Giessen: 9 Monate ohne Bewährung

hatschafku 18.12.2003 05:49 Themen: Repression
Nach einem 11-stündigen Prozess sind die beiden angeklagtenProjektwerkstättler gegen 19 Uhr von Richter Wendel mit unglaublichenBegründungen zu 9 Monaten Haft ohne Bewährung bzw. zu 100 Tagessätzen a 10 Euro verurteilt worden. Das Prozessergebnis lässt vermuten, dass von Anfang an die Verurteilung feststand. Denn an Beweisen brachte der Prozess nichts - ganz im Gegenteil. Die Angeklagten werden inRevision/Berufung gehen. Die Stadt Gießen steht voller Polizei aus Angst vor Anschlägen. Die Gerichtsgebäude waren während des ganzen Tages geschlossen bis auf den stark gesicherten Haupteingang. Im Gebäude sicherte die Licher Bereitschaftspolizei.

Genauerer Bericht: Prozess in Giessen +Fotos!
Ein weiterer Prozessbericht aus Giessen
Prozessbericht Giessen (SciFi-Version)
Der Prozess war eine fast durchgehende massive Vernehmung der Zeugenseitens Polizei und Staat durch die Angeklagten. Mit ständigenNachfragen, Vergleichen mit anderen Aussagen usw. gelang es ständig,die Zeugen in Widersprüche zu verwickeln. Diese reagieren teilweiseaggressiv mit Polemiken gegen die Projektwerkstatt.

Vorwurf 1: Fälschung von Wahlplakaten - die beiden Zeugen von derPolizei widersprachen sich in etlichen Punkten und konnten nichterklären, wieso sie die Wahlplakate erst spät entdeckten, anderekontrollierte Personen nicht durchsuchten usw. Der Richter befandjedoch, dass es unerheblich sei, ob die Angeklagten die Tat wirklichbegangen haben - entscheidend sei, dass sie sie guthießen undwahrscheinlich in der Projektwerkstatt mit dabeigesessen hätten, alsüber die Aktion abgestimmt wurde.

Vorwurf 2: Störung der Stadtverordnetenversammlung - es konnte klarnachgewiesen werden, dass gar keine Störung ausging, bis Stadtverordnetenvorste her Gail die Versammlung unterbrach. Wer das Transpi ausrollte, ließ sich nicht mehr klären. Zeuge Gail phantasierte das Werfen von Flugblättern und Rumpöbeln (komisch ... beides taucht in keinem Bericht, Pressetext usw. auf) herbei. Richter Wendel fand, dass das gar nicht wichtig sei, sondern vielmehr dass Gail das Hausrecht gehabt habe und deshalb befugt gewesen sei, die Angeklagten rauszuwerfen. Das die nicht freiwillig gegangen sind, sei dann der Hausfriedensbruch.

Vorwurf 3: Körperverletzung gegen Staatsschutzchef Puff - dessenVernehmung durch die Angeklagten war der Höhepunkt des Prozesses. Puff, immer schäumend vor Wut beim Anblick von Projektwerkstättlern,antwortete selten, sondern versuchte mit Polemiken gegen Projektwerkstättler zu agieren der Marke "Ach Herr B., ihre Aktionen kennen wir doch alle 2 Jahre schon" oder "Geben Sie es doch endlich zu, daß sie das immer sind" usw. Zudem erfand Puff mal wieder (da ist er Spezialist) ein paar neue Straftatbestände, z.B. dass sich Leute illegal in der Projektwerkstatt aufhielten. Auf Nachfrage meinte er: Weil deren Eltern davon nichts wüßten (interessante Straftat - zumal die Person volljährig ist). Der Beweisantrag, daß Puff und die Gießener Polizei ständig Straftaten ausdenkt (siehe Link auf der Internetseite zum Prozeß über http://www.projektwerkstatt.de/prozess) wurde abgelehnt. Puff brachte ein Attest von einem abgeknickten Daumen, dessen Abknicken er erst nach einem halben Tag bemerkt hätte und dann drei Tage später zum Arzt gegangen sei. Der Richter fand das alles enorm glaubwürdig - das brachte dem Angeklagten die Verurteilung.

Vorwurf 4: Gefährliche Körperverletzung - das war bei der absurdestenPolizeiaktion in Gießen am 11. Januar 2003 im Seltersweg (http://www.de.indymedia.org/2003/01/38556.shtml). Die Polizei war daauf Befehl von Innenminister Bouffier völlig ausgetickt, hatte eineSpontandemonstration gegen die technische Zerschlagung derProjektwerkstatt am 10. Januar(http://www.projektwerkstatt.de/pwerk/saasen/090103.html). DerAngeklagte B. wurde festgenommen mit übler Gewalt. Danach wurde eineStory gestrickt, er hätte einen Bullen getreten (ins Gesicht). DieserBeamte war nun auch der einzige (!) Zeuge. Er verhedderte sich indramatische Widersprüche. Zudem behauptete (als Einsatzleiter), daß die Demonstration illegal war, weil man eine Demo immer 48h vorher anmelden muß und daher eine solche immer frühestens 48h nach dem Grund für die Demo stattfinden darf. Damit war klar, dass der Angriff auf die Demo illegal war und der Einsatzleiter ein Idiot. Macht nix - für Richter Wendel war genau der Polizist als einziges glaubwürdig. Alle anderen Zeugen, von den Angeklagten benannt, hatten weitgehend widerspruchsfreie und weitgehend deckungsgleiche Beobachtungen. Egal - auch bei 1:5 und den klar besseren Aussagen plus mehreren Widersprüchen des Bullenzeugen ist letzterer als einziger die Quelle des Richters Weisheit.

Vorwurf 5: Sprühereien an Gallushalle vor Roland-Koch-Besuch - einziges Beweismittel war ein Schuh, den der Angeklagte am Tag drauf getragen hat. Der widerliche Staatsschutzchef Puff war auch hier Zeuge und ahnte wohl, dass das dünn ist. Daher log er im Prozeß, die Farbspuren auf der Kleidung des Angeklagten mit der Farbe an der Halle übereinstimmten. Der Richter korrigierte ihn, dass das LKA-Gutachten genau das Gegenteil erbracht hätte. Puff mußte das eingestehen, er wußte es auch anders. Macht nix - Puff war für Richter Wendel trotzdem die Glaubwürdigkeit in Person. Der Beweisantrag darauf, daß Schuhe wie vieles andere auch in der Projektwerkstatt Gemeinschaftseigentum sind und von vielen benutzt werden, wurde abgelehnt und der Angeklagte auch dazu verurteilt.

Vorwurf 6: Krönender Abschluß war der Faustschlag der Grünen Gülle - in der Vernehmung sprühte sie vor Hass in Richtung des Angeklagten undagierte ähnlich wie Staatsschutzchef Puff vor allem mit Polemiken gegen die Projektwerkstatt statt mit Antworten auf die Fragen. Theatralisch erzählte sie, wie der Angeklagte sie in einer langen Prozedur eingenäßt hätte und sie dachte, es wäre dessen Urin. Staatsschutz-zweite-Garde KOK Schmitt berichtete auch und erzählte eine ähnliche Story - noch dazu, dass der Angeklagte den Demozug am Stand vorbei angeführt hätte. Das alle anderen Zeugen (auch ein weiterer Bulle) etwas anderes sagten und die Fotos vom Demozug das auch einwandfrei bewiesen, daß der Angeklagte nicht vorne ging, fand Richter Wendel wieder diese besonders glaubwürdig und verurteilte den Angeklagten wegen Beleidigung. Der Angeklagte ließ KOK Schmitt vereidigen. Nun ist zu prüfen, ob ein Meineidsverfahren durchführbar ist. Schmitt gab zu, Fotos entfernt zu haben, "weil darauf nichts zu sehen war". Tatsächlich gab es kein Foto von den spannenden Momenten ... wäre ihm ein Meineid nachzuweisen, wäre er als Bulle raus.

Insgesamt hat der Staatsanwalt nur müde rumgehangen und sich kaumbeteiligt. Offenbar wußte er um das vorher festgelegte Ergebnis, dasser sich nicht engagierte. Er forderte dann 1 Jahr Haft ohne Bewährungbzw. 150 Tagessätze. Die Angeklagten verteidigten sich selbst und sehr offensiv. Die ZeugInnen wurden sehr deutlich mit ihren Märchen zerlegt. Die Plädoyers zum Ende waren lang (ca. 10 und 30 min seitens der Angeklagten) und voller juristischer und politischer Punkte. Der Prozeß lief von 8.30 Uhr bis 19 Uhr. In der Nacht davor wurden zwei Personen festgenommen, darunter ein Angeklagter. Am Tag davor gab es eine Razzia bei einem Auto vor der Projektwerkstatt. Mehrere Personen wurden während des Prozesses aus dem Gerichtssaal entfernt. Eine Person wurde vorübergehend festgenommen. Die Bereitschaftspolizei sichert Herrschaftsgebäude in Gießen. Nach Aussagen von Bullen wird sie das auch noch einige Tage machen müssen.

Bitte keine Solidaritätsadressen, sondern Aktionen! Direct-Action:http://www.direct-action.de.vu Kreative Antirepression: http://www.projektwerkstatt.de/antirepression Antiklerikales Weihnachten in der Projektwerkstatt ab 24.12.
Die nächsten Direct-Action-Workshops usw. wahrscheinlich auf dem Jukssin Darmstadt ab 29.12. (mit dem neuen, genialen Direct-Action-Parcour)Materialien zu Herrschaftsfreiheit, Antiknast, kreative Aktionen usw.:http://www.projektwerkstatt.de/materialien Und hier schon die erstePresse (Gießener Allgemeine - Vortext im Internet, da steht morgen wasanderes drin): Freiheitsstrafe für uneinsichtigen Jörg B.Als der Vorsitzende Richter Michael Wendel am Montagabend um 19.30 Uhrim Amtsgericht das Urteil verkündet, da waren immer noch 50 Beamte inund um das Gebäude im Einsatz, um einen ordnungsgemäßen Verfahrensablauf zu gewährleisten. Im Saal leistete der Richter Schwerstarbeit mit singenden Randalierern und Konfettiwerfern. Aber das Urteil sollte gesprochen werden, und es war eine bittere Pille für den Mann, der sich auf die Frage nach seiner Profession als Berufsrevolutionär bezeichnet hatte. Die Revolution wird etwas warten müssen, denn B. wurde zu neun Monaten Freiheitsstrafe verurteilt. Und ebenso wie Staatsanwalt Martin Vaupel sah der Richter nicht die Voraussetzungen, die Strafe zur Bewährung auszusetzen.


Polizeipresse Gießen zu Aktionen in letzten Tagen:

Gießen (ots) - Festnahme nach Sachbeschädigung Gießen: In der Nacht zum Montag, dem 15.12.03, gegen 0.20 Uhr, wurden ein 22-jähriger Mann und eine 35-jährige Frau in der Katharinengasse angetroffen, als sie Flyer an Telefonzellen und Ruhebänken aufklebten. Die beiden wurdenfestgenomme, ins Gewahrsam eingesetzt und heute Morgen wieder entlassen.

Sachbeschädigung Grünberg: Am Sonntag, dem 14.12.03, zwischen 15.00 Uhr und 17.00 Uhr, wurde das Gebäude der Polizeistation und die Gallushalle mit schwarzer Farbe besprüht. Die Schadenshöhe steht noch nicht fest.
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Ergänzungen

Diese Wiederholung wohl ein Versehen...

indyfan 18.12.2003 - 07:20
@Mods:
Dieser Text stand neulich schon mal im openposting und ist auch auf der Startseite noch verlinkt. Siehe:  http://de.indymedia.org/2003/12/70184.shtml
Es ist wohl ein Versehen, dass er jetzt noch mal hier reingerutscht ist.
Ich denke, man sollte alles, was das unersetzbare indy unübersichtlich und langsam macht, konsequent weglöschen - und somit auch diese Dopplung.
Dennoch: Solidarische Grüße an die Betroffenen!

Farbe in Giessen

AbwehrspielerIn der Ordnung 21.12.2003 - 14:53
Auch in Giessen hat es eine erneute Attacke auf ein öffentliches Gebäude gegeben ... trotz aller Polizeipräsenz in der Stadt. An der Licher Straße ist sinngemäß zu lesen: Gegen Justiz, Polizei und alle Recht-Extremisten!

Farbe in Magdeburg

Mrs. X 21.12.2003 - 17:13

Treffen am Dienstag, den 13.1.

Projektwerkstätti 24.12.2003 - 15:58
Am Dienstag, den 13.1.2004, findet ab 20 Uhr im Infoladen, Alter Wetzlarer Weg 44, ein Treffen statt zum Prozeß und zu Aktivitäten in den nächsten Monaten zu Law and Order, öffentlicher Raum usw. Es besteht dabei die Hoffnung, wieder zu mehr Kooperation zwischen den verschiedenen Gruppen in und um Gießen zu kommen und langfristige wie auch spontane Aktionen zu entwickeln.
Wäre nett, wenn viele kommen - mit oder ohne eigene Ideen ... und das alles noch weitererzählt wird.

Guido Tamme in Hochform

verallgemeinerteR 12.01.2004 - 19:15
Oberhetzer Guido Tamme, Chefredakteur der Stadtredation der Gießener Allgemeinen, hat auch was zum Prozeß geschrieben:

... immer noch Ursache und Wirkung verwechselt.
Nicht passieren kann das bei einem Enddreißiger, der irgendwann einmal den Anschluss an das Berufsleben verpasst hat und sich nun als selbsternannter "Berufsrevolutionär" durchs Leben schlägt. In dieser Woche stand er wieder einmal vor Gericht, weil er einen Polizisten ins Gesicht getreten und sich auch sonst mehrfach daneben benommen hat. Da der Saasener bei der hiesigen Justiz keinen Kredit mehr hat, setzte es diesmal eine Freiheitsstrafe "ohne". Mindestens volkswirtschaftlich sinnvoller als die neun Monate Knast wäre allerdings, hätte er zu mehreren Hundert gemeinnützige Arbeitsstunden verurteilt werden können. Beispielsweise zwecks Beseitigung der jüngsten Schmierereien am Amtsgericht. Die Polizei jedenfalls sieht den Unbelehrbaren und einige seiner Getreuen als dringend tatverdächtigt an - auch für die nächtliche Zerstörung von Türschlössern.
(Giessener Allgemeine, 20.12.2003, S. 26; Autor: Guido Tamme)

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