Itoiz/Baskenland - Widerstand gegen umstrittenes Stauseeprojekt

itoiz - voll nicht 24.06.2003 00:50 Themen: Weltweit Ökologie
Seit 15 Jahren tobt ein Streit um den Staudamm von Itoiz in der baskischen Provinz Navarra. Der geplante riesige Stausee ist Teil des spanischen Nationalen Wasserbauplans, der Tourismus und Industrie voranbringen soll. Doch auf Kosten von Mensch und Natur: Schon mehrfach wurde das Projekt von Gerichten für illegal erklärt. 1100 Hektar Land, darunter einige Naturschutzgebiete, sollen geflutet werden, mehrere Dörfer wurden enteignet und abgerissen. Im fertiggestellten Staudamm sind Risse aufgetaucht, im Falle eines Dammbruchs wäre u.a. ein stromabwärts liegendes Atomkraftwerk betroffen. - Mit einer Reihe von gewaltfreien direkten Widerstandsaktionen lenkten UmweltaktivistInnen die Aufmerksamkeit auf die Situation: Es steht nun eine Entscheidung vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte aus, der den Fall im Eilverfahren behandelt [Europäischer Menschenrechtsgerichtshof entscheidet über Itoiz].

Trotzdem steigt das Wasser - und letzte Woche wurde das vorletzte Dorf auf dem Gelände, das schon bald überflutet sein soll, geräumt [Interview: Staudammgegner bereit ihr Leben zu opfern] [Widerstand um Itoiz hält an].Drei Tage lang verhinderten AktivistInnen die völlige Zerstörung des Dorfs [Itoiz ist Geschichte - der Kampf geht weiter].Bei der Räumung wurden mehrere Menschen teilweise schwer verletzt. Kundgebungen und Sitzblockaden unterstützen die BesetzerInnen: Bericht [es] | Video. 4.000 Menschen demonstrierten am Sonntag in Aoiz (kleine Stadt in der Nähe des Staudamms) gegen die Zerstörungen, weitere Aktionen sind geplant.

Presseerklärungen der Solidari@s con Itoiz, 16.-19.6. [en]: [1] [2] [3] [4] [5] [6] [7] [8] [9] [10]

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Der Widerstand gegen den Staudamm von Itoiz


[Quelle: Solidari@s con Solidari@s - Berlin]

Das Staudammprojekt

Itoiz ist ein kleines Dorf am Zusammenfluss von Irati und Urrobi, im Pyrenäenvorgebirge Navarras (Baskenland) ca. 30 km nordöstlich von Pamplona entfernt. Nach Itoiz wurde dieses wahnwitzige, menschenverachtende und umweltzerstörende Staudammprojekt benannt. Die Talsperre bei Itoiz wurde gegen jede Vernunft, ohne Umweltverträglichkeitsprüfung, ohne Baubewilligung, durch massive Bestechung und Korruption begleitet, mittlerweile fertiggestellt. Zwischen Aoiz und Itoiz steht nun eine monströse Vollbetonmauer mit einer Höhe von 135 m und einer Länge von 800 m. Diese Talsperre soll einen See von einer Fläche von ca. 1100 ha und einer Länge von 35 km stauen. Neun Dörfer würden versenkt und sechs weitere wären teilweise betroffen. Die drei Naturschutzgebiete (Txintxurrenea, Gaztelu und Iñarbe) so wie zwei auf EU-Recht basierende Vogelschutzgebiete würden zerstört. In dem speziellen Mikroklima dieser Region findet sich eine einzigartig grosse Artenvielfalt verschiedenster Pflanzen und Tiere, darunter über 100 vom Aussterben bedrohte Arten.

Der Nationale Wasserbauplan des Spanischen Staates

Der Stausee von Itoiz ist nur ein Glied in einem noch viel gigantischeren Projekt. Der milliardenschwere projektierte "Kanal von Navarra" soll das Wasser zu intensiver Bewässerung in den trockenen Süden Navarras leiten können und 57'000 ha Land bewässern. Diese neuen Monokulturen wären eine weitere ökologische Katastrophe. Navarra hat schon jetzt eine grosse "Überschussproduktion" landwirtschaftlicher Erzeugnisse. Hunderte von Tonnen landwirtschaftlicher Erzeugnisse müssen jedes Jahr teuer vernichtet werden. Die EU-Agrarrichtlinien fordern die Brachlegung landwirtschaftlicher Nutzflächen in Navarra. Die Bewässerung Süd-Navarras wäre nie rentabel, auch aus diesem Grunde werden die den Bauern vollmundig versprochenen bewässerten Hektar nie entstehen.

Auf der Südseite der Pyrenäen soll eine Batterie von 40 neuen Stauseen grosse Mengen sauberen Wassers vorhalten und in weit entfernte Regionen liefern können. Der Ballungsraum Barcelona, die katalonische Industrie, allen voran jedoch die wasserintensive industrielle Nahrungsmittelproduktion und die Tourismusbranche (nach wie vor "Zukunftsbranche" Nr. 1) sind auf diese Mengen sauberen Wassers für ihre Spekulation auf langfristiges Wachstum angewiesen. Ein Golfplatz am Mittelmeer verbraucht täglich 5 Mio. Liter Wasser.Der Nationale Wasserbauplan stammt aus der Franco-Zeit. 1.300 Grossstauseen sind bereits verwirklicht, der Plan sieht weitere 200 Projekte vor.

Der Widerstand formiert sich

Als die spanische Zentralregierung 1985 den Bau des Staudamms als prioritäres Projekt erklärte, gründete sich in der betroffenen Region die BürgerInnen-Initiative "Cooridinadora de Itoiz". Sie machten Öffentlichkeitsarbeit, Expertisen und Studien zur Umwelt, organisierten Demos, machten verschiedene Einsprachen gegen Landenteignungen, Unterschriftensammlungen, organisierten Rekurse gegen das Bauprojekt und veranstalteten Widerstandscamps in Itoiz etc. Die Coordinadora wurde von Regierungsseite diffamiert und das Projekt wurde per Dekret, d.h. ohne parlamentarische Debatte beschlossen. Obwohl die Coordinadora und die Gemeindeverwaltungen der Täler in mehreren Instanzen das Fehlen rechtlicher Grundlagen gerichtlich hatten feststellen lassen, begannen am 3. Mai 1993 mit aller staatlicher Arroganz die Bauarbeiten.

Legal - illegal - scheissegal

Im September 1995 hiess der Nationale Gerichtshof eine Klage der Coordinadora gut und erklärte das Projekt für " nichtig und illegal". Da keine Baubewilligung und keine Umweltverträglichkeitsprüfung vorhanden war. Das Projekt darf die 500-Meter-Zone um die Schutzgebiete nicht verletzen (keine Rodungen, keine Planierungen und keine Umsiedelung der Bevölkerung). Das heisst, dass nur 20 m hoch gestaut werden darf, was einem Stauvolumen von 2,3% der geplanten Menge entspricht. Auch wurde bemängelt, dass das Hauptargument für den See, die Bewässerungsprojekte, kein eigentliches Bedürfnis seien. Der Hammer war dann, dass von der Klägerin, der Coordinadora, eine Kaution von 240 Mio. Fr. für den Baustopp verlangt wurde, und zwar für den Fall, dass die Baumafia in der Berufung wieder gewinnt und dann entschädigt werden müsste.

Als Reaktion darauf hat die Regionalregierung von Navarra kurzerhand die Naturschutzgebiete umgezont und redimensioniert. Alles was unter der 600 m Höhenlinie liegt (Seespiegel) wurde ausgezont. Dieses willkürliche Aushebeln der Naturschutzgesetzgebung verstösst gegen die spanische Verfassung und ist ein gefährlicher Präjudizfall. Jedenfalls muss das Verfassungsgericht bis spätestens Juni 2000 noch seinen Senf dazu geben.

Im Juli 1996 bestätigte eine höhere Instanz den Baustopp und verlangte dafür "nur" noch 128 Mio. Fr. von der Coordinadora. Die Hauptstaumauer wurde im Nachhinein doch noch legalisiert - mit der Begründung, es sei ja nur eine Mauer und kein See. Es muss noch erwähnt werden, dass während der ganzen Bauarbeiten im Vogelschutzgebiet von Txintxurrenea mit Dynamit gesprengt wurde. Die europäische Umweltschutzkommission forderte Anfang 1995 erfolglos die Einstellung des Steinbruchs. Ebenfalls wurde illegal eine Umfahrungsstrasse, die durch die Schutzgebiete führt, Ende 1999 fertiggestellt.

Die von den Gerichten verhängten Baustopps führten nie zu einem Stillstand der Bauarbeiten, vielmehr beschleunigten die Bauherren, also die Regierungen von Spanien und Navarra die Bauarbeiten noch. Inzwischen sind Hauptstaumauer und Umgehungsstrasse fertig, im Moment wird an einer zweiten kleineren Staumauer gearbeitet. Die nächsten Bauabschnitte sind das Fällen von einer Million Bäumen, das Abtragen von 30 cm Erde auf 1.100 Hektar und natürlich die Räumung der EinwohnerInnen der betroffenen Täler. Dafür veranschlagen sie vier Jahre.

Vergangenes Jahr wurden der Coordinadora 15 Jahre alte, bislang verheimlichte offizielle Gutachten zugespielt, die die Instabilität der Berghänge attestieren, auf denen die Hauptstaumauer fusst. Auf kriminelle Art und Weise gefährden die Bauherren die tausenden weiter flussabwärts Lebenden. Die Gutachter schliessen einen Staudammbruch nicht aus.

Solidari@s con Itoiz

1996 entschied sich eine Gruppe, den Baustopp eigenmächtig durchzusetzen. Sie nennen sich selbst "Solidari@s con Itoiz". Schon seit März 1995 war diese Gruppe durch öffentliche Direkte Aktionen aufgefallen: Sie besetzten das Büro des Regionalverantwortlichen für Umweltfragen und mehrmals das Dach des Parlaments von Navarra. Sie mauerten die Eingangstür zum Wasseramt zu und besetzten zweimal die Stahlseile der Betonförderanlage mit Hängematten (150 m hoch über der Baustelle). Die Blockaden von Zufahrtsstrassen zu Baustelle und Kieswerk, die Besetzung der Steinmühleanlagen etc. sorgten für grosses öffentliches Aufsehen. Die Aktionen waren allesamt spektakulär und begleitet von Presse und Fernsehen. Die Bauarbeiten konnten sie so aber nur stundenweise behindern.

Am 6. April 1996 entschlossen sich acht Männer des Kollektivs die Bauarbeiten endgültig zu beenden und die Herzstück der Baustelle und beförderte jeden Tag 4'200 m3 Beton vom Mischwerk über das Tal. Die Stahlseile waren 800 m lang, jedes 140 t schwer und 150 m hoch über die Talenge gespannt. Samstag frühmorgens verschafften sich die Solidari@s, begleitet von Presseleuten, Zugang zur Baustelle. Es waren keine Bauarbeiter anwesend, einzig ein Wächter einer privaten Bewachungsfirma musste, um die ganze Aktion und sich selbst nicht zu gefährden, entwaffnet und eingeschlossen werden. Als dieser sich fünf Minuten später selbst befreien konnte, waren die Kabel abgesägt. Die acht Solidari@s liessen sich an Ort und Stelle von der Guardia Civil festnehmen. Zwanzig Minuten lang wurden sie am Boden liegend getreten und geschlagen.

Bis die neue Förderanlage ihren Betrieb wieder aufnehmen konnte, war die gesamte Baustelle für 11 Monate stillgelegt. Diese Aktion der Solidari@s machte das Stauseeprojekt über die Landesgrenzen hinaus bekannt. Trotz einer massiven Medienhetze solidarisierten sich über 300 Gruppen und Organisationen öffentlich mit den Gefangenen. Greenpeace, auch seit Jahren aktiv in der Region, verurteilte aber die Aktion als "Gewalt gegen Sachen und Menschen". Am 7. Juni, einen Tag bevor 20'000 in Pamplona für die Haftentlassung der acht und gegen die Wiederaufnahme der Bauarbeiten demonstrierten, wurden sie aus der U-Haft entlassen.

Kriminalisierung der Direkten Aktion

Im anschliessenden Prozess forderte der Staatsanwalt wegen Widerstands, Körperverletzung, Geiselnahme und Entführung 19 Jahre Haft pro Angeklagten. Der Videomitschnitt der gesamten Aktion widerlegte die angebliche Körperverletzung. Der betroffene Wächter ist gestolpert und selbst auf die Nase gefallen. Der Kern des Urteils bildet das fünfminütige Einsperren des Wächters. Das Strafmass hierfür wurde auf 4 Jahre und 10 Monate festgelegt. Die Sabotage wurde mit drei Wochenenden Haft und 20 Mio. Fr. Entschädigung für die Baufirmen bestraft.

Der Widerstand wurde weiter kriminalisiert - so wurde ab 96 das jährlich stattfindende Widerstandscamp in Itoiz verboten und mit einem Grossaufgebot von Polizei verhindert. Weitere Blockaden und Parlamentsbesetzungen der Solidari@s wurden brutal geräumt. Am 20. September 1998 zerstörten zwei Frauen der Gruppe Solidari@s 33 Baumaschinen auf der illegalen Baustelle der Umfahrungsstrasse Agoitz - Nagore, die ohne Bewilligung durch ein Naturschutzgebiet gebaut wurde, und zeigten sich selbst an. Auch sie wollen den Prozess nutzen, um weiter gegen das Stauseeprojekt zu mobilisieren. Die Anklage fordert 3 Jahre Haft. Im Mai 2000 stehen die nächsten Verhandlungstage an.

Die Baustelle zwischen Agoitz und Itoiz wurde nach der Sabotage der Solidari@s zur Festung ausgebaut. Für 53 Guardias Civiles wurde eine Kaserne gebaut, das ganze Areal wurde zur Hochsicherheitszone.

Die SOS-Itoiz Europa-Tournee

Im September 1999 ging die Berufungsverhandlung für die acht an der Stahlkabel-Aktion Beteiligten zu Ende. Die höchste Instanz im Spanischen Staat bestätigte vollumfänglich das Urteil. Direkt nach der Urteilsverkündung reisten die acht Solidari@s aus dem Spanischen Staat aus und begannen ihre Europa-Tournee. Inzwischen hat diese Gruppe in London, in Den Haag und in Berlin sehr aufsehenerregende Direkte Aktionen durchgeführt: Sie kletterten auf das "Millenium Wheel" (das Riesenrad an der Themse), den Internationalen Gerichtshof in Den Haag, auf das Brandenburger Tor und den Fernsehturm am Alexanderplatz in Berlin. Im englisch-, niederländisch- und deutschsprachigen Raum organisierten die Solidari@s bisher über 40 Info-Veranstaltungen.


Noch mehr Hintergrund
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Ergänzungen