2. Übers. Trauma-Unterstützung zu Genua

hothead 08.08.2001 21:01 Themen: Repression
Hier eine weitere, etwas umfangreichere Übersetzung des Textes "Trauma - Unterstützung für Genua-Überlebende"...
[A.d.Ü.: Die Übersetzung ist sicher an einigen Stellen etwas holperig, dafür nahezu wörtlich... Sorry also, wenn der Satzbau nicht der tollste ist...
Und: "Überlebende" wird hier wie im Originaltext anstelle des Begriffs "Opfer" verwendet, das kommt aus feministischen Diskussionen um sexuelle Gewalt (besonders in der Kindheit). Der Sinn des Ganzen ist, wegzukommen von dem Bild des hilflosen, wehrlosen Opfers und statt dessen den Blick auf das zu wenden, was Leute tun, um eine gewalttätige Situation physisch und psychisch so unversehrt wie möglich zu "überleben". Am Beispiel Genua könnte das z.B. gewesen sein: wegzurennen; versuchen, Schläge abzuwehren bzw. verletzliche Körperteile abzudecken; die eigene Aufmerksamkeit eher auf andere Leute zu richten, die auch brutal behandelt werden, anstatt auf die eigenen Schmerzen/die eigene Angst; die eigenen Gefühle abzuspalten und alles wie durch einen Schleier oder wie einen Film zu erleben; nicht zurückzuschlagen; den Bullen zu gehorchen, um weitere Verletzungen und/oder Entwürdigungen zu verhindern; etc. etc. - ich glaube, die Idee ist klar... Sich solche Sachen klarzumachen hilft übrigens auch gegen das Gefühl, "nichts" getan zu haben...]

weitere Übersetzung:  http://de.indymedia.org/2001/08/5950.html

Die Überlebenden von Genua unterstützen
von Starhawk -  http://www.starhawk.org

Genua war grausam. Unsere FreundInnen und KameradInnen sind brutal geschlagen, gefoltert und unrechtmässig eingesperrt worden. Einige von ihnen sind so schwer verletzt worden, dass sie kaum je wieder so sein werden, wie vorher. Niemand von uns wird emotional oder politisch je wieder der-/dieselbe sein.
Wir müssen die Leute unterstützen, die das Schlimmste miterlebt haben. Und sogar die von uns, die dem Schlimmsten entkommen sind, müssen wissen, wie mit einem Trauma umzugehen ist und wie die Symptome vom Posttraumatischen Stresssyndrom (PTSD) zu erkennen sind.

Es folgen einige der Symptome. Sie alle sind Teil unserer normalen menschlichen Reaktion auf ein Trauma, es ist ihre Dauer und Intensität, die sie in den lebensbedrohenden Zustand des PTSD verwandeln können. Wenn du starke Symptome auch noch drei Monate nach dem Vorfall hast, könntest du professionelle Hilfe brauchen [A.d.Ü.: das heisst nicht, dass du dir nicht auch schon vorher professionelle Hilfe holen kannst/sollst, wenn du sie möchtest/brauchst!]. Unser Trauma-Level variiert je nachdem, wie unsere persönliche Geschichte aussieht und je nachdem, welchem Level von Gewalt wir ausgesetzt waren: dabei zuzusehen, wie die Tragbahren herausgetragen werden ist auf andere Weise traumatisch, als auf einer davon zu liegen. Leute mit einem Hintergrund wie einem gewalttätigem Zuhause in der Kindheit, die bereits Überlebende von Vergewaltigung, Angriffen oder Missbrauch sind, können besonders verletzlich sein.

Einige Symptome:
- Änderungen im Ess- oder Schlafverhalten. Einige Leute sind vielleicht nicht in der Lage, zu essen oder zu schlafen. Andere können vielleicht nicht mehr damit aufhören.
- Nicht in der Lage sein, die schrecklichen Bilder und Erinnerungen (zeitweise) zur Seite zu schieben.
- Nicht in der Lage sein, überhaupt etwas zu fühlen.
- Depression, Unfähigkeit, Freude am Leben zu empfinden.
- Wut/Zorn (nun ja, Wut ist die gesunde Reaktion auf das, was passiert ist, aber lähmender oder selbstzerstörerischer Zorn oder Wut, die sich an die falsche Adresse richtet, können Symptome sein.)
- Gesteigerter Gebrauch von Drogen oder Alkohol zur Selbstmedikation.
- Angst, Beklemmung, Panikattacken und Phobien.
- Schuldgefühle, Bedauern und sich selbst die Schuld geben. ZeugInnen, die entkommen sind & nicht das Schlimmste erleiden mussten, können besonders anfällig für "Schuldgefühle der Überlebenden" ("survivor's guilt")sein.
- Überwältigender Kummer.
- Unfähigkeit, "normal" zu funktionieren, Pläne zu machen oder Entscheidungen zu treffen, oder "normale" Dinge des Lebens zu tun.
- Scham.
- Selbstmordgedanken.

Was du für dich selbst tun kannst:
- Nimm Kontakt zu deinen FreundInnen und Verbündeten auf, um Hilfe zu bekommen. Isolier dich nicht.
- Vergiss nicht – was passiert ist, ist nicht deine Schuld. Du brauchst dich nicht schämen oder schuldig fühlen, auch wenn du feststellst, dass du diese normalen Reaktionen auf ein Trauma hast. Die Schuld hast nicht du, sondern die Menschen, die Leute geschlagen, gefoltert und umgebracht haben, und die, die die Befehle dazu gegeben haben. Du bist auf die beste dir mögliche Art mit einer äusserst brutalen Situation umgegangen.
- Dass du in Genau warst/bist, ist ein Zeichen deines Mutes, deiner Verbindlichkeit [A.d.Ü.: könnte man auch mit "Pflichtgefühl" übersetzen, suchts euch aus...Marcus hat es mit "Entschlossenheit" übersetzt, das entspricht wohl am ehesten unserem Sprachgebrauch.] und deiner Integrität. Lass dir von niemandem etwas anderes einreden. Sei stolz.
- FreundInnen und Familienangehörige können sich in ihrer eigenen Qual/Sorge auf eine Art benehmen, die alles noch schlimmer macht. Du hast das absolute Recht, sie zu stoppen, eine destruktive Situation zu verlassen und richtige/echte Hilfe zu finden.
- Vergiss nicht, dass Leute sogar diese schrecklichen Dinge überleben und dass es sie stärker machen kann. Aber es kann sein, dass du Zeit für deine eigene Heilung brauchst. [A.d.Ü.: auch wieder so ein Psycho-Begriff... macht aber deutlich, dass mensch die Reaktionen auf ein Trauma ernst nehmen sollte & dass das Leben eben nicht genauso wie vorher weitergeht - eben wie bei einer anderen Krankheit auch. Und bloss, weil Traumata eine psychische Sache sind, sollte mensch meiner Meinung nach die Symptome genauso ernst nehmen wie z.B. die körperlichen Schmerzen bei einem gebrochen Bein - da kann auch am nächsten Tag niemand wieder auf sonstwelchen Demos rumspringen...] Mach dir jetzt keine Sorgen darüber, ob du jemals wieder zu einer solchen Aktion gehst oder nicht. Dich selbst von dieser letzten zu heilen ist eine politische Handlung.

Was du tun kannst, um deine FreundInnen zu unterstützen:
- Finde sie. Nimm Kontakt zu ihnen auf. Lass sie nicht in der Isolation verschwinden. Ich mache mir besonders Sorgen um diejenigen, die allein zu dieser Aktion gefahren sind, oder um die ohne Freunde in ihrem Heimatort. Sie müssen Kontakt haben zu Leuten, die auch dort waren und wenigstens einen Teil von dem verstehen, was sie durchgemacht haben.
- Bleib in Kontakt mit ihnen. Ruf sie an, frag sie, wie es ihnen geht, ob sie schlafen können. Vergiss nicht, dass Leute zu Anfang denken können, dass es ihnen gut geht und erst später unter den Auswirkungen des Traumas zu leiden beginnen. Verpflichte/entschliesse dich, mit ihnen über eine Zeit von einigen Monaten in Kontakt zu bleiben, nicht nur für die ersten paar Tage.
- Hilf ihnen dabei, zu reden. Wir müssen unsere Geschichten erzählen, manchmal immer und immer und immer wieder: idealerweise jemandem, der/die das gleiche durchgemacht hat und uns versteht, aber wenn das nicht möglich ist, dann jemandem, der/die einfach zuhören kann, der/die den ganzen Umfang/die ganze Breite unserer Gefühle akzeptiert, ohne zu versuchen, sofort etwas zu tun, damit es uns besser geht.
- "Füttere" sie, kauf ein, koche, mach sauber für sie, kümmere dich um einige ihrer leiblichen Genüsse[A.d.Ü.: "Bedürfnisse" triffts wohl eher].
- Begleite sie. Hilf ihnen, dorthinzukommen, wo sie hingehen müssen.
- Sei ein/e FürsprecherIn [A.d.Ü.: im Originaltext wird hier das Wort "advocate" gebraucht, wörtlich übersetzt heisst das "AnwältIn" oder eben "FürsprecherIn"; das soll hier wohl soviel heissen wie: stell dich auf ihre Seite & sprich ggf. für sie, wenn nötig] für sie in medizinischen, rechtlichen und psychischen Angelegenheiten. Hilf ihnen, Termine zu machen und zu bekommen. Geh mit ihnen hin. Hilf ihnen beim Ausfüllen von Formularen, schreib Erklärungen. Finde angemessene Hilfe und Ressourcen für sie.
- Sei ein/e FürsprecherIn für sie in ihrer Schule oder bei ihrem Job.
- Hilf bei der Unterstützung ihrer Familien und Freunde, die vielleicht auch Kummer, Schock und Wut fühlen.
- Sei ein/e FürsprecherIn oder ein Puffer zwischen ihnen und Familienangehörigen, PartnerInnen oder FreundInnen, deren eigenes Level von Sorge und Angst sie dazu bringen könnte, auf Arten zu reagieren, die nicht hilfreich sind. Sei gewillt, sie [die Familienangehörigen etc.] auch wütend auf dich sein zu lassen. Versuche, ihnen ruhig/vorsichtig die Realität von dem, was passiert ist, zu erklären.
- Hilf ihnen, davon zu berichten, aber überlass ihnen die Führung. Einige Leute finden vielleicht, dass es sie am meisten erleichtert, wenn sie darüber reden und öffentlich ihre Geschichte erzählen. Du kannst helfen, die Medien zu interessieren oder Orte finden, wo sie zu/mit einer Gruppe sprechen können. Für andere wiederum kann dies zu überwältigend sein oder zu sehr das traumatische Gefühl wiedererwecken. Hilf ihnen, andere Wege zu finden, davon zu berichten: ihre Geschichte aufzuschreiben, Erklärungen aufzuschreiben, die von anderen für sie vorgelesen werden können, Tapes oder Videos zuhause aufzunehmen.
- Kämpf weiter. Finde Wege, wie sie dabei und in Kontakt bleiben können und weiter Teil davon [A.d.Ü.: "davon" meint wohl die Gruppe, der sie angehören bzw. die politische "Bewegung" als solche] sein können, auch wenn sie nicht in der Lage sind, zu Aktionen zu gehen.
- Vergiss bei all diesen Dingen nicht, dass dein/e FreundIn verantwortlich für seine/ihre eigene Heilung ist. Behandle sie nicht überbeschützend oder wie ein kleines Kind, sondern hilf ihnen, ihre eigenen Entscheidungen zu treffen. [A.d.Ü.: dies halte ich für einen der wichtigsten Punkte im ganzen Text, siehe auch mein Kommentar bei der Übersetzung von Marcus...]

Quellen:
Eine andere gute Quelle zu Trauma, mit Links zu anderen Seiten und Buchempfehlungen findest du unter:
 http://healingtrauma.protest.net

Wir müssen uns umeinander kümmern. Wenn wir das tun, dann stärken wir unsere Bewegung und werden selbst stärker.
Liebe und Solidarität, -- Starhawk.
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Ergänzungen

danke für deinen beitrag, er hat mir gutgetan

08.08.2001 - 21:24

Hmpf

Ferris 09.08.2001 - 12:48
Zum Punkt "Kämpft weiter" (fast ganz unten).
Sicher ist es erstrebenswert, diese Leute in der Bewegung zu halten, aber man sollte dies ohne jegliche Anwendung von Druck tun, im Text klingt es so, als solle man hierbei alle Möglichkeiten in Betracht ziehen. Vielleicht eine Übersetzungsholprigkeit? Wenn nicht, dann ist es meines Erachtens definitiv falsch! Trotz dem: guter Artikel, danke.

zu ferris:

hothead 09.08.2001 - 20:31
naja, wenn mensch sich so überlegt, dass in der linksautonomen-/radikalen szene "dabeisein" oft bedeutet, an jeder demo/aktion teilnehmen zu "MÜSSEN", und dadurch viele andere formen des "dabeiseins" abgewertet werden, dann finde ich die aufforderung an die freundInnen nicht falsch, dass den leuten ggf. auch andere MÖGLICHkeiten gegeben werden sollen, weiter dabeizusein. und zwar nur dann, wenn sie wollen. so habe ich das jedenfalls verstanden, mich beim übersetzen aber evtl. nicht eindeutig genug ausgedrückt. alles andere wäre meiner meinung nach ein widerspruch zum rest des textes, wo ja u.a. das recht auf grenzen setzen betont wird...
gruß,