Staatlicher Rassismus

Freya Fluten 04.11.2002 23:03 Themen: Antirassismus
Staatlicher Rassismus. Eine kurze Analyse.
Staatlicher Rassismus

Schröder und Fischer und ihre rot-grüne Regierung sind wieder gewählt worden und mit ihnen ihr hinter ökonomischen Argumentationen versteckter staatlicher Rassismus. Im Gegensatz zu dem völkisch-nationalistisch begründeten Rassismus der sog. »christlichen« bzw. kon-servativen und rechtsradikalen Parteien ist der ökonomischen Argumentation schwerer beizu-kommen, obwohl sie auf die gleichen Ressentiments aufbaut.
Rassismus hat immer zwei Seiten, einerseits bestehen die gesellschaftlichen rechten Strukturen, die über Jahrzehnte gewachsen sind, sich aus den Vorstellungen des deutschen Faschismus speisen und sich immer wieder selbst reproduzieren. Rechte Ideologien werden in den Familien an die Kinder weitergegeben, in der Schule über LehrerInnen und MitschülerInnen vermittelt oder sie sind offenes oder hintergründiges gedankliches Fundament der jugendlichen Bezugsgruppen. Hierbei tragen sich die faschistischen Ideologien von Generation zu Generation fort und passen sich in den sozialen Räumen den spezifischen gesellschaftlichen Gegebenheiten an. Für den/die einzelne sind die Zustände des sozialen Umfeldes natürlich nicht determinierend, es gibt linke Strukturen und Subversion, doch faschistischen Ideologien reproduzieren sich wie anderen gesellschaftliche Strukturen in erster Linie über die sozialen Felder der konkreten Menschen. Hier bei sind die rechten gesellschaftlichen Strukturen nicht das Phänomen einer bestimmter Schicht sondern durchziehen die gesamte Klassenstruktur, sie fangen bei den Jugendlichen an, die nach der Schule oder Ausbildung nicht wissen, wohin mit ihrer Zeit und ihre geistige Heimat in rechten Schlägergruppen finden und enden in den Bur-schenschaften für werdende Juristen, die immer noch Voraussetzung für bestimmte gesell-schaftliche Positionen sind. So spielen die Nazis der Strasse und die konservativen Politike-rInnen, RichterInnen und BeamteInnen ein gemeinsames Spiel und es ist leider keine Aus-nahme, dass z.B. die Gewalttäter von Rostock-Lichtenhagen erst 10 Jahre nach der Tat zu milden Jugendbewährungsstrafen verurteilt wurden.
Auf der anderen Seite steht der staatliche und institutioneller Rassismus, denn Element des Rassismus ist nicht nur Vorstellungen und Erklärungsmuster der/des Einzelnen, sondern immer auch herrschaftssichernde Ideologie.

?Denn theoretisch nehme ich an, dass Rassismus ein Herrschaftsverhältnis ist, das heißt, Ras-sismus ist eine ideologische Praxis, mit der ein Konsens und eine Allgemeinheit zwischen Herrschenden und Herrschaftsunterworfenen zu Lasten Dritter hergestellt wird. Rassismus ist eine Form, über naturalistisch als andersartig definierte Individuen und Gruppen Herrschaft auszuüben, in diese Herrschaft die Subalternen einzubeziehen und sie gleichzeitig in eine Situation der Angst zu bringen, in der sie sich bereitwillig dem Konformismus unterwerfen, auf andere einzuschlagen. Die einfachen Leute werden zu Mitläufern gemacht, so das sie in der Gesellschaft keine Anlaufstelle und keine Orientierung mehr haben für alternative Le-bensformen. Politisch wichtig sind diejenigen, die diesen Konformismus aus- und vordenken und die institutionellen Mittel haben, ihn schließlich auch durchzusetzen.?

Der Staat benutzt, schürt und forciert die gesellschaftlich vorhandenen rassistischen Strukturen, Flüchtlinge und MigrantInnen dienen als Sündenböcke und Erklärungsmuster für die dem Kapitalismus inhärenten Widersprüche. Es ist einfacher und funktionaler für den Staat als Interessenvertretung des Kapitals, die Arbeitslosigkeit mit der Anwesenheit von AusländerIn-nen zu erklären als zuzugeben, das kapitalistische Wirtschaftssysteme immer und zwangsläufig Arbeitslosigkeit produzieren. Über das reale Problem der Erwerbslosigkeit wird Angst vor dem eigenen sozialen Abstieg produziert und als einfaches Erklärungsmuster diejenigen Gruppen angeboten, die sich einer solchen Zuschreibung am wenigsten wehren können. Bei dieser Argumentation steht nicht mehr der reine »Volkskörper« oder ein »Deutschland den Deutschen« im Vordergrund, sondern die einfache Behauptung, dass die BRD bei dieser Arbeitslosigkeit keine weiteren Flüchtlinge und MigrantInnen mehr verkraften könne. Dies impliziert jedoch unbewusst den »völkisch reinen Körper Deutschlands« und die Folgerung, dass die bereits hier lebenden MigrantInnen für die Misere der kapitalistischen Wirtschaft verantwortlich seien, liegt nahe - denn es wohnen ja schon mehr MigrantInnen und Flüchtlinge in der BRD, als es Arbeitslose gibt. Das generelle Arbeitsverbot für Flüchtlinge und MigrantInnen, die von außerhalb der EU kommen, wird bewusst nicht erwähnt und erscheint Zweifelsfall als linke Propaganda.

?In den kapitalistischen Gesellschaften Europas und Nordamerikas muss die Wirksamkeit des Rassismus dort verortet werden, wo sich zwischen den Kämpfen und konfligierenden Inte-ressen von Bourgeoisie, Kleinbürgertum und Arbeiterklasse (und ihren diversen Fraktionen) Risse auftun?

Der rein ökonomisch begründete Diskurs über und gegen Flüchtlinge und MigrantInnen muss sich zwangsläufig in Widerspruch zur nationalistisch-völkischen Argumentation verwickeln, denn (deutsche) multinationale Konzerne denken in erster Linie in ökonomischen und nicht in rein völkischen Parametern. Die deutsche Wirtschaft braucht, wie alle nationale Wirtschaften der EU, ArbeitsmigrantInnen für die schlecht bezahlten Arbeiten. Ohne diese entweder ins Land geholten oder geduldeten Menschen würde die Tomatenernte in Spanien ebenso wie die Weinlese in der Pfalz zusammenbrechen. Einerseits arbeiten EU-BürgerInnen nicht mehr für weniger als 3 ? in der Stunde 12 Stunden am Tag auf dem Feld. Andererseits ist die Reserve-armee der Arbeitslosen für die Disziplinierung der Menschen und dem Niedrighalten der Löhne von zentraler Bedeutung. Hier wird das enge Zusammenspiel zwischen völkischer Ar-gumentation und kapitalistischen Interessen deutlich. Denn nur wenn die MigrantInnen aus-gegrenzt und unerwünscht bleiben, können sie keine besseren Arbeitsbedingungen oder höhere Löhne fordern. Rassistische Ausgrenzung oder Ausschreitungen verängstigen und verunsichern die Menschen, die in ein fremdes Land gekommen sind, weil die Wirtschaft sie braucht und verhindert so eine Organisierung, die immer Vorraussetzung für einen Kampf um mehr Rechte ist. Aus diesem Grund werden rassistische Ausschreitungen von der Politik mindestens geduldet, manchmal sogar provoziert, auch wenn später das mediale öffentliche Entsetzen groß ist. Gleichzeitig verdecken solche Argumentationen, dass die ArbeitsmigrantInnen den bereits hier lebenden Menschen keineswegs Arbeit wegnehmen sondern dafür sorgen, dass es weiterhin billigen Wein im ALDI gibt.
Das Neue an dem Zuwanderungsgesetz ist, dass es versucht, diese ökonomisch ausgerichteten Vorgaben der Wirtschaft umzusetzen und die Einteilung in gute, sprich verwertbare und schlechte, also unbrauchbare MigrantInnen »salonfähig« zu machen. Es soll nicht mehr ras-sistisch sein, nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten zu selektieren und dies öffentlich zu ver-treten. Doch gleichzeitig forciert das Zuwanderungsgesetz durch seine Praxis völkisch-nationalistische Argumentationen. Denn die »unbrauchbaren« MigrantInnen sind meistens die politischen Flüchtlinge, und diese kann die BRD aufgrund der Unterzeichnung der »Genfer Flüchtlingskonvention« und der »Europäischen Menschenrechtskonvention« nicht einfach abschieben. Sie müssen schon »freiwillig« ausreisen und dazu ist Druck von Außen nötig. Die »Chance ihrer Ausreise« sollen die Flüchtlinge in den so genannten »Ausreisezentren« erken-nen, in denen sie laut Zuwanderungsgesetz öffentlichkeitswirksam interniert werden sollen.
AusländerInnen sind in erster Linie in Folge der Ausländergesetzgebung in der Kriminalitäts-statistik überrepräsentiert, denn ein Deutscher kann z.B. nicht gegen die Residenzpflicht ver-stoßen und sich durch die Überschreitung eines Landkreises strafbar machen. Durch die öf-fentliche Kasernierung von Flüchtlingen in Massenunterkünften an den Stadträndern wird für die Menschen sichtbar das scheinbar »Andere« und scheinbar »Fremde« produziert. Auf der einen Seite entstehen in Großlagern und Ghettos zwangläufig soziale Konflikte, Gewalt und Dreck und wenn in einem abgeschiedenen Dorf, indem bisher nur weiße Deutsche wohnten, ein Lager für 500 Flüchtlinge gebaut wird, bekommt die Propaganda der »Überflutung Deutschlands durch Flüchtlinge« eine scheinbare reale Grundlage. So produziert der Staat durch seine rassistischen Sondergesetze angebliche Tatsachen, die die diskriminierenden völkisch-nationalistischen Erklärungsmuster bewahrheiten.
In diesem Zusammenhang ist auch die Chipkarte für Flüchtlinge zu verstehen. Flüchtlinge in Berlin bekommen ihre Hilfe zum Lebensunterhalt aufgrund des Sachleistungsprinzips in Form von elektronisch lesbaren Chipkarten ausgezahlt, die nur in wenigen und meist sehr teuren Länden gelten. Auch hier wird die aufgrund des Arbeitsverbotes produzierte Hilfebedürftigkeit öffentlich zu Schau gestellt und der Flüchtling, der dem Staat auf der Tasche liegt und die deutschen Steuergelder verschlingt, bekommt reale Formen. Doch die Einführung der Chipkarte beinhaltet noch weitere Aspekte. Die Chipkarten sind als elektronisch vernetztes Überwachungsinstrument zu verstehen und die Einführung bei Flüchtlingen ist ein Pilotprojekt zur Akzeptanzbeschaffung und zu Erkundung der technischen Durchführbarkeit. Denn eine deutschland- und europaweite Einführung der so genannten Asylcard, auf der neben biometrischen Daten, Identität, Herkunft und Stand des Asylverfahrens gespeichert werden soll, ist bereits beschlossene Sache. Auch Pläne für deutsche SozialhilfeempfängerInnen und Arbeitlose liegen in den Schubladen der Politik bereit. Die Entwicklung betrifft uns alle, an den Flüchtlingen wird nur ein Exempel statuiert, dessen Ziel der technisch kontrollierte und gläserne Mensch ist.
Wir wenden uns gegen jede Form von Rassismus, egal ob staatlich produziert oder gesell-schaftlich hervorgebracht.
Weg mit den rassistischen Sondergesetzen, keine Umsetzung des Zuwanderungsgesetzes, das Recht auf freie Migration, für offene Grenzen und freies Fluten.

Freya Fluten für die Initiative gegen das Chipkartensystem

PS: Für alle BerlinerInnen noch ein wichtiger Termin:

Die Initiative gegen das Chipkartensystem veranstaltet am 8. November vor dem EXTRA Markt einen Antirassistischen Einkauf. Wir gehen zusammen mit Flüchtlingen Einkaufen und versuchen auf der einen Seite, direkte Solidarität zu leisten und auf der anderen Seite gegen die perfiden Instrumente staatlichen Rassismus zu protestieren. Also, kommt alle, bringt Freundinnen, Rucksäcke und Bargeld mit und macht euren Einkauf antirassistisch.

Antirassistischer Einkauf

Freitag den 8.11.02, von 16:00-18:00 Uhr, vor dem EXTRA-MARKT, Schönhauser Allee 10-11

Infos und Kontakte für regelmäßige Antirassistische Einkäufe:

Initiative gegen das Chipkartensystem
c/o Berliner Büro für Gleiche Rechte, im Haus der Demokratie und Menschenrechte, Greifs-walderstr. 4, 10405 Berlin, Tel: 030/41935839 (Do. 18:00 - 20:00), mobil: 0160/3410547, Fax: 030/41936868, Bürozeiten: Do. 18-20 Uhr
Homepage:  http://members.partisan.net/chipkartenini/
e-mail:  konsumfuerfreiesfluten@yahoo.com
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Ergänzungen

Endlich mal ein guter Text.

Tobias.f 05.11.2002 - 15:13
Wenn jeder Text so gut wäre,wie der über den
Staatlichen Rassismus wäre gut.Besonders die
Ergänzungen sind oft im einfachen Bildzeitungs
Stiel.Und das Rot-Grün auch den Staatlichen Rassismus
fortsetzt ist auch richtig.Richtig waren auch die
Karawane Demos vom 17.8. bis 21.9.2002.Im Wendland
werden ja auch die Rassisten Grünen leider bei den
Demos mitlaufen,wenn das nicht verhindert wird.
Denn auch Rebeccer Harms von den Grünen im Wendland
ist für den Staatlichen Rassismus, und Nazis
werden im Wendland bei den Demos vom 9.11 bis 15.11.02
etwa mitlaufen ,wenn das nicht verhindert wird.Auch
Teile der PDS die auch Rassisten sind wird man an ihren
Fahnen im Wendland leider sehen.Und die IGM ist auch
Primitiv.Deshalb muß im Wendland auch gegen Rassismus
Demonstriet werden und nicht nur gegen den Castor.
Solidarität ist die Zärtlichkeit der Völker,
für offende Grenzen für alle Flüchtlinge und gegen
Staatlichen Rassismus.

Sehr guter Text

Alfons Kilad 05.11.2002 - 15:57
vor allem wird hier sehr gut rassistische Strömungen mit den dahinter stehenden ökonomischen Interessen verknüpft.
Das ist nicht neu: Bereits nach dem Krieg wurde in einer amerikanischen Untersuchung die Auflösung der Deutschen Bank gefordert wegen ihre kompromisslose Unterstützung der Nazis. Das es die Deutsche Bank immer noch gibt, zeigt das der Kampf gegen Rassismus und Antisemitismus nicht von dem gegen das deutsche Kapital und seine Regierung zu trennen ist.

zitate

freya fluten 05.11.2002 - 17:39
hier die herkunft der zitate, ist leider bei dem text verlorengegangen.

1. Zitat:
Alex Demirovic, S. 16, in “Rassistische Diskurse - Rassistischer Alltag“, in: Beiträge zur Veranstaltung “Rassistische Diskurse - Rassistischer Alltag“ des AStA FU - Berlin im Wintersemester 1998/99, Berlin

2. Zitat:
Robert Miles, S. 75, in “Rassismus – Einführung in die Geschichte und Theorie eines Begriffs“, 1991, Argument Verlag, Hamburg