Der Staat, der alles wissen will

Barcode 06.02.2004 12:26 Themen: Repression
Die deutsche Gendatei erfasst derzeit dreihunderttausend Personen ... Den maximalen Erfolg wird sie erzielen, wenn dort nicht nur drei- oder vierhunderttausend Kriminelle, sondern 82 Millionen potenzielle Straftäter registriert sein werden, nämlich die gesamte deutsche Bevölkerung
Gerhard Schröder, Friedrich Merz und. Kardinal Lehmann inklusive. ... Die Erfahrung der vergangenen Jahre lehrt: Nirgendwo werden aus vermeintlichen Absurditäten so schnell Normalitäten wie auf dem Gebiet der inneren Sicherheit.

Wer hätte vor zwanzig Jahren geglaubt, dass die Polizei der Bundesrepublik eines Tages ganz legal in Wohnungen einbrechen und dort Abhörwanzen installieren darf? Exakt dies ist seit 1998 Gesetz. ...

Künftig sollen, so will es die Union, von jedem, der irgendwie mit dem Gesetz in Konflikt kommt, die DNA-Identifizierungsmuster registriert werden. Ex-Kanzler Kohl, Ex-Innenminister Kanther, Graf Lambsdorff und Karl Wienand wären demnach schon fällig gewesen. Die Union will den genetischen Fingerabdruck zu einer polizeilichen Standardmaßnahme machen, "bürokratische Hürden" sollen dabei weggeräumt werden. Der Unions-Antrag sagt entwaffnend offen, was damit gemeint ist: der Richtervorbehalt nämlich; er sei "überflüssig". Eine richterliche Entscheidung "behindert", so die Union, "die schnelle Aufklärung". ...

Der Rechtsstaat Bundesrepublik geht über in den Sicherheits- und Präventionsstaat. ...

Das Wort Vorbeugung rechtfertigt Maßnahmen, wie sie bisher nicht einmal im Rahmen der Strafverfolgung möglich waren. Ein Verdacht ist nicht nötig, es reicht ein Vorverdacht. Es genügt die bloße Möglichkeit, dass der beobachtete, belauschte, registrierte, ohne sein Wissen kontrollierte Mensch irgendwann irgendwie verdächtig werden könnte.

Mit dem Wort Prävention, also Vorbeugung, haben die Amerikaner den Krieg im Irak begründet. Mit der nämlichen Begründung wird heute in Deutschland in Grundrechte eingegriffen: Die verdachts- und schrankenlose Telefonüberwachung, wie sie in Thüringen schon einführt wurde und wie sie andere Bundesländer jetzt einführen wollen, wird begründet - Vorbeugung. Was beim großen Lauschangriff offiziell noch nicht gestattet ist, beispielsweise die Aufzeichnung des Gesprächs mit einem Anwalt mittels Wanze, das soll nun im Rahmen dieser vorbeugenden Telefonüberwachung ohne weiteres möglich sein. Gleichfalls zur Vorbeugung sollen auf den deutschen Ausfallstraßen und Autobahnen Videokameras installiert werden und dort nicht nur dazu dienen, gesuchte Verbrecher und gestohlene Autos aus dem Verkehr zu ziehen; man will auf diese Weise potenziell nützliche Daten sammeln und Bewegungsprofile erstellen. Die Erstellung von Kontoprofilen durch die Sicherheitsbehörden ist jetzt schon möglich. Zu Zwecken der Vorbeugung dürfen sie seit den 11.- September-Gesetzen in Bankkonten herumstochern.

Vorbeugung: Den US-Behörden werden seit dem Frühjahr 2003 sämtliche Buchungsdaten der Fluggäste aus Europa ausgeliefert - inklusive Kreditkarten-, Telefon-, E-Mail-Nummern, plus Sonderinformationen über körperliche Gebrechen. ...

Präventive Logik ist expansiv: Wer vorbeugen will, weiß nie genug. Deshalb wird der Staat, zur Sicherheit, immer mehr wissen wollen, immer weiter in die Intimsphäre eindringen. Und dann kann es sein, dass eines Tages der genetische Fingerabdruck beim Säugling so selbstverständlich sein wird wie heute die Eintragung im Geburtsregister.



Orwell lässt grüßen:
Krieg ist Frieden, Freiheit ist Sklaverei, Unwissenheit ist Stärke - dies sind die Parolen, so George Orwell in seinem Roman "1984", die in schönen Buchstaben in die weißen Fassaden des "Wahrheitsministeriums" eingemeißelt sind. Die SPD-Regierung tauft das Wahrheitsministerium gerade in ein "Innovationsministerium" um, an dem in Neonlichtin-schrift der SPD-Wahlspruch "Rückschritt ist Innovation" leuchten soll. Orwell hat vorgedacht, was Schröder entdeckt: Machterweiterung durch "Doppeldenk".

Man nehme einen Begriff, der verheißungsvoll funkelt, zum Beispiel "Demokratie", "Frieden", "Innovation", "Bildung" und unterlege ihn mit der Gegenbedeutung. Auf diese Weise wird ein neuer Machtraum eröffnet, indem schizophrene Denkweisen und Handlungsformen etabliert werden.
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Ergänzungen

Prävention ja – nur demokratisch

Alfons Kilad 06.02.2004 - 15:28
Wie Orwell in „1984“ ja recht anschaulich zeigt, dient möglichst totale Überwachung einer Vorbeugung nur im Sinne von umfassender Unterdrückung jeglichen Widerstandes. Solche Staatsformen gelten nach herkömmlicher Meinung als Diktatur wenn nicht gar als Faschismus.
Prävention, also Vorbeugung im Sinne demokratischer Grundsätze, verhindert dies dagegen möglichst bereits im Vorfeld. Demokratische Prävention schafft Voraussetzungen für ein selbstbestimmtes Leben, freie Wahlen und einer Rechtsgarantie zur Opposition. Folglich sind aus demokratischer Sicht alle diese umfassenden Bürgerkontrollen abzulehnen. Es ist nicht akzeptabel, dass irgendeine herrschende Gruppe alles kontrollieren und damit unterdrücken kann.
Prävention im demokratischen Sinne heißt deshalb sich rechtzeitig und entschieden gegen jegliche umfassende Kontrolle zu wehren, um sich jederzeit gegen diktatorische oder gar faschistische Bestrebungen erfolgreich wehren zu können. Warum wegen „Terrorismus“ pauschal jeder Bürger präventiv erfasst werden musst, ist ziemlich verlogen. Denn es wird so getan als könnte jeder evtl. zum Terroristen werden. Was hier mit dieser Begriffsakrobatik in Wahrheit gemeint ist, ist die Befürchtung, dass die Angriffe auf Völkerrecht und Demokratie, also die Kriegspolitik nach außen und die Beseitigung der Grundlagen von Artikel 20 Grundgesetz im Inneren, irgendwann entschiedenen Widerstand hervorrufen können. Alle sog. „Sicherheitsmaßnahmen“ dienen tendenziell zur Absicherung des Abbaus der Demokratie im Interesse einer kleinen aber wirtschaftspolitisch mächtigen Schicht von Unternehmern (wie z.B. Deutsche Bank / Siemens, welche in ihrer Firmengeschichte schon einmal aktiv den Faschismus unterstützten) gegen demokratischen Widerstand.

Fehlende Quellenangabe: SZ vom 16.01.04 !

horstpeter 06.02.2004 - 16:31
Dieser Artikel ist größtenteils 1:1 aus zwei Artikeln aus der Süddeutschen Zeitung vom 16. Januar '04 zusammengesetzt. Der erste Teil aus:

Heribert Prantl: "Der Staat der alles wissen will".

der zweite Teil:

Ulrich Beck: "Orwell lässt grüssen. Rückschritt ist Innovation".

Naechstes mal bitte die Quellen angeben. Zwar sind die Originalartikel gekuerzt wiedergegeben, aber es ist doch der originale Wortlaut. Und dann finde ich doch nicht unerheblich von wem die Texte wirklich sind!!!