Generation Dispo

Agenda 2010 kann ich mir nich leisten 01.04.2004 14:35 Themen: Globalisierung Soziale Kämpfe
"Haste mal ne Fahrkarte?" - "Wie bezahle ich diesen Monat die Miete?". In Berlin ist die Erwerbslosigkeit nach wie vor hoch, und gleichzeitig schwafeln die Medien zynischerweise von "Kaufunlust" denn das "Verbrauchervertrauen" sei "eingebrochen". Siemens will mehr Arbeitsplätze in Billiglohnländer verlagern, die BeamtInnen sollen noch mehr schuften (Bayern fängt schon mal an) - oje, wo kriegen wir jetzt den Aufschwung her?
Die Anzahl der Menschen, die in Berliner U-Bahnhöfen nach einem Mobilitätsgutschein fragen, nimmt ständig zu. Zum 1. April wurde in Berlin auch noch das Erwerbslosenticket abgeschafft, nachdem zum Jahresbeginn schon die Sozialhilfeempfangenden zum Zuhausebleiben oder Fahrradfahren verdonnert wurden. Leider ist es kein Aprilscherz, daß mit den Tickets keine Hin- und Rückfahrten mehr möglich sind.

Die Zukunftsaussichten sehen trübe aus für jene, die ein leeres, fast leeres oder gar kein Bankkonto haben. Wie sollen sie auf den Aufwärtstrend vertrauen und massenweise die Einkaufstempel stürmen? "Anfang 2004, hatten die Einzelhändler gehofft", würden die Menschen "endlich wieder in die Geschäfte strömen. Im März aber ist Verbrauchervertrauen erneut eingebrochen", jammert der Spiegel und zitiert aus einer "Konsumklimastudie" (schönes Wetter heute!). Und sieh an, "Viele Beschäftigte hätten Angst vor weiterem Stellenabbau. 'Das unterstützt den Konsum nicht gerade'", meint ein Vertreter der "Gesellschaft für Konsumforschung".

Besonders die RentnerInnen machen beim Kaufrausch nicht mehr so freudig mit. Tja, dass die Renten sicher seien ist tatsächlich ein Aprilscherz. Und nach Aufschwung siehts auch nicht aus. Der Dispo-Kredit auf dem Bankkonto ist längst ausgeschöpft, der Schuldenberg höher als der Mount Everest, und Berlin ist eh pleite (und ich bin schuld, weil ich zusammen mit anderen ständig auf die Straße gehe (pfui deibel!), und Team Green ständig Begleitschutz für unsere Demos schiebt). Wie sollen denn Menschen, die immer weniger Geld haben, neue Autos kaufen?

Gerade in den "neuen Bundesländern" (okay, sind nicht mehr so neu) ist auch unklar wo die Jobs herkommen sollen um die Erwerbslosen mit Einkommen zu versorgen. Das sieht nach dem Modell USA aus, wo der Präsident bei einem illustren Empfang verkündet: "Ich habe viele neue Jobs geschaffen!", und ein Kellner ihm antwortet: "Ja, ich habe drei davon!". Die alleinerziehende Mutter hat dann vier und alle Hände voll zu tun (aber immer noch nur zwei Hände). Von Jobs, von denen wir prima leben können, war nirgends die Rede. "Jede Arbeit ist besser als keine, und jede Arbeit ist auch zumutbar", meint Hartz. Kontrollettis in der U-Bahn, FriedhofsgärtnerInnen, EinkaufstütenpackerInnen bei Wal-Mart, Wachschutz zur Vertreibung von Obdachlosen und allerlei sonstige nette Jobs warten auf uns, um in die Hände zu spucken und das Bruttosozialprodukt der lahmenden Wirtschaft anzukurbeln. Die Arbeitszeit wird nicht verkürzt, obwohl das ein sicheres Mittel wäre, mehr Menschen Beschäftigung zu vermitteln. Statt dessen gehören Menschen um die 40 schon zum Alten Eisen und haben keine Chance mehr auf dem ersten Arbeitsmarkt, Qualifikationsschutz war mal ein schöner Traum, und Gastfreundschaft für AusländerInnen leider auch (Green Cards, gibts die noch?). Die Mauer um die Festung Europa wird noch dichter, wenn auch ab 1. Mai nach Osten erweitert, Flüchtlinge haben wenig Möglichkeiten, die Wohlstandsinseln zu besichtigen.

Wenn wir Glücklichen innerhalb der Wohlstandsmauern das Angebot bis zum Umfallen zu Schuften nicht annehmen wollen, gibts Ärger. Und diejenigen die noch eine Stelle haben, bangen um ihren Job. Die Angst geht um, krank zuhause bleiben leisten sich immer weniger (kostet ja auch mittlerweile Praxisgebühr und Medikamentenzuzahlung). Wozu eigentlich das Ganze wenns nicht mal Spaß macht? Eigentlich hätten wir genug zu tun, ohne auch noch entfremdete Arbeit erledigen zu müssen, es fehlt uns nur die Möglichkeit, uns das schöne Leben leisten zu können...

Mal abgesehen davon, daß die Reproduktionsarbeit völlig ungleich verteilt ist, Existenzgeld in weiter Ferne liegt, ist dieser Neoliberalismus doch völlig absurd. Die Reservearmee wird immer größer, aber ohne breit verteilte Kaufkraft macht selbst die kapitalistische Wirtschaft schlapp. Immer mehr Firmen gehen pleite, und das mit den Ich-AGs haut ja auch überhaupt nicht hin.

Da hat sich Viviane Forrester, eine bürgerliche Schriftstellerin aus Frankreich, 1996 einmal richtig über den Zynismus dieser Wirtschaft gewundert, in der sich alles um die Erwerbsarbeit dreht, und die Massenarbeitslosgikeit stetig zunimmt:

"In ihrer pervertierten Form als 'Beschäftigung' bildet die Arbeit tatsächlich die Grundlage der den ganzen Planeten beherrschenden westlichen Zivilisation. Sie ist derart unauflöslich mit ihr verbunden, daß selbst in einer Zeit, in der die Arbeit immer mehr schwindet, ihre tief-reichende Verwurzelung in unserer Zivilisation nie in Frage gestellt, die Gewißheit ihrer Existenz nie erschüttert wird - erst recht nicht ihre Notwendigkeit. Bestimmt nicht die Arbeit all unsere gesellschaftlichen Verteilungsprozesse und damit unser Überleben? Die Verflechtungen und Wechselbeziehungen, die aus ihr entstehen, erscheinen uns ebenso lebensnotwendig wie der Blutkreislauf. Die Arbeit, die wir als unsere natürliche Antriebskraft ansehen, als die einzige uns gemäße Spielregel für jene kurze Zeitspanne, die wir auf diesem seltsamen Planeten verbringen, ist heute jedoch nur noch ein hohles Gebilde ohne jede Substanz."

Und nu?! Da müssen wir doch glatt darüber nachdenken, was wir jetzt tun können...

Labournet:  http://www.labournet.de
Wo bitte geht's zur Revolution?  http://www.labournet.de/diskussion/arbeit/prekaer/nichtstun.html
Gruppe Blauer Montag:
Polder, Pölser, Sauerkraut:  http://www.labournet.de/diskussion/arbeit/realpolitik/bm/
Anders Arbeiten:  http://www.andersarbeiten.de
Existenzgeld:  http://www.existenzgeld.de
Austellung aus Dresden:  http://www.abfallgut.de/tafel0.html
Netzwerk Grundeinkommen und sozialer Zusammenhalt Österreich:  http://www.grundeinkommen.at

Appel, Margit: "Das Spiel des Lebens gestalten! Was Grundeinkommen an der ökonomischen und politischen Situation von Frauen ändert!": doc-Datei:  http://www.grundeinkommen.at/Library/Referat_MA_Fachtagung_170503.doc
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Ergänzungen

Bad left Information is the ONLY Handicap_!

Peter Troestler 03.04.2004 - 18:57
Die geschilderten Probleme dienen wieder Mal der Illustration ideologisch motivierter Behauptungen. Und nicht der sofortigen Abhilfe und Loesung der Probleme.

Dass Kampf_Massnahmen die an der konkreten Realitaet der Kassierer in Berlin, an der Situation am Schreibtisch des Sachbearbeiters im Sozialamt ansetzen im Handumdrehen Erfolge einfahren, die sogar ueber NULLTARIF hinaus gehen beweisen die Dateien von SOZIALNETZ BERLIN mit ihrem Beratungsangebot zur

ZUZAHLUNG i.H. von 50 Euro durch das Sozialamt nach Wegfall der Sozialkarte am 1. Januar 2004 unter

 http://www.zellenfunk.de.nr

bzw.  http://people.freenet.de/sozialnetz/38.10_Zuzahlung-Sozialkarte.Flyer.htm

Die im obigen Artikel geschilderte Misere ist in erster Linie eine Folge davon, dass viele schlecht ueber das informiert sind, was moeglich ist und wie der Kampf tatsaechlich effizient gefuehrt wird.
Wer Bescheid weiss, hat derzeit kaum Probleme seine Interessen durchzusetzen und kann optimal bis zum SOZIALTICKET 2005 Bruecken schlagen. Freilich muss man dann etwas genauer recherchieren, und kann nicht mehr so nach Gusto irgendeine ideologische Sosse von Behauptungen aus dem Bauch ueber die Leute ausgiessen.

SOZIALNETZ hat recherchiert und ist an die Internen Arbeitsanweisungen der Sozialaemter ebenso heran gekommen (Als PDF_Doc im Original-Layout per og. Drehscheibe ins Netz gestellt) wie an eine stattliche Sammlung von Fall_ Schilderungen durch Personen, die mit unserer Hilfe die Zuzahlung beantragt haben.

Das Problem liegt also in erster Linie in der Qualitaet der gereichten Information. Mit dem Amt und der BVG wird man dann fertig.

Nu10J.de

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Kapitalismus abschaffen — geschrieben am