Erklärung der CDU-Besetzer in Freiburg

all_da_riots 22.01.2004 15:33 Themen: Bildung Freiräume Soziale Kämpfe
Am Mittwoch, den 21.12004 wurde die CDU-Zentrale in Freiburg von Studierenden besetzt. Vor dem Haus versammelte sich eine Demonstation von etwa 500 Menschen. Die Erkläung wurd per Megaphon diesen mitgeteilt und später auch dem herbeigeeilten CDU-Landtagsabgeordneten Schüler übergeben.

Im folgenden die Erklärung:
Erklärung der BesetzerInnen der Freiburger CDU-Zentrale

Wir haben heute, am 21. Januar 2004, die CDU-Zentrale Freiburg besetzt, um gegen die verfehlte und unsoziale Bildungspolitik der Landesregierung zu protestieren.
Die Landesregierung, allen voran ihr Wissenschaftsminister Peter Frankenberg, tut sich immer wieder damit hervor, sich als Vorreiterin in Sachen Bildungsabbau und sozialer Ungerechtigkeit zu profilieren. Baden-Württemberg ist eines der ersten Länder gewesen, das Langzeitstudiengebühren erhoben hat, und es ist das erste, das nun auch bald allgemeine Studiengebühren ab dem 1. Semester in Höhe von mindestens 500 Euro pro Semester einführen will. Damit macht sie die Universitäten, noch mehr als dies jetzt schon der Fall ist, zu Veranstaltungen wohlhabender Schichten, von denen ärmere Menschen systematisch abgeschreckt und ausgeschlossen bleiben.
Der Referentenentwurf des neuen Landeshochschulgesetzes geht noch einen Schritt weiter und fordert den Umbau der Hochschulen zu Unternehmen, in denen Bildung als Ware und StudentInnen als KundInnen fungieren. Der bisher aus Vertretern der Hochschule gewählte Senat soll durch einen "Aufsichtsrat" ersetzt werden, der evtl. nur noch zu einem Drittel von Angehörigen der Hochschule bestimmt werden soll. Die Kompetenzen des Rektorats, welches bald "Vorstand" heißen soll, werden auf Kosten demokratischer Mitbestimmungsorgane gestärkt. Das bedeutet eine deutliche Entdemokratisierung der Universität und eine Entwicklung hin zu autoritären, managamentartigen Strukturen. Bildungs- und Hochschulpolitik soll noch mehr als bisher über die Köpfe der Betroffenen hinweg betrieben werden.
Universitäten sollen schrittweise privatisiert werden, so als ob Bildung eine Angelegenheit der Privatwirtschaft sein könnte. Die Möglichkeit ökonomischer Verwertung soll über Wert und Unwert von Studienfächern entscheiden. Immer stärker treten Wirtschaftskalküle an die Stelle politischer, sozialer und ethischer oder wenigstens demokratietheoretischer Überlegungen. Der Passus im alten Landeshochschulgesetz: "Lehre und Studium sollen den Studierenden auf ein berufliches Tätigkeitsfeld vorbereiten und ihm die dafür erforderlichen fachlichen Kenntnisse [...] so vermitteln, daß er zu wissenschaftlicher Arbeit und verantwortlichem Handeln in einem freiheitlichen, demokratischen und sozialen Rechtsstaat befähigt wird." (§ 38 LHG) – soll gestrichen werden und wird im 3. Referentenentwurf ersetzt durch: "Lehre und Studium sollen Studierende auf eine berufliche Tätigkeit vorbereiten." Dass Bildung, Geist, Reflexion, Kritik- und Gestaltungsfähigkeit auch eine politische Rolle für ein Gemeinwesen spielen könnte, sähe die CDU also gerne abgeschafft: die besten StaatsbürgerInnen sind für sie wohl jene, die blind ihrer Arbeit nachgehen. Im Interesse ökonomischer Effizienz will sie den Geist aus den Universitäten vertreiben.
Wir sagen, dass Bildung keine Ware sein kann, über deren Konsum der Geldbeutel entscheidet. Bildung ist ein Grundrecht, das allen Mitgliedern der Gesellschaft gleich zusteht. Wer für Bildung Geld verlangt und den Hochschulen die Autonomie rauben will, verlässt langsam aber sicher den Boden der freiheitlich-demokratischen Grundordnung. Mit unserer Besetzung wollen wir Frankenberg und seiner Partei klarmachen: wenn diese Pläne nicht zurückgenommen werden, wird es für die CDU ungemütlich – das demokratische Grundrecht auf Bildung verteidigen wir mit allen Mitteln.
Wir sind bei der Freiburger CDU-Zentrale aber nicht nur deshalb an der richtigen Adresse, weil wir uns zufällig in Baden-Württemberg befinden. Auch die Bundes-CDU betreibt eine Politik, gegen die Protest berechtigt ist. Sie unterstützt die Sparpläne der rot-grünen Bundesregierung, segnet im Bundestag sozialen Kahlschlag ab, befürwortet die Lockerung des Kündigungsschutzes, die finanzielle Abwälzung der Gesundheitsversorgung auf die Bevölkerung, die Kürzung von Sozialausgaben und Arbeitslosengeld. Wo sie die Bundesregierung beim Sozialabbau nicht unterstützt, da versucht sie noch, sie zu übertreffen: der Abbau sozialer und demokratischer Errungenschaften, die zu bewahren auch in Krisen die Aufgabe eines Gemeinwesens sein müsste, kann ihr nicht schnell genug vorangehen.
Der Ausschluss antisemitischer Abgeordneter ist für sie genauso wenig eine Selbstverständlichkeit wie der Schutz der Familie vor dem Großen Lauschangriff. Eine Selbstverständlichkeit ist es für sie dagegen, Geldspenden aus der Wirtschaft in schwarzen Köfferchen überreicht zu kriegen oder Koalitionen mit rechtspopulistischen Parteien wie der "Schill-Partei" in Hamburg einzugehen. Die Bedürfnisse der Menschen, demokratische und soziale Errungenschaften opfert sie ohne Zögern den Interessen wirtschaftlicher Verwertung.
Wir signalisieren der CDU, dass ihre Politik unseren Widerstand provoziert, und dass dieser Widerstand so lange andauern wird, bis die Angriffe auf unsere Lebens- und Bildungsverhältnisse, denen wir von Regierung und Opposition gleichermaßen ausgesetzt sind, abgewehrt sind. Es ist dabei selbstverständlich, dass wir nicht, weil wir die eine Partei besetzen, eine andere damit aufwerten. Auch die SPD betreibt eine Politik der Umverteilung von unten nach oben, und die Grünen unterstützen sie dabei mit ihren Stimmen im Parlament.
Wenn wir heute die CDU-Zentrale besetzen, dann kehren wir zuerst vor der eigenen baden-württembergischen Haustür, aber haben die gesamte Gesellschaft im Blick. Wir stören den Ablauf der täglichen Arbeit einer Partei, die wie viele andere Parteien aus dem Blick verloren hat, dass Politik mehr bedeuten muss als bloße Sachverwaltung – und dass für ein politisches Handeln, das gesamtgesellschaftliche Zusammenhänge im Blick behält, ein freies Bildungssystem unverzichtbar ist.
Wir rufen zugleich zur Besetzung anderer Parteizentralen und politischen Institutionen auf, um gemeinsam Druck aufzubauen gegen die Angriffe auf Bildung und Gesellschaft. Schafft zwei, drei, viele CDU-Zentralen!

gegen soziale selektion!
gegen studiengebühren!
Bildung für alle – und zwar umsonst!
FÜR EINE SOZIALE UND DEMOKRATISCHE Gesellschaft!
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Ergänzungen