohne eine Prise Vorsicht, sollte man die weitere Entwicklung dieses gerade auf die Welt gekommenen Wunderdings beobachten, das für unsere Großväter und Väter sicherlich das "Zeitalter der Herrschaft der Totalkommunikation" und des Netzes sein würde, das uns alle einfangen will."
Stanislaw Lem: "Kreuzwege der Information-Totale Überwachung oder Anarchie?". Aus dem Polnischen von Ryszard Krolicki, Telepolis, 12.03.1998.Fussnoten[1] Der Begriff "sozialstaatliche Erleichterung" wird in diesem Text synonym zu den Begriffen "sozialstaatliche Leistung" und "Sozialleistung" benutzt, da das Wort Leistung durch Verwendung in den Medien und der PR der staatlichen Einrichtungen und in den Reformpapieren emotional gefärbt ist. "Leistung" in diesem Kontext suggeriert nach Aufassung des Autors die Darstellung der staatlichen Aufgabe der Existenzsicherung seiner Bürgerinnen und Bürger als kostenpflichtige Dienstleistung eines Serviceunternehmens.

[2] Chipkarten am Arbeitsplatz werden nicht staatlich vorgeschrieben. Jedoch spiegeln sie eine gesamtgesellschaftliche Tendenz wieder. Sie dienen, ähnlich wie die Stempelkarte, der Arbeitszeiterfassung bzw. dem Zugang zum Arbeitsplatz oder der Abrechnung von Kosten durch Verpflegung in der Kantine etc. Jedoch sind die Daten auf Chipkarten nützlich für Data-Mining-Anwendungen von Unternehmen.

[3] Simitis, Dammann, Geiger, Mallmann, Walz: "Kommentar zum Bundesdatenschutzgesetz, Loseblattausgabe, 4. Aufl., Baden Baden 1992 ff.

[4] Hans-Peter Bull:"Datenschutz", in: D. Nohlen (Hrsg.):"Wörterbuch Staat und Politik". München 1996. S.79.

[5] D.H. Flaherty: "Protecting Privacy in Surveillance Societies", Chapell Hill, London 1989.

[6] Das Recht auf Informationsfreiheit soll den Bürgerinnen und Bürgern freien Zugang auf Akten und Daten in der Verwaltung garantieren. Informationsfreiheitsgesetze sind, wie Medienrecht und Bildung, Angelegenheit der Länder. Die Verabschiedung von Informationsfreiheitsgesetzen erfolgte bisher erst in 5 Bundesländern.

[7] Hans-Christian Ströbele:"Nur ein leerer Volszählungsfragebogen ist ein harmloser Fragebogen", in: "Vorsicht Volkszählung: Erfaßt, Vernetzt & Ausgezählt" Köln 1987. S.8-10.

[8] Parallelökonomie, in Politik und Medien als Schattenwirtschaft bezeichnet privatwirtschaftliche Aktivitäten, die nicht ins Sozialprodukt einfliessen. Dazu zählen nicht nur ungesetzliche Untergrundwirtschaft, sondern auch kollektive Selbsthilfe und die traditionelle Selbstversorgung. Ein statistischer Einblick fällt der staatlichen Datenerfassung sehr schwer. Quelle: Manfred G. Schmidt, in: D. Nohlen (Hrsg.) "Wörterbuch Staat und Politik", München 1997. S.663-664.

[9] Quelle: Feature im Deutschlandradio, August 2003.

[10] "Scientific and technological Options Assesment "STOA": An Appraisal of Technologies of Political Control", Luxembourg, 1998. Dokument hier.

[11] Ulrich Beck: "Risikogesellschaft. Auf dem Weg in eine andere Moderne" Frankfurt/M. 1986.

[12] Der vorliegende Text erörtert in wesentlichen Zügen den Aufsatz von Günther Stahlmann: Präventionsstaat und Sozialdatenschutz und die Stellungnahmen dazu und ergänzt diese anhand von Beispielen, Zitaten, Literaturangaben und Internetlinks.

[13] Ulrike Davy:"Terrorismusbekämpfung und staatliche Schutzgewährung, Referat im Rahmen der Hohenheimer Tage zum Ausländerrecht 2003". Hohenheim 2003.
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Ergänzungen

Überwachungs-Chips einpflanzen

Unglaublich aber wahr 13.07.2004 - 17:27
168 Mitarbeiter eines neu gegründeten Informationszentrums und der Generalstaatsanwalt haben sich angeblich aus Sicherheitsgründen einen GPS-Chip implantieren lassen
 http://www.heise.de/tp/deutsch/inhalt/te/17867/1.html

... Hitler oder Stalin hätten von dem nun anbrechenden Zeitalter geträumt.

T-Error

t-user 27.07.2004 - 11:21

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