Indien: Aktuelles vom Narmada-Projekt - 1

Kh. 21.07.2003 22:21 Themen: Repression Weltweit Ökologie

Übersetzung des Beitrags von Narmada Bachao Andolan (NBA) v. 13.07.2003 00:19 http://germany.indymedia.org/2003/07/57223.shtml
Update/Zusammenfassung der neuesten Entwicklung im Kampf von Narmada Bachao Andolan (Bewegung Rettet Narmada) / Rechtsverletzung geht weiter: Sardar-Sarovar-Damm soll noch höher werden.

Narmada Samachar, Juli 2003

Narmada Bachao Andolan,62 Gandhi Marg, Badwani, M. P., Phone: 07290-222464, badwani@narmada.org B-13, Shivam Flats, Ellora Park, Baroda - 7, Phone: 0265-2282232, baroda@narmada.org Dhadgaon - Ph: 02595-220363 Mumbai- pjehangir@hotmail.com, medha@narmada.org

Weitere Informationen: http://www.narmada.org

Inhalt

(Teil 1)

  1. Einleitende Ausführungen des NBA-Teams
  2. Erhöhung des Staudamms: Eklatante Verletzung des Menschenrechts
  3. Die diskreditierte Narmada-Kontrollbehörde
  4. Die Politik der Wasserversorgung des Kutchch
  5. Modi und seine politischen Tricks
  6. Shobha Wagh, eine Aktivistin mit Mut und stiller Entschlossenheit

(Teil 2)

  1. Falsche Forderungen nach Rehabilitation und Ausgleichszahlungen
  2. (A.) Die Situation in Maharashtra
  3. Maharashtras Unterstützung des Staudammprojekts - zu welchem Preis?
  4. (B.) Die Situation in Madhya Pradesh
  5. Probleme im Gebiet Alirajpur
  6. Probleme im Gebiet Nimad
  7. Kampf der Adivasis** in Muthanga
  8. (C.) Die Situation in Gujarat
  9. Ökonomische Aspekte des Sardar-Sarovan-Projekts

(Teil 3)

  1. Bericht der Umweltkommission Gujarats
  2. Der leidenschaftliche Kampf um Schutz und Sicherheit der Lebensgrundlagen
  3. Das Dharna in Alirajpur
  4. Dharna in Bhopal - 20. bis 22. Mai
  5. Dharna in Nashik - 26. Mai bis 5. Juni
  6. Desh Bachao Desh Banao Abhiyan (Kampagne zur Rettung und zum Aufbau der Nation)
  7. Geplante Verbindung der großen Flußsysteme

Liebe Freunde,

Diese Ausgabe von Narmada Samachar vom Juli 2003 erreicht euch wieder einmal in einem kritischen Moment dieses nun schon zwei Jahrzehnte währenden Kampfes der Bevölkerung im Narmada-Tal. Im Zusammenhang mit der von der Narmada-Kontrollbehörde (NCA)* erteilten illegalen und absurden Genehmigung zur Erhöhung des Sardar-Sarovar-Damms (SSP)* von 95 auf 100 Meter, haben die Menschen des Tales ihren Kampf intensiviert, um ihre gemeinsamen Rechte auf die Grundlagen ihrer materiellen Existenz einzufordern und zu wahren.

Die Regierungen [der betroffenen indischen Bundesstaaten Maharashtra, Madhya Pradesh und Gujarat - kh.] sind alle darauf aus, die Leute in den Ebenen Madhya Pradeshs durch eine Entschädigung in bar zu bestechen oder Bestechungsgelder entgegenzunehmen. Da die Adivasis** in den Vindhya- und Satpuda-Bergen nicht darauf eingehen, wenden sie Gewalt an, um die Leute zu vertreiben und holzen Bäume ab. Das wird in der bevorstehenden Monsunzeit wahrscheinlich noch zunehmen.

Wir haben gegen all dies Stellung bezogen, wir werden auch weiterhin Fragen wegen der Erhöhung des Staudamms stellen, die zu Überschwemmungen und zur Zwangsumsiedlung Tausender Familien ohne Wiedereingliederung führen wird. Wir fordern für die bereits Betroffenen die gerechte, programmgemäße Wiedereingliederung mit Landzuteilung. Wir wissen, daß unsere Position der finanziellen Undurchführbarkeit und Verteilungsgerechtigkeit bei SSP*-Beihilfen stichhaltig ist. Unsere Ansichten über die Auswirkungen auf die Umwelt und den mangelnden politischen Willen, durch Ausgleichsmaßnahmen für diese Leute zu sorgen, gelten noch immer. Nicht nur die Menschen des Narmada-Tals, sondern auch die von Gujarat und der ganzen Welt werden darauf achten, was am Ende dabei herauskommt. Wir kämpfen weiter, allen Widrigkeiten zum Trotz .... und der Kampf muß intensiviert werden, wenn sich die Regierungen nicht rühren!!

Wenn es bis Ende Juli zu keiner Entscheidung im Konflikt um die Wiedereingliederung gekommen ist und es in dieser Sache mit der Regierung noch keinen Fortschritt gibt, werden wir vom NBA* ab August eine glühende Satyagraha** starten. Bis dahin wird es in den Dörfern Warn- und Beobachtungszentren geben, die die Maßnahmen der Regierungen zur Rehabilitation dieser Familien, die bei der jetzigen Staudammhöhe betroffen sind, beobachten werden. Dies wurde der Regierung von Maharashtra bereits schriftlich gegeben und wird auch bald der Regierung von Madhya Pradesh zugehen. In Gujarat gibt es keine Änderung der Situation, d.h. die Beschwerdebehörde (GRA)* ist nicht mehr tätig. Bestimmte Beamte sind jetzt dafür zuständig, sie haben Leute und Aktivisten in der Region bedroht. Unser Kampf geht nicht bloß darum, unsere Rechte zu erkämpfen, das Tal zu retten und Gerechtigkeit für die Menschen im Narmada-Becken zu erreichen, sondern es geht auch um eine alternative Entwicklung, die sich an den Menschen orientiert und die nicht auf Kosten der Adivasis**, der Dalits**, der Bauern und Fischer, der Frauen und der nächsten Generation geht.

Tragt weiter mit euren Mitteln, euren Meinungen und Vorschlägen, eurem Geld und eurer physischen Präsenz dazu bei, das Andolan** zu stärken und die Sache der sozialen Gerechtigkeit und Umwandlung der Gesellschaft zu fördern.

In Solidarität - das NBA-Team.

Wir respektieren das Recht der Menschen auf Wissen: Wir sind gegen das Patentieren intellektuellen Eigentums. Wir würden es schätzen und wären dankbar dafür, wenn ihr die im Narmada Samachar veröffentlichten Nachrichten und Meinungen nachdruckt, reproduziert und weiterverbreitet.

1. Erhöhung des Staudamms: Eklatante Verletzung des Menschenrechts

Der indische Staat hat einmal mehr die Adivasis** und Bauern im Tal des Narmada betrogen, durch seine empörende, hartherzige Entscheidung, seinen eigenen Menschen Elend/Verarmung und Überflutung ihres Landes zuzumuten. Das ist nichts anderes als inländischer Terrorismus des indischen Staates, gerichtet gegen sein eigenes Volk. Es wird nicht nur doob [Überflutung] bedeuten, sondern auch doom, ein gegen unschuldige Zivilisten entfesseltes Verhängnis.

Die seit alters bestehenden zusammengehörigen Adivasi- und Bauern-Gemeinschaften des Narmada-Tals werden mit der gößten Bedrohung ihrer nackten Existenz konfrontiert, wenn sich in der bevorstehenden Monsunzeit das Staubecken des monströsen Sardar-Sarovar-Damms zu füllen beginnt. Ihre einzigartige Kultur und Zivilisation wird ab jetzt nur noch Teil der Geschichte sein. Die höchst ungerechte und illegale Genehmigung der Narmada-Kontrollbehörde (NCA), den Staudamm von 95 auf 100 Meter (plus 3 Meter ....) zu erhöhen, wird alle der 33 Adivasi-Dörfer im Staat Maharashtra erbarmungslos in Mitleidenschaft ziehen - etwa 3000 Familien, die im Tal noch entschlossen für ihre gerechte und angemessene Wiedereingliederung kämpfen, 28 Adivasi-Dörfer im Jhabua-Distrikt und 60 dicht bevölkerte Dörfer im Gebiet Nimad (von insgesamt 193 Dörfern, 10 000 Familien allein im Staat Madhya-Pradesh, die bei einer Höhe von unter 100 m betroffen sind). Außerdem gibt es noch ein paar Hundert Familien, die in den 19 vom Staudamm betroffenen Adivasi-Dörfern im Staat Gujarat leben. Die meisten von ihnen sind wegen berechtigter Beschwerden von ihren Umsiedlungsplätzen wieder ins Tal zurückgekehrt.

Sogar in den einzelnen 206 Neuansiedlungsorten in Gujarat, den 6 in Maharashtra und einigen in Madhya Pradesh warten noch Hunderte von Familien auf die Umsiedlung nach Dorfgemeinschaften mit Landentschädigung und mit den versprochenen Einrichtungen. Die Menschen im Narmada-Tal, die Adivasis und Bauern kämpfen für die Gewährleistung einer gerechten und angemessenen Wiedereingliederung, sie haben sich die letzten 18 Jahre hindurch allen Widrigkeiten zum Trotz gewehrt, um die ungerechte und illegale Überflutung durch das mangelhaft geplante Staudammprojekt aufzuhalten. Vom Januar bis Juni diesen Jahres waren alle Aktivitäten darauf fokussiert, die Fehler in den Regierungsstudien hinsichtlich der Anzahl der vom Projekt betroffenen Familien (PAF*) ans Licht zu bringen und den Weiterbau des Staudamms zu stoppen, bis die Rehabilitationsmaßnahmen der bei 100 Metern Höhe betroffenen Menschen abgeschlossen sind. Aber die jüngste Entscheidung der Kontrollbehörde vom 13. Mai hat wieder einmal die höchst miserable und betrügerische Verquickung von Politikern, Bürokraten und Kontraktfirmen bloßgestellt. Dies war der gemeinste Akt politischen Eigeninteresses, durch den 12 000 Familien nun die Folgen der Nachlässigkeit und des Versagens der Regierung und ihrer Hartherzigkeit und miserablen Pflichtvergessenheit zu tragen haben.

Alle bisherigen Appelle und Forderungen sind auf taube Ohren gestoßen. Dies zeigt, wie gesetzlos unsere Regierung vorgeht und enthüllt die Herrschaft von Interessengruppen, zumal wenn man bedenkt, daß sowohl der NWDT*-Schiedsspruch als auch die Entscheidung des Obersten Gerichts in eklatanter Weise verletzt wurden, um das Projekt-bejahende Image der herrschenden Regierungen - der BJP* in Gujarat und der Kongresspartei in Madhya Pradesh und Maharashtra - zu wahren. Der gegenwärtige illegal betriebene Staudammbau geschieht unter dem Vorwand, daß die Umsiedlungs- und Wiedereingliederungsaktion der bei einer Höhe von bis zu 100 Metern Betroffenen abgeschlossen wird. NBA konnte mit Zahlen und Fakten belegen, daß die Zusicherung des Ministerpräsidenten von Maharashtra, er werde die vollständige Wiedereingliederung der betroffenen Familien so bald wie möglich nach den Vorgaben des Berichts der Arbeitsgruppe (Task Force) gewährleisten, eine offenkundige Lüge ist.

2. Die diskreditierte Narmada-Kontrollbehörde (NCA)

Die sogenannte NCA-Sitzung (13. Mai '03) war einfach eine Farce und Augenwischerei, da sie von dem jetzigen Stand der Reintegration in Maharashtra, wie er von Richter Kurdukar öffentlich gemacht wurde, keinerlei Notiz nahm, vor allem nicht von der Forderung, die Reintegrationsmaßnahmen (R&R works) mindestens sechs Monate vor einer weiteren Erhöhung dieses Staudamms in jeder Hinsicht abzuschließen, wie das vom Obersten Gerichtshof zur Auflage gemacht worden war. Alles was auf dieser vom Minister für Wasserressourcen Shri Goswami einberufenen Sitzung geschah, war eine einzige inszenierte Show.

Soweit ein Bericht aus erster Hand, der eines ehrlichen Funktionärs darüber, wie an jenem verhängnisvollen Tag in Neu-Delhi die Entscheidung, den Staudamm auf 100 Meter zu erhöhen, getroffen wurde.*** Man mag sich darüber wundern, wie es den Funktionären möglich ist, mit einer so groben Mißachtung von Politik und Gerichtshof durchzukommen, wenn so viel politischer Druck zwischen Bundesstaaten mit im Spiel ist. Dies ist nichts anderes als ein Abbild des gegenwärtigen Zustands der Politik in unserem Land, wo eine Handvoll Interessengruppen mit dem Leben und der materiellen Existenz einer Menge von Menschen spielen darf. Die Authentizität, Glaubwürdigkeit und Verantwortlichkeit von Regierungsorganen wie Narmada-Kontrollbehörde (NCA*), Beschwerdebehörde (GRA*) usw. sind öffentlich bloßgestellt und ihre Legitimität schwindet in den Augen des Volkes rasch dahin. Sie haben auch gegen den Urteilsspruch des Obersten Gerichtshofs verstoßen. Die jetzige Entscheidung verdient nichts weniger als die Verachtung der Öffentlichkeit, und die betrügerischen Mächte hinter den Kulissen müssen vor ein Volkstribunal gebracht werden.

3. Die Politik der Wasserversorgung des Kutchch**

Innerhalb von 5 Tagen nach der verhängnisvollen Entscheidung der Narmada-Kontrollbehörde hatte Narendra Modi** beschlossen, sich die Situation zugunsten seines politischen Images und seiner Partei und mit einem Auge auf die kommenden allgemeinen Wahlen in mehreren Bundesstaaten voll zunutze zu machen. Am 18. Mai wurde Narmada-Wasser durch Pipelines in einige größere Städte und ein paar Dörfer des Kutchch geleitet, um den Durst der Leute zu stillen. In Samkhyali wurden große Feiern veranstaltet, bei denen Mr. Modi das Narmada-Projekt wieder einmal als politischen Rettungsanker der Regierenden von Gujarat benutzte.

Wenn NBA auch stets zu den echten Bedürfnissen der Menschen des Kutchch gestanden hat und ihre Freude, das Wasser des Narmada zu erhalten, vollkommen akzeptiert, müssen diesbezüglich jedoch auch ein paar Fragen gestellt werden, um sicherzustellen, daß die Träume der Menschen des Kutchch nicht eines Tages zerstört werden.

Von der gesamten bewässerungsfähigen Fläche des Kutchch befinden sich lediglich 1,6 % im Wirkungsbereich des Narmada-Projekts. Von den 948 Dörfern im Kutchch sollen nur ungefähr 70 Trinkwasser über Pipelines erhalten. Und außerdem: wieviel Narmada-Wasser wird bei dem wachsenden Anspruch der Anrainer längs des Kanalsystems auf ihren Anteil den Kutchch wirklich noch erreichen und wielange und zu welchen Jahreszeiten? Da sich die SSNNL* in einer extremen Finanzkrise befindet und ein großer Teil des Kanalbaus noch auszuführen ist, stellt sich die Frage: Wird das Wasser den Kutchch in den nächsten zehn Jahren über Kanäle erreichen? (Das Wasser, das den Kutchch über Pipelines erreicht hat, ist nicht zur Bewässerung bestimmt)

Außerdem wird der zu zahlende Wasserpreis um ein Vielfaches höher sein als die jetzt getroffenen Vereinbarungen vorsehen. Dies wird im letzten Bericht des indischen Rechnungshofes (CAG*) hervorgehoben, da die Pipeline allein nicht weniger als 8000 Crores** (80 Milliarden) Rupien gekostet haben soll. Der Hauptgeschäftsführer der Gujarat State Drinking Water Infrastructure Co. Ltd. (GSDWIL)*, B. J. Vasavda veranschlagt die Projektkosten nach den Preisen von 1999 auf 72,3 Mrd. Rupien. Das ungeheure Ausmaß der Kosten ist nur zu ermessen, wenn sie der Zahl der gesamten geplanten Jahresausgaben des Bundesstaates Gujarat für das Jahr 2002/03 gegenübergestellt werden: 76 Mrd. Rupien. Für einen Teil dieses ehrgeizigen Pipeline-Netzes hat die Regierung von Gujarat Gelder der Asian Development Bank (ADB)* aus dem Kutchch-Erdbeben-Wiederaufbauprogramm abgezogen, aber auch bei Anwendung einer solchen Taktik muß der Verantwortliche des Wasserversorgungs- und Abwasseramtes von Gujarat (Gujarat Water Supply & Sewerage Board) zugeben, daß sie für die nächste Bauphase der Kutchch-Pipeline kein Kapital haben.

3,8 Mrd. Rupien aus dem ADB*-Darlehen wurden für die erste Phase des Projekts verwendet. Für die zweite Phase, die den Rest des Distrikts abdecken soll, haben wir kein Geld, sagt V. T. Mistry, der verantwortliche Ingenieur für den Abschnitt Gandhidamm des Wasserversorgung- und Abwasseramtes, von Gujarat.

Und das sind bloße Kapitalkosten? Was ist mit den Betriebs- und Unterhaltungskosten?Die Betriebs- und Unterhaltungskosten für ein solch riesiges zentralisiertes Netz von Pipelines soll die staatlichen Finanzen dermaßen schwer belasten, daß sie möglicherweise die Ausgaben für die Entwicklung in anderen gesellschaftlichen Bereichen austrocknen würden. Die vom GSDWIL* eingeplanten Betriebs- und Unterhaltungskosten betragen 10 Mrd. Rupien jährlich.

Werden sich die gewöhnlichen Bürger, darunter die Kutchchis, das leisten können, oder wird dies der Faktor sein, der darüber entscheidet, wer bezahlt und wer den Nutzen davon hat? Auch die Kutchchis haben wegen der wahrscheinlichen politischen und ökonomischen Probleme, die die Aufrechterhaltung der Wasserversorgung des Kutchch gefährden könnten, Befürchtungen. Sie meinten, daß, wenn das Wasser Rajkot erreichen würde, die Einwohner dieser Stadt die Oberhand über die Kutchchis gewinnen könnten, was die landwirtschaftlichen Märkte in Nord-Gujarat betrifft. Die komplizierten Zusammenhänge der Wasserpolitik innerhalb Gujarats sind noch herauszuarbeiten und bewußtzumachen. Wenn das einmal geschehen ist, werden die Menschen an beiden Enden des Projekts: Narmada-Tal und Kutchch (auch die meisten in Saurashtra** und Nord-Gujarat) vielleicht beschließen, sich die Hände zu reichen und vereint für eine gemeinsame Vision ihre Stimme zu erheben. Wird es dann aber nicht zu spät sein?

4. Modi** und seine politischen Tricks

Da das Sardar-Sarovan-Projekt in Gujarat eine Sache des Glaubens mit solch einer emotionalen Wirkung ist, hat die Politik der Zuführung des Narmada-Wassers nach Kutchch ihre Wirkung in der öffentlichen Wahrnehmung fast verdoppelt. Trotz der totalen Verletzung aller bestehenden Regeln und Bestimmungen war die Genehmigung zum Weiterbau des Staudamms dadurch gerechtfertigt, daß der Durst der von der Dürre betroffenen Menschen gelöscht werden sollte. Obwohl die Zahl der Nutznießer nur gering ist, war die emotionale Wirkung ungeheuer, und Narendra Modi nutzte sie für mehr als einen Zweck weidlich aus.

Sein offenkundigstes Ziel ist seine eigene Glaubwürdigkeit, da er an die Macht gekommen war, weil er Wasser vom Narmada versprochen hatte. Aber ein wichtigeres Ziel ist der bevorstehende Verkauf von SSNNL*-Schuldverschreibungen. Das Narmada Nigam (die Staudamm-Gesellschaft) befindet sich in einer so miesen finanziellen Lage, daß sie in diesem Jahr außerdem planen, steuerfreie Zinsverschreibungen (interest bonds) zu verkaufen.

Die Zuleitung des Wassers zum Kuchch gab dem sinkenden Ansehen und der Glaubwürdigkeit des Nigam, der fast 22 % der (bisher aufgewendeten) Gesamtkosten des Projekts allein für Zinszahlungen ausgibt, während nur etwa 4 % für Rehabilitationsmaßnahmen verwendet wurden, wieder Auftrieb

Da in vielen Bundesstaaten die Wahlen vor der Tür stehen, konnte die BJP*-Regierung in Gujarat die benachbarten Regierungen der Congress-Partei von Maharashtra und Madhya Pradesh noch einmal dazu bringen, zu ihrem Vorteil nachzugeben. Trotz all der Publicity über Kommunalpolitik scheint wirtschaftliche Entwicklung die Hauptwaffe bei den kommenden Wahlen in den Bundesstaaten zu sein. Da sich die BJP als eine den Damm befürwortende Partei präsentierte, konnten es sich die Congress-Regierungen nicht leisten, den Staudamm zu blockieren - auch nicht auf der einwandfreien rechtlichen Grundlage, daß die Reintegration der Betroffenen noch gar nicht abgeschlossen ist -, weil sie offenbar ein negatives entwicklungsfeindliches Image befürchteten. Aber dies geschah auch, weil die Regierung von Madhya Pradesh, dh. ihr Ministerpräsident, mehr an einem Handel mit dem Premierminister [der Indischen Zentralregierung - kh.] und Mr. Modi interessiert war. Daß er dabei nicht viel gewann - ob an Projekten oder Wählerzuspruch - steht auf einem anderen Blatt!

War er derjenige, der die vergleichsweise progressivere Regierung von Maharashtra beeinflußte und mit sich zog? Wer auch immer es war, PM, Asarambapu oder ....., sie gerieten in Modis Falle. (Sie alle sind darauf aus, die nationale und internationale kapitalistische Lobby zufriedenzustellen, auf Kosten der politisch machtlosen Kommunen)

Auf jeden Fall war nicht einfach das Wasser oder der danach dürstende Kutchch der Grund, daß dieser mit Wasser versorgt wurde! Wenn das Wasser aufgrund des integrierten Nebentunnels bei 89,7 m, einer geringeren Höhe als beim Hauptkanal also, durch Pipelines den Kutchch erreichen kann, hätte Gujarat schon viel eher Wasser in den Kutchch leiten können (wenigstens schon vor zwei Jahren) und hätte so auch die jetzt durch die Überschreitung der Dammhöhe von 90 m verursachte Umsiedlung großen Ausmaßes verhindern können. Warum haben sie so lange damit gewartet?

5. Shobha Wagh, eine Aktivistin mit Mut und stiller Entschlossenheit

Shobha Wagh

Shobha Wagh, unsere Kampfgefährtin, die uns über ein halbes Jahrzehnt begleitet und in den Adivasi-Gebieten (dh. der indigenen Völker) der Satpuda-Berge im Narmada-Tal mit Mut und Entschlossenheit gearbeitet hat, starb als sie am Donnerstag, dem 22. Mai in Domkhedi (Distrikt Nandurbar) im Wasser und Schlick des Sardar-Sarovar-Damms versank. Sie war 25 Jahre alt; ihre betagten Eltern, zwei Schwestern und ein jüngerer Bruder überleben sie. Sie arbeitete hauptsächlich in den Stammesdörfern in Maharashtra und in den Dshivan Shalas (Schulen) des Narmada Bachao Andolan.

Am Donnerstag wollte sie um 11 Uhr vormittags eine Versammlung der Dorfbewohner von Domkhedi und der benachbarten Nimgavan-Dörfer abhalten, zur Vorbereitung einer Massenaktion in Nashik gegen die ungerechte Entscheidung, den Staudamm bis auf 100 Meter zu erhöhen. Vor der Versammlung ging sie noch zum Baden im nahegelegenen Khad River, einem Nebenfluß, ca. 800 m (4 Furlongs) vom Narmadafluß entfernt. Als sie nach langer Zeit noch nicht zurück war, suchten die Leute im Fluß nach ihr und fanden sie darin versunken (trapped) und tot - ein weiteres Opfer des dämonischen Staudammprojekts.

Sanft und etwas schüchtern und zerbrechlich wirkend, war Shobha engagiert in der Arbeit in den Dörfern und im Berggebiet der Satpudas in den Talukas** Akrani und Akkalkuva von Maharashtra. Sie zeigte besonderes Interesse für die vom Andolan gegründeten Dshivanshalas, den Schulen. Shobha kam aus einer äußerst armen Familie und war im zweiten Jahr ihres Jurastudiums, als sie während der Monsun-Satyagraha von 1999 dem Andolan beitrat. Da sie aus einer armen Familie stammte und interessiert daran war, für die Gesellschaft Opfer zu bringen, entschied sich Shobha trotz der Schwierigkeiten daheim für ein Leben mit den sich mühsam durchringenden Stammesleuten (tribals) in den Satpuda-Dörfern, die in den letzten vier Jahren zu ihrer Heimat wurden. Wir haben unsere Gefährtin/Genossin verloren, eine fürsorgliche, ruhige und leidenschaftliche, sensible und entschlossene Frau mit stiller Überzeugung und Entschlossenheit.

Der Wasserspiegel des Khad-Flusses ist auf Grund des angestauten Wassers ebenfalls angestiegen, ausgedehnte Schlickablagerungen haben sich in den und um die Dörfer herum angesammelt, auch wenn die Menschen weiter hier leben. Shobha war nicht das einzige Opfer der Überflutung und Verschlammung, die diesen Gemeinden zugemutet wird. Den Leuten ist es praktisch unmöglich geworden zu baden, Kleider zu waschen und Trinkwasser zu holen, da sie mit großen Schwierigkeiten durch den Schlamm waten und 10 bis 15 Fuß tiefe Schlammlöcher umgehen müßten. Dutzende von Rindern sind schon umgekommen, weil sie im Schlamm versanken. Im August 2000 starb Lata Vasave, ein Schulkind der 3. Klasse der Dshivanshala von Nimgavan, als sie in den Fluß fiel und im Schlamm versank. Eine Frau aus Tinismal verlor ebenfalls ihr Leben, als sie den Fluß überqueren, und ein junges Mädchen aus Bhitada, als sie Wasserkrüge füllen wollte. Shobha ist das vierte Opfer des Schlammes und des angestauten Wassers. Ihr wurde in ihrem Heimatdorf Bolthan bei Malegaon im Distrikt Nashik der letzte Gruß erwiesen; die Trauerfeiern fanden in Dhadgaon und Malegaon statt.

Wir haben angekündigt, zu ihrem Gedächtnis eine Bibliothek in Bolthan und ein Gram Utpadan Kendra (Dorfproduktionszentrum) in Dhadgaon zu gründen. Eure Beiträge in Form von Büchern, Einrichtungsgegenständen und Material, sowie finanzielle Hilfe für beides sind willkommen. Bitte engagiert euch auch, indem ihr anderweitig mit Planung, Managing und Marketing dazu beitragt.

Wir haben uns auch verpflichtet, finanzielle Unterstützung für ihre Familie, in der sie die Hauptverdienerin war, zu sammeln. Auch ihr könnt mit einem Scheck in einem Brief, gerichtet an Narmada Bachao Andolan mit dem Bezug: Shobha Wagh Memorial Fund dazu beitragen. [An anderer Stelle wird gesagt, daß nur Hilfe von indischen Staatsbürgern angenommen wird, ob dies jedoch auch für diese speziellen Zwecke gilt, ist nicht ganz sicher - kh.]

Wir grüßen Shobha Wagh, werden ihr Gedächntnis pflegen und glauben, daß sie mit uns sein wird, bis wir die gemeinsamen Ziele erreicht haben.


* Abkürzungen:
  • ADB - Asian Development Bank
  • BJP - Bharatiya Janata Party, religiös ausgerichtete Hindu-Partei Indiens, die gegenwärtig die Zentralregierung und einige Staatsregierungen anführt
  • CAG - Comptroller and Auditor General of India - Rechnungsprüfer des indischen Rechnungshofes
  • GRA - Greavance Redressal Authority - Behörde zur Bearbeitung von Beschwerden
  • GSDWIL - Gujarat State Drinking Water Infrastructure Co. Ltd. - Trinkwasserversorgungsgesellschaft des Staates Gujarat
  • NBA - Narmada Bachao Andolan - Bewegung zur Rettung des Narmada-Tals
  • NCA - Narmada Control Authority - Narmada-Kontrollbehörde
  • SSNNL - Sardar Sarovan Narmada Nigam Limited (kurz: Nigam) - Bau- und Betreibergesellschaft des SSP
  • SSP - Sardar Sarovan Project
** Erklärungen:
  • Adivasi - kollektive Bezeichnung für die indigenen Völker Indiens
  • Andolan = Bewegung
  • Crore - in Indien gebräuchlicher Zahlenwert, 1 Crore = 10 Millionen; nachfolgend werden nur die sonst üblichen Zahlenwerte genannt.
  • Dalits - Kastenlose, ?Unberührbare?
  • Kutchch - Gebiet im NW Indiens zwischen der gleichnamigen Bucht und pakistanischer Grenze (Bundesstaat Gujarat), das vor wenigen Jahren von einem schweren Erdbeben betroffen wurde.
  • Narendra Modi - Ministerpräsident des indischen Bundesstaates Gujarat
  • Nigam - Bau- und Betreibergesellschaft des Sardar-Sarovan-Projekts (SSNNL)
  • Satyagraha - Festhalten an der Wahrheit - von Mahatma Gandhi um 1930 initiierte Bewegung des zivilen Ungehorsams, unter Anwendung von Ahimsa - absoluter Gewaltlosigkeit. Die daran teilnehmen, nennen sich Satyagrahis.
  • Saurashtra - Gebiet im Bundesstaat Gujarat, im N der Halbinsel Kathiawar
  • Taluka - Kleiner Verwaltungsbezirk, unterhalb der Distriktsebene

*** Eine Untergruppe der Narmada-Kontrollbehörde hatte noch im Febr. 2002 eine gegenteilige Entscheidung getroffen - http://de.indymedia.org/2002/02/15875.shtml

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Ergänzungen

@ Mods

Kh. 26.07.2003 - 15:49
Danke für die übersichtliche Anordnung des Textes und das zusätzliche Foto!