GATS: Viele Gründe dagegen zu sein
Vom 10. bis 14. September findet im mexikanischen Cancun die Konferenz der Welthandelsorganisation (WTO) statt. Viele Basisbewegungen weltweit bereiten Aktionen vor. Unter den fiesen Plänen die in Cancun diskutiert werden sollen ist das GATS, das Allgemeine Abkommen über den Handel mit Dienstleistungen. Nachfolgend einige Gründe, warum auch sehr viele Frauen absolut gegen GATS sind.
Viele gute Gründe für Frauen gegen GATS zu sein
Warum sind wir gegen das GATS? Warum kämpfen wir dafür, dass die elementare Daseinsvorsorge nicht unter das Regime der WTO fällt?
Es gibt mindestens zehn gute Gründe, gegen GATS zu sein. Vor allem für Frauen. Denn sie sind in allen Gesellschaften die wichtigsten Dienstleisterinnen und Daseinsvorsorgerinnen.
1) Wir sind gegen GATS und die Privatisierung öffentlicher Daseinsvorsorge, weil sie schulische und medizinische Versorgung, Pflege im Alter, Wasser, Strom, Kultur, Mobilität zu Waren auf dem Weltmarkt machen wie Autos, Maschinen und Computer. Die Daseinsvorsorge lässt sich nicht in einen Supermarkt von Produkten und Dienstleistungen zerlegen. Bildung, Gesundheit, Wasser, soziale Sicherheit und Sicherheit im Alter sind öffentliche Güter, stellen das gemeinschaftliche Wohl einer Gesellschaft dar, ihre menschlichen und sozialen Kapazitäten und Entwicklungspotentiale. Auf diese öffentlichen Güter haben alle Gesellschaftsmitglieder einen menschenrechtlichen und bürgerschaftlichen Anspruch. GATS verwandelt öffentliche Güter in Waren und höhlt damit soziale Grundrechte aus. Sein Ziel ist nicht, öffentliche Güter allen zugänglich zu machen, weil sie ein Anrecht darauf haben, sondern sie werden denen zugänglich gemacht, die die Kaufkraft haben. Versorgung fließt dahin, wo das Geld ist, nicht dahin wo Bedürftigkeit und ein Rechtsanspruch sind. Das ist Kommerzialisierung von Versorgung.
2) Wir sind gegen GATS, weil durch die Liberalisierung und Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen nicht die Versorgung aller Gesellschaftsmitglieder geleistet wird. Die Schwachen ziehen den Kürzeren. Denn GATS knackt das Solidarprinzip. Wird die Grundversorgung aus Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen finanziert, dann findet eine Umverteilung, eine Quersubventionierung statt zwischen Gesunden und Kranken, Jungen und Alten, besser und schlechter Verdienenden, Erwerbstätigen und Erwerbslosen. Die Privatisierung, die Appelle an Eigenverantwortlichkeit und der Zwang zur privaten Versicherung setzen an die Stelle der Solidarität die individuelle Leistungsfähigkeit und die individuelle Kaufkraft. GATS torpediert das Solidarprinzip und schafft statt Versorgungsausgleich Versorgungsungleichheit und Versorgungsunsicherheit für die Schwachen, denen die Kaufkraft fehlt. Durch das Auskonkurrieren und Austrocknen des öffentlichen Sektors führt GATS zu einer Polarisierung des Angebots und einem Zwei-Klassen-System der Versorgung: auf der einen Seite die privatwirtschaftliche, gut ausgestattete Versorgung, die teuer bezahlt werden muss, und auf der andern Seite die schrumpfende und zunehmend schlechte öffentliche Versorgung. Frauen sind in besonderem Maße auf erschwingliche öffentliche Grundversorgung angewiesen und leiden deshalb auch besonders unter Verknappung öffentlicher Mittel und der entsprechenden Verschlechterung öffentlicher Versorgung.
3) Wir sind gegen GATS, weil Liberalisierung alle Angebote von Daseinsvorsorge unter Konkurrenzdruck stellt. Öffentliche und private Anbieter auf dem Dienstleistungsmarkt sind aber umso wettbewerbsfähiger, je niedriger sie ihre Lohnkosten halten und je mehr sie die Arbeitsintensität erhöhen. Sparen können sie, wenn sie verschlanken, d.h. entlassen oder Beschäftigung informalisieren, flexibilisieren oder auslagern, z.B. in Billig-Jobs und unsichere Teilzeit- und Abrufarbeit verwandeln. Dies trifft Frauen, vor allem Geringqualifizierte als erste. Der Konkurrenzdruck forciert die derzeitige Informalisierung und Deregulierung von Arbeit, das Outsourcing und die Fragmentierung von Arbeit und insgesamt den Arbeitsstress. Das gilt nicht nur für Privatunternehmen, sondern auch für den öffentlichen Sektor. Dabei sind Staat und Kommunen nicht nur wichtige Arbeitgeber für Frauen, sondern auch diejenigen, die die meisten Gleichstellungsmaßnahmen durchführten. Die Privatwirtschaft lässt sich keine Frauenförderauflage und keine Quote vorschreiben. Dort gelten sie als wettbewerbsverzerrend.
Auch die Frauen, die gezwungen sind, sich selbst einen Arbeitsplatz zu schaffen, indem sie sich in eine dienstleistende Ich-AG verwandeln, sind nur konkurrenzfähig, wenn sie ihre Arbeitskraft extrem billig anbieten.
Die WTO spricht von wunderbaren Beschäftigungseffekten durch GATS. Ja, es wird im Dienstleistungsbereich mehr ungeschützte, schlechtbezahlte Jobs geben. Dafür aber weniger sichere, rechtlich geschützte und existenzsichernde Beschäftigung. Im Gegenteil: der Druck auf die Lohnkosten wächst. Und diese Entwicklung findet zu einem großen Teil auf dem Rücken dienstleistender Frauen statt.
4) Wir sind gegen GATS und die Liberalisierung öffentlicher Daseinsvorsorge, weil da, wo Gesundheit, Bildung, Wasser, soziale Dienste kommerziell vermarktet werden, rationalisiert und effizienz- und produktivitätssteigernd gearbeitet werden muss. Denn das bringt Gewinne. Personenbezogene Dienstleistungen, Sorge- und Pflegearbeit lassen sich jedoch nur beschränkt rationalisieren. Effizienz und Produktivitätssteigerung haben ihre Grenze an der Menschlichkeit. Körperpflege, Erziehung, Zuwendung sind nun einmal nicht grenzenlos zu beschleunigen. Unter dem Diktat der Wirtschaftlichkeit wird deshalb versucht, das Fürsorgliche aus der bezahlten Ökonomie herauszukatapultieren. Genau dies ist aber zum größten Teil Frauenarbeit. Das bedeutet, Frauen verlieren bezahlte Jobs. Genau die Pflege, Sorge und Dienstleistung, die aus dem Erwerbsmarkt herausgedrängt wird, übernehmen wiederum Frauen in ihre unbezahlte Arbeitsökonomie, indem sie z.B. Familienangehörige zu Hause pflegen, die nach Operationen ?standardisiert? entlassen werden. D.h. Liberalisierung und Effizienzorientierung in den Dienstleistungen verschieben Arbeit aus dem bezahlten in den unbezahlten Bereich. Frauen haben weniger existenzsichernde Jobs und mehr unbezahlte Arbeit.
5) Wir sind gegen GATS und die Liberalisierung der Daseinsvorsorge, weil das oberste Ziel privatwirtschaftlicher Service-Anbieter Rentabilität ist, dem sie andere Ziele unterordnen müssen. Sie investieren in Bereiche, wo sie Gewinne machen können. Die unrentablen überlassen sie der öffentlichen Hand. So steigen z.B. die Service-Konzerne vorzugsweise in den Stadtvierteln in die Wasserversorgung ein, wo zahlungsfähige Kundschaft wohnt. Private Krankenversicherer umwerben Kunden mit geringem Risiko und hohem Einkommen. Frauen stellen wegen ihrer längeren Lebenserwartungen ein hohes Risiko dar und müssen mehr als Männer zahlen. Diese handverlesenen Unternehmensstrategien nennt man Rosinenpickerei. Das Ziel der Rentabilität bestimmt aber nicht nur die Investition und die Zielgruppe, sondern auch die Dienstleistung selbst: Quantität hat Vorrang vor Qualität. Möglichst viele Operationen mit Einsatz teurer Apparatemedizin, möglichst viel Energie, egal ob unökologisch, Wasserversorgung ohne Rücksicht auf Qualität und Verluste, sprich: ohne Interesse am Ressourcensparen, denn das würde ein kostenaufwendiges Flicken von Wasserleitungen erfordern. Rentabilität fordert ihren sozialen und ökologischen Preis. Deswegen ist die elementare Daseinsvorsorge der denkbar schlechteste Ort für Profitmacherei.
6) Wir sind gegen GATS, weil es nur um ökonomische Gewinne geht ohne Rücksicht auf soziale Verluste und Folgen. Entsprechend enthält GATS keine Spur von Geschlechtersensibilität oder Geschlechtergerechtigkeit. Beispiel: die weitere Liberalisierung der Tourismusbranche. Es wird nicht reflektiert, dass forcierter Ferntourismus zu einem Teil aus Sextourismus besteht, der auf einem wachsenden Angebot von Prostituierten beruht und dass dies ein von den Regierungen der Länder wohlkalkulierter Posten in Wachstumsstrategien ist. Ein anderes Beispiel für die soziale Ignoranz von GATS ist die befristete Arbeitsmigration hochqualifizierter Arbeitskräfte. Nur der ökonomische Gewinn durch ihre Rücküberweisungen ist im Blick, nicht aber der Verlust, den der Abzug qualifizierter Kräfte z.B. aus dem Medizinbereich für die Versorgung in den Ländern des Südens bedeutet. Aus demselben wirtschaftlichen Grund - Rücküberweisungen - fordern Regierungen des Südens, dass auch die zeitweise Arbeitsmigration von weniger Qualifizierten unter GATS fallen soll. Dies wäre eine Art Freibrief für private Agenturen, Arbeitsvermittler und Schlepper, die Frauen in miese Jobs, in Ausbeutungsverhältnisse und in die Prostitution handeln. Darüber macht GATS sich keine Gedanken. Es ist sozial- und gender-blind.
7) Wir sind gegen GATS, weil wir nicht glauben, dass Liberalisierung des Dienstleistungssektors den Ländern des Süden große Wohlstandsgewinne bringen und die Armut beseitigen wird. Im Gegenteil: die bisherige Liberalisierung und Privatisierung im öffentlichen Sektor hat jedoch gezeigt, dass die negativen Auswirkungen bei weitem überwiegen. Der Handel mit Dienstleistungen ist - mit Ausnahme des Tourismus - vor allem ein Revier der Industrienationen. Die EU macht keinen Hehl daraus, dass Dienstleistungsexport europäischer Konzerne ihr wichtigstes Ziel ist und nennt GATS ?vor allem ein Instrument zum Wohle der Unternehmen.? Unternehmen aus den OECD-Ländern profitieren am meisten von der Liberalisierung. Die WTO sagt, die Länder des Südens könnten sich frei entscheiden, was und wo sie liberalisieren wollen. Dabei weiß sie nur zu gut um die realen Machtverhältnisse zwischen den OECD-Ländern und den verschuldeten, krisengeplagten Ländern des Südens. Sie werden derzeit in bilateralen Verhandlungen massiv unter Druck gesetzt. Wir fürchten aber auch, dass die Regierungen des Südens nur an ökonomischen Gewinnen interessiert sind, und sich um den sozialen Preis, den z.B. Frauen zahlen, keinen Deut kümmern.
8) Wir sind gegen GATS, weil es wie alle Liberalisierungsabkommen der WTO ein Schlag ins Gesicht der Demokratie ist. Verhandlungen, die tief in nationale Politiken, das Gemeinwohl, öffentliche Güter und das Wohlergehen der Einzelnen einschneiden, finden hinter verschlossenen Türen statt und werden nicht transparent gemacht. So verhandelt die EU stellvertretend für ihre Mitgliedsstaaten, ohne nationale Parlamente und die Öffentlichkeit an den Entscheidungen zu beteiligen. Die wichtigsten Entscheidungen werden in sog. Green Rooms durch die OECD-Staaten und die Regierungen von Schwellen- oder Großmarktländern ausgekungelt. Die kleineren, schwachen Staaten des Südens und Ostens bleiben ausgeschlossen und haben auch gar nicht die Ressourcen und Kapazitäten, an den Unmengen von Verhandlungen teilzunehmen. Dagegen verstärkten Großkonzerne wie die europäischen, us-amerikanischen und japanischen Service-Anbieter ihre Lobbykapazitäten und konnten ihre Interessen punktgenau ins Spiel bringen.
Auch jetzt werden genauere Informationen über Forderungen und Angebote der Regierungen geheimgehalten und als vertraulich deklariert, geplante Verhandlungsschritte werden nicht rechtzeitig offengelegt und die Kritik sozialer Bewegungen und ihre Forderungen bleiben unberücksichtigt. Beispiel: Nachdem infolge massiver öffentlicher Proteste in der bolivianischen Stadt Cochabamba die Privatisierung der Wasserversorgung rückgängig gemacht wurde und dadurch die ablehnende Haltung der Bevölkerung überdeutlich wurde, fordert die EU nun gerade von Bolivien eine Liberalisierung des Wassersektors. Deshalb sind auch die Konsultationen, die die EU-Kommission und einzelne Regierungen jetzt durchführen, eine demokratische Farce.
9) Wir sind gegen GATS, weil das Abkommen Teil einer ?progressiven Liberalisierung? ist. Zwar hat die EU derzeit keine Angebote zur Liberalisierung in den Bereichen Bildung, Gesundheit und audiovisuelle Dienstleistungen gemacht. Sie weist aber selbst darauf hin, dass das bisherige Angebot modifiziert werden kann und wird. Liberalisierung und Privatisierung sind schrittweise und schleichende Prozesse. Das zeigt sich auch darin, dass GATS ein klammheimliches neues Investitionsabkommen ist, das die Investorenrechte gegenüber den Ländern stärkt und ihre Regulierungsrechte schwächt, weil nachgewiesen werden muss, dass sie keine Handelsbarrieren darstellen. Dass auch hier das Ziel ?unsere eigenen europäischen Interessen offensiv zu fördern? für die EU politikleitend ist, zeigt sich daran, dass die EU derzeit von 72 Ländern Liberalisierung im Wassersektor fordert, aber selbst keine anbietet, um das europäische Terrain europäischen Konzernen zu überlassen.
10) Wir sind auch gegen GATS, weil es die Zukunft verbaut. Denn GATS ist eine Einbahnstraße oder auch eine Falle. Es ist schier unmöglich, einmal durchgeführte Liberalisierungen wieder rückgängig zu machen oder zeitlich befristet auszusetzen, z.B. in Not- oder Krisensituationen oder bei einem Regierungswechsel. Damit ist GATS ein wirtschaftliches Herrschaftsinstrument mit einem eigenen Regel- und Rechtssystem, das sich die Demokratie und national-staatliche Souveränität mit ihren Rechts- und Regelsysteme unterordnet. Soziale und ökologische Standards, Umwelt und Verbraucherschutz können als ?unnötige Handelshemmnisse? abgestraft werden.
Wir beharren darauf, dass solche Qualitätsstandards nicht durch WTO-Recht ausgehebelt werden dürfen. Soziale und Geschlechtergerechtigkeit, Vorsorge, Umweltschutz; Menschenrechte und Menschlichkeit müssen Vorrang vor Handelsrecht haben.
Wir pochen zum einen auf das demokratische Recht aller BürgerInnen, informiert zu werden, Widerstand leisten und demokratisch mitentscheiden zu können. Die bereits übermittelten Forderungen und Angebote der EU müssen zurückgezogen werden, denn sie kamen ohne öffentliche Beteiligung zustande. Darüber hinaus sind wir der Meinung, dass die öffentliche Grundversorgung demokratischen Entscheidungen und dem Subsidiaritätsprinzip unterliegen sollte, d.h. so lokal wie möglich erfolgen soll. Gemeinden und Gesellschaften müssen autonom zu jeder Zeit neu entscheiden können, wie sie ihre öffentlichen Dienste organisieren. Niemand und nichts darf zu Liberalisierung und Privatisierung gezwungen werden.
Kein Zweifel, dass der öffentliche Sektor reformiert werden muss, dass er oft ineffizient, marode und korrupt ist, und dass es ihm vor allem in den Ländern des Südens nicht gelingt, die Grundrechte und Daseinsvorsorge aller Gesellschaftsmitglieder zu sichern. Aber GATS und Privatisierung sind nicht der richtige Weg dazu. Wir müssen Alternativen suchen und dabei das Soziale und die Solidarität neu erfinden. Dazu brauchen wir kein GATS. Deswegen werden wir weiter gegen GATS und für sozial- und geschlechtergerechte Alternativen kämpfen.
Christa Wichterich
Warum sind wir gegen das GATS? Warum kämpfen wir dafür, dass die elementare Daseinsvorsorge nicht unter das Regime der WTO fällt?
Es gibt mindestens zehn gute Gründe, gegen GATS zu sein. Vor allem für Frauen. Denn sie sind in allen Gesellschaften die wichtigsten Dienstleisterinnen und Daseinsvorsorgerinnen.
1) Wir sind gegen GATS und die Privatisierung öffentlicher Daseinsvorsorge, weil sie schulische und medizinische Versorgung, Pflege im Alter, Wasser, Strom, Kultur, Mobilität zu Waren auf dem Weltmarkt machen wie Autos, Maschinen und Computer. Die Daseinsvorsorge lässt sich nicht in einen Supermarkt von Produkten und Dienstleistungen zerlegen. Bildung, Gesundheit, Wasser, soziale Sicherheit und Sicherheit im Alter sind öffentliche Güter, stellen das gemeinschaftliche Wohl einer Gesellschaft dar, ihre menschlichen und sozialen Kapazitäten und Entwicklungspotentiale. Auf diese öffentlichen Güter haben alle Gesellschaftsmitglieder einen menschenrechtlichen und bürgerschaftlichen Anspruch. GATS verwandelt öffentliche Güter in Waren und höhlt damit soziale Grundrechte aus. Sein Ziel ist nicht, öffentliche Güter allen zugänglich zu machen, weil sie ein Anrecht darauf haben, sondern sie werden denen zugänglich gemacht, die die Kaufkraft haben. Versorgung fließt dahin, wo das Geld ist, nicht dahin wo Bedürftigkeit und ein Rechtsanspruch sind. Das ist Kommerzialisierung von Versorgung.
2) Wir sind gegen GATS, weil durch die Liberalisierung und Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen nicht die Versorgung aller Gesellschaftsmitglieder geleistet wird. Die Schwachen ziehen den Kürzeren. Denn GATS knackt das Solidarprinzip. Wird die Grundversorgung aus Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen finanziert, dann findet eine Umverteilung, eine Quersubventionierung statt zwischen Gesunden und Kranken, Jungen und Alten, besser und schlechter Verdienenden, Erwerbstätigen und Erwerbslosen. Die Privatisierung, die Appelle an Eigenverantwortlichkeit und der Zwang zur privaten Versicherung setzen an die Stelle der Solidarität die individuelle Leistungsfähigkeit und die individuelle Kaufkraft. GATS torpediert das Solidarprinzip und schafft statt Versorgungsausgleich Versorgungsungleichheit und Versorgungsunsicherheit für die Schwachen, denen die Kaufkraft fehlt. Durch das Auskonkurrieren und Austrocknen des öffentlichen Sektors führt GATS zu einer Polarisierung des Angebots und einem Zwei-Klassen-System der Versorgung: auf der einen Seite die privatwirtschaftliche, gut ausgestattete Versorgung, die teuer bezahlt werden muss, und auf der andern Seite die schrumpfende und zunehmend schlechte öffentliche Versorgung. Frauen sind in besonderem Maße auf erschwingliche öffentliche Grundversorgung angewiesen und leiden deshalb auch besonders unter Verknappung öffentlicher Mittel und der entsprechenden Verschlechterung öffentlicher Versorgung.
3) Wir sind gegen GATS, weil Liberalisierung alle Angebote von Daseinsvorsorge unter Konkurrenzdruck stellt. Öffentliche und private Anbieter auf dem Dienstleistungsmarkt sind aber umso wettbewerbsfähiger, je niedriger sie ihre Lohnkosten halten und je mehr sie die Arbeitsintensität erhöhen. Sparen können sie, wenn sie verschlanken, d.h. entlassen oder Beschäftigung informalisieren, flexibilisieren oder auslagern, z.B. in Billig-Jobs und unsichere Teilzeit- und Abrufarbeit verwandeln. Dies trifft Frauen, vor allem Geringqualifizierte als erste. Der Konkurrenzdruck forciert die derzeitige Informalisierung und Deregulierung von Arbeit, das Outsourcing und die Fragmentierung von Arbeit und insgesamt den Arbeitsstress. Das gilt nicht nur für Privatunternehmen, sondern auch für den öffentlichen Sektor. Dabei sind Staat und Kommunen nicht nur wichtige Arbeitgeber für Frauen, sondern auch diejenigen, die die meisten Gleichstellungsmaßnahmen durchführten. Die Privatwirtschaft lässt sich keine Frauenförderauflage und keine Quote vorschreiben. Dort gelten sie als wettbewerbsverzerrend.
Auch die Frauen, die gezwungen sind, sich selbst einen Arbeitsplatz zu schaffen, indem sie sich in eine dienstleistende Ich-AG verwandeln, sind nur konkurrenzfähig, wenn sie ihre Arbeitskraft extrem billig anbieten.
Die WTO spricht von wunderbaren Beschäftigungseffekten durch GATS. Ja, es wird im Dienstleistungsbereich mehr ungeschützte, schlechtbezahlte Jobs geben. Dafür aber weniger sichere, rechtlich geschützte und existenzsichernde Beschäftigung. Im Gegenteil: der Druck auf die Lohnkosten wächst. Und diese Entwicklung findet zu einem großen Teil auf dem Rücken dienstleistender Frauen statt.
4) Wir sind gegen GATS und die Liberalisierung öffentlicher Daseinsvorsorge, weil da, wo Gesundheit, Bildung, Wasser, soziale Dienste kommerziell vermarktet werden, rationalisiert und effizienz- und produktivitätssteigernd gearbeitet werden muss. Denn das bringt Gewinne. Personenbezogene Dienstleistungen, Sorge- und Pflegearbeit lassen sich jedoch nur beschränkt rationalisieren. Effizienz und Produktivitätssteigerung haben ihre Grenze an der Menschlichkeit. Körperpflege, Erziehung, Zuwendung sind nun einmal nicht grenzenlos zu beschleunigen. Unter dem Diktat der Wirtschaftlichkeit wird deshalb versucht, das Fürsorgliche aus der bezahlten Ökonomie herauszukatapultieren. Genau dies ist aber zum größten Teil Frauenarbeit. Das bedeutet, Frauen verlieren bezahlte Jobs. Genau die Pflege, Sorge und Dienstleistung, die aus dem Erwerbsmarkt herausgedrängt wird, übernehmen wiederum Frauen in ihre unbezahlte Arbeitsökonomie, indem sie z.B. Familienangehörige zu Hause pflegen, die nach Operationen ?standardisiert? entlassen werden. D.h. Liberalisierung und Effizienzorientierung in den Dienstleistungen verschieben Arbeit aus dem bezahlten in den unbezahlten Bereich. Frauen haben weniger existenzsichernde Jobs und mehr unbezahlte Arbeit.
5) Wir sind gegen GATS und die Liberalisierung der Daseinsvorsorge, weil das oberste Ziel privatwirtschaftlicher Service-Anbieter Rentabilität ist, dem sie andere Ziele unterordnen müssen. Sie investieren in Bereiche, wo sie Gewinne machen können. Die unrentablen überlassen sie der öffentlichen Hand. So steigen z.B. die Service-Konzerne vorzugsweise in den Stadtvierteln in die Wasserversorgung ein, wo zahlungsfähige Kundschaft wohnt. Private Krankenversicherer umwerben Kunden mit geringem Risiko und hohem Einkommen. Frauen stellen wegen ihrer längeren Lebenserwartungen ein hohes Risiko dar und müssen mehr als Männer zahlen. Diese handverlesenen Unternehmensstrategien nennt man Rosinenpickerei. Das Ziel der Rentabilität bestimmt aber nicht nur die Investition und die Zielgruppe, sondern auch die Dienstleistung selbst: Quantität hat Vorrang vor Qualität. Möglichst viele Operationen mit Einsatz teurer Apparatemedizin, möglichst viel Energie, egal ob unökologisch, Wasserversorgung ohne Rücksicht auf Qualität und Verluste, sprich: ohne Interesse am Ressourcensparen, denn das würde ein kostenaufwendiges Flicken von Wasserleitungen erfordern. Rentabilität fordert ihren sozialen und ökologischen Preis. Deswegen ist die elementare Daseinsvorsorge der denkbar schlechteste Ort für Profitmacherei.
6) Wir sind gegen GATS, weil es nur um ökonomische Gewinne geht ohne Rücksicht auf soziale Verluste und Folgen. Entsprechend enthält GATS keine Spur von Geschlechtersensibilität oder Geschlechtergerechtigkeit. Beispiel: die weitere Liberalisierung der Tourismusbranche. Es wird nicht reflektiert, dass forcierter Ferntourismus zu einem Teil aus Sextourismus besteht, der auf einem wachsenden Angebot von Prostituierten beruht und dass dies ein von den Regierungen der Länder wohlkalkulierter Posten in Wachstumsstrategien ist. Ein anderes Beispiel für die soziale Ignoranz von GATS ist die befristete Arbeitsmigration hochqualifizierter Arbeitskräfte. Nur der ökonomische Gewinn durch ihre Rücküberweisungen ist im Blick, nicht aber der Verlust, den der Abzug qualifizierter Kräfte z.B. aus dem Medizinbereich für die Versorgung in den Ländern des Südens bedeutet. Aus demselben wirtschaftlichen Grund - Rücküberweisungen - fordern Regierungen des Südens, dass auch die zeitweise Arbeitsmigration von weniger Qualifizierten unter GATS fallen soll. Dies wäre eine Art Freibrief für private Agenturen, Arbeitsvermittler und Schlepper, die Frauen in miese Jobs, in Ausbeutungsverhältnisse und in die Prostitution handeln. Darüber macht GATS sich keine Gedanken. Es ist sozial- und gender-blind.
7) Wir sind gegen GATS, weil wir nicht glauben, dass Liberalisierung des Dienstleistungssektors den Ländern des Süden große Wohlstandsgewinne bringen und die Armut beseitigen wird. Im Gegenteil: die bisherige Liberalisierung und Privatisierung im öffentlichen Sektor hat jedoch gezeigt, dass die negativen Auswirkungen bei weitem überwiegen. Der Handel mit Dienstleistungen ist - mit Ausnahme des Tourismus - vor allem ein Revier der Industrienationen. Die EU macht keinen Hehl daraus, dass Dienstleistungsexport europäischer Konzerne ihr wichtigstes Ziel ist und nennt GATS ?vor allem ein Instrument zum Wohle der Unternehmen.? Unternehmen aus den OECD-Ländern profitieren am meisten von der Liberalisierung. Die WTO sagt, die Länder des Südens könnten sich frei entscheiden, was und wo sie liberalisieren wollen. Dabei weiß sie nur zu gut um die realen Machtverhältnisse zwischen den OECD-Ländern und den verschuldeten, krisengeplagten Ländern des Südens. Sie werden derzeit in bilateralen Verhandlungen massiv unter Druck gesetzt. Wir fürchten aber auch, dass die Regierungen des Südens nur an ökonomischen Gewinnen interessiert sind, und sich um den sozialen Preis, den z.B. Frauen zahlen, keinen Deut kümmern.
8) Wir sind gegen GATS, weil es wie alle Liberalisierungsabkommen der WTO ein Schlag ins Gesicht der Demokratie ist. Verhandlungen, die tief in nationale Politiken, das Gemeinwohl, öffentliche Güter und das Wohlergehen der Einzelnen einschneiden, finden hinter verschlossenen Türen statt und werden nicht transparent gemacht. So verhandelt die EU stellvertretend für ihre Mitgliedsstaaten, ohne nationale Parlamente und die Öffentlichkeit an den Entscheidungen zu beteiligen. Die wichtigsten Entscheidungen werden in sog. Green Rooms durch die OECD-Staaten und die Regierungen von Schwellen- oder Großmarktländern ausgekungelt. Die kleineren, schwachen Staaten des Südens und Ostens bleiben ausgeschlossen und haben auch gar nicht die Ressourcen und Kapazitäten, an den Unmengen von Verhandlungen teilzunehmen. Dagegen verstärkten Großkonzerne wie die europäischen, us-amerikanischen und japanischen Service-Anbieter ihre Lobbykapazitäten und konnten ihre Interessen punktgenau ins Spiel bringen.
Auch jetzt werden genauere Informationen über Forderungen und Angebote der Regierungen geheimgehalten und als vertraulich deklariert, geplante Verhandlungsschritte werden nicht rechtzeitig offengelegt und die Kritik sozialer Bewegungen und ihre Forderungen bleiben unberücksichtigt. Beispiel: Nachdem infolge massiver öffentlicher Proteste in der bolivianischen Stadt Cochabamba die Privatisierung der Wasserversorgung rückgängig gemacht wurde und dadurch die ablehnende Haltung der Bevölkerung überdeutlich wurde, fordert die EU nun gerade von Bolivien eine Liberalisierung des Wassersektors. Deshalb sind auch die Konsultationen, die die EU-Kommission und einzelne Regierungen jetzt durchführen, eine demokratische Farce.
9) Wir sind gegen GATS, weil das Abkommen Teil einer ?progressiven Liberalisierung? ist. Zwar hat die EU derzeit keine Angebote zur Liberalisierung in den Bereichen Bildung, Gesundheit und audiovisuelle Dienstleistungen gemacht. Sie weist aber selbst darauf hin, dass das bisherige Angebot modifiziert werden kann und wird. Liberalisierung und Privatisierung sind schrittweise und schleichende Prozesse. Das zeigt sich auch darin, dass GATS ein klammheimliches neues Investitionsabkommen ist, das die Investorenrechte gegenüber den Ländern stärkt und ihre Regulierungsrechte schwächt, weil nachgewiesen werden muss, dass sie keine Handelsbarrieren darstellen. Dass auch hier das Ziel ?unsere eigenen europäischen Interessen offensiv zu fördern? für die EU politikleitend ist, zeigt sich daran, dass die EU derzeit von 72 Ländern Liberalisierung im Wassersektor fordert, aber selbst keine anbietet, um das europäische Terrain europäischen Konzernen zu überlassen.
10) Wir sind auch gegen GATS, weil es die Zukunft verbaut. Denn GATS ist eine Einbahnstraße oder auch eine Falle. Es ist schier unmöglich, einmal durchgeführte Liberalisierungen wieder rückgängig zu machen oder zeitlich befristet auszusetzen, z.B. in Not- oder Krisensituationen oder bei einem Regierungswechsel. Damit ist GATS ein wirtschaftliches Herrschaftsinstrument mit einem eigenen Regel- und Rechtssystem, das sich die Demokratie und national-staatliche Souveränität mit ihren Rechts- und Regelsysteme unterordnet. Soziale und ökologische Standards, Umwelt und Verbraucherschutz können als ?unnötige Handelshemmnisse? abgestraft werden.
Wir beharren darauf, dass solche Qualitätsstandards nicht durch WTO-Recht ausgehebelt werden dürfen. Soziale und Geschlechtergerechtigkeit, Vorsorge, Umweltschutz; Menschenrechte und Menschlichkeit müssen Vorrang vor Handelsrecht haben.
Wir pochen zum einen auf das demokratische Recht aller BürgerInnen, informiert zu werden, Widerstand leisten und demokratisch mitentscheiden zu können. Die bereits übermittelten Forderungen und Angebote der EU müssen zurückgezogen werden, denn sie kamen ohne öffentliche Beteiligung zustande. Darüber hinaus sind wir der Meinung, dass die öffentliche Grundversorgung demokratischen Entscheidungen und dem Subsidiaritätsprinzip unterliegen sollte, d.h. so lokal wie möglich erfolgen soll. Gemeinden und Gesellschaften müssen autonom zu jeder Zeit neu entscheiden können, wie sie ihre öffentlichen Dienste organisieren. Niemand und nichts darf zu Liberalisierung und Privatisierung gezwungen werden.
Kein Zweifel, dass der öffentliche Sektor reformiert werden muss, dass er oft ineffizient, marode und korrupt ist, und dass es ihm vor allem in den Ländern des Südens nicht gelingt, die Grundrechte und Daseinsvorsorge aller Gesellschaftsmitglieder zu sichern. Aber GATS und Privatisierung sind nicht der richtige Weg dazu. Wir müssen Alternativen suchen und dabei das Soziale und die Solidarität neu erfinden. Dazu brauchen wir kein GATS. Deswegen werden wir weiter gegen GATS und für sozial- und geschlechtergerechte Alternativen kämpfen.
Christa Wichterich
Indymedia ist eine Veröffentlichungsplattform, auf der jede und jeder selbstverfasste Berichte publizieren kann. Eine Überprüfung der Inhalte und eine redaktionelle Bearbeitung der Beiträge finden nicht statt. Bei Anregungen und Fragen zu diesem Artikel wenden sie sich bitte direkt an die Verfasserin oder den Verfasser.
(Moderationskriterien von Indymedia Deutschland)
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Ergänzungen
siehe auch: http://www.stopwto.tk
Radiosendung über GATS
zu punkt 10
ONE SOLUTION - REVOLUTION!!
"GATS verwandelt öffentliche Güter in Waren"
GATS und Softwarepatente
Aktion
Gefährlich wird GATS aber nicht durch die Privatisierung an sich, sondern durch die Mechanismen, die es festschreibt.
So steht der Abbau von Handelshemmnissen im Vorderung. Das können aber auch Sozialstandards oder Umweltschutzrichtlinien sein.
Weiteres Problem ... die Nicht-Diskriminierungsklausel. Klingt erstmal ganz nett, ist aber problematisch. Läßt man in einem Naturschutzgebiet meinetwegen zwei Hotels zu und sagt dann, das reicht, mehr Touries verträgt das Gebiet nicht, so ist das eine Diskriminierung aller anderen Anbieter, die da Hotels bauen möchten und damit laut GATS nicht zulässig.
Unumkehrbarkeit. Einmal abgebaute Einschränkungen dürfen nicht wieder eingeführt werden. Wurde also z. B. einmal die Trinkwasserversorgung privatisiert und das ganze läuft irgendwie schief und das Volk möchte das rückgängig machen (es gibt ja genug Beispiele dafür, sowohl in Entwicklungsländern als auch in Großbritannien), dann ist das nur sehr schwer möglich. Entscheidungshoheit hat hier nicht mehr das Land, sondern die WTO-Expertenkommisionen. Im Falle der Rückentwicklung muß das betreffende Land dann nicht nur den jetzt aktiven Unternehmen eine Wiedergutmachung für verlorengegangene Gewinne zahlen, sondern auch allen Unternehmen die in Zukunft da investieren sollten.
Und lauter so lustige Sachen. Also, informiert Euch über GATS, es geht auch Euch an.
Aktionen zu GATS:
13.03. (ja, ist schon vorbei)
Alexanderplatz Berlin
Eröffnung der Botschaft der Privatisierten Republik Monetanien
http://www.sind-sie-gats.de
Video (72 MB): http://www.bundjugend-berlin.de/downloads/mfg/botschaft_alexanderplatz_berlin.mpg
13.09.
WTOpoly
voraussichtlich Alex, Berlin, 11 Uhr
http://www.WTOpoly.de
STOP WTO in Riva am Gardasee 6. Sept.
Grossdemo am 6. Sept. in Riva am Gardasee.
Wir haben uns alle einen Kurzurlaub verdient.
Auf zum Gardasee.
infos:
www.stopwtoriva2003.org
http://www.stopwtoriva2003.org
Berlin Aktion des WILD-FrauenForums am 9.9.
wir haben ein neiues FrauenForum in Berlin, und bereits am 9.9. 03 zum
global action day " derail the WTO!" waren wir aktiv:
seht hierzu die Bilder unter www.frauenforum-berlin.de
ausserdem 21.10.03 ab 20.00 nwxte Sitzung des FrauenForums:
Themen: wie miteinander reden
FrauenAktion zur Demo am 1.11.03 ( treffpunkt 12.00 Uhr Alex vor Wohlthat)
Fahrt zum ESF nach Paris
wie wird das Forum vielfältig?
Veranstaltungen des Forums
Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen
Aufstandsbekämpfungs Kongress Berlin 5.+6.9 — in die Suppe spucken
eine Frage zu Zusammenhängen + Komplexität — was soll das ?